Ein neuer Bildband gibt erstmals einen vollständigen Überblick über Berlins Schlösser und Gutshäuser. Mancher Bau steht zum Verkauf.
Berlin gilt nicht gerade als Schlösserstadt. Mal abgesehen von dem imposanten Neubau des Stadtschlosses, gibt es nur wenige Schlossbauten, die den Stadtkern prägen, so wie Bellevue und Charlottenburg, wohin auch schon mal die Bundesregierung zu illustren Banketten lädt. Doch tatsächlich hat die Stadt eine ganze Reihe von Schlössern, Herrenhäuser und Gutsanlagen vorzuweisen, die jetzt in einem opulenten Bildband vorgestellt werden. 36 Orte werden hier porträtiert und bieten gleichsam als Inventarliste einen vollständigen Überblick über die Berliner Schlösserlandschaft. Wobei nicht jedes Schlossgebäude in Berlin auf der Liste steht. Vorgestellt sind die Sitze, an die gutsherrliche Rechte gebunden waren.
Immerhin hat jeder Bezirk in Berlin demnach mindestens ein solches Gebäude. Einzig Friedrichshain-Kreuzberg geht leer aus. Viele der Häuser fügen sich noch heute passend in das jeweilige Umfeld ein, andere scheinen irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein. So das Wrangelschlösschen in Steglitz, das heute zwischen Kino, Hochhaus und Autobahnzubringer recht verloren wirkt. Im 19. Jahrhundert verbrachte Generalfeldmarschall Friedrich Heinrich Graf von Wrangel in dem frühklassizistischen Bau die Sommermonate, heute lassen sich hier Paare trauen.
1920 gehörten auf einmal viele Schlösser zur Stadt
Zu jedem Gebäude gibt es in dem Band, das vom Landesdenkmalamt herausgegeben wurde, eine umfangreiche Beschreibung der Anlage, ihrer Entstehung und Nutzung. Neben aktuellen Ansichten werden auch viele historische Bilder gezeigt, die Einblicke in die frühere Stadt- und Gesellschaftsstruktur geben. Damit lädt das Buch nicht nur dazu ein, mal unbekanntere Orte in der Stadt aufzusuchen, sondern sich auch auf Zeitreise durch Berlin zu begeben. Allerdings eignet sich die Lektüre nur für die Vor- und Nachbereitung, denn der einige Kilo schwere Band ist vor Ort ein eher unbequemer Reisebegleiter.
Die meisten Gutsherrenanlagen stehen in den Randbezirken. Das liegt nicht zuletzt daran, dass manche Schlösser und andere Herrschaftsgebäude in Mitte – wie eben das ursprüngliche Stadtschloss, aber auch das Schloss Monbijou am Spreeufer oder das Prinz-Albrecht-Palais auf dem heutigen Gelände der Topographie des Terrors – im Zweiten Weltkrieg zerstört und danach nicht wiederaufgebaut wurden, sondern stattdessen ganz aus dem Stadtbild verschwunden sind. Vor allem hängt diese Verteilung aber auch mit der Entwicklung der Stadt zusammen.

Lange war Berlin vergleichsweise klein, aber umgeben von einer Vielzahl an Rittergütern, Dörfern und kleineren Städten mit jeweils eigenen Residenzen und Gutssitzen. Als dann 1920 Groß-Berlin entstand und die Stadt auf einen Schlag fast die heutige Größe erreicht hatte, wurden all diese Gebäude eingemeindet. Und auch die preußischen Sommerschlösser, die bislang noch vor den Toren der Stadt lagen, gehörten nun zur Stadt: Das Jagdschloss Grunewald, das heute älteste erhaltene Schloss der Stadt, oder auch die Schlösser Glienicke und Pfaueninsel, die seit 1990 als Weltkulturerbe auf der Liste der Unesco stehen.
So manches Gutshaus in Berlin steht auch mal zum Verkauf
Manche der im Bildband aufgelisteten Häuser sind heute Museen, viele werden allerdings profaner genutzt. So dient zum Beispiel das ehemalige Küchengebäude des Schlosses Friedrichsfelde als Kassenhäuschen für den Tierpark. Andere Gutsanlagen sind private Wohnhäuser oder Kindertagesstätte wie das Schroedter’sche Gut in Gatow oder Schule wie das Herrenhaus Amalienhof in Staaken. Vorher war Amalienhof auch schon mal Reha-Zentrum und Altersheim.

Und manchmal steht ein ehemaliges Gutshaus sogar zum Verkauf. So das Gutshaus Malchow, das lange von der Humboldt-Universität genutzt, aber vor einigen Jahren aus Kostengründen als Standort aufgegeben wurde. Gekauft wurde der Komplex dann von Synanon, der Selbsthilfeorganisation für Drogenabhängige, die inzwischen ihren Sitz vom Potsdamer Platz nach Malchow verlegt hat.
Der Festsaal der preußischen Königin neben dem Arbeitszimmer von Wilhelm Pieck
Und es gibt Landsitze, die von außen so gar keine herrschaftliche Aura verströmen und sich kaum von einem normalen Wohnhaus unterscheiden. Nur schwer lässt sich zum Beispiel das im 19. Jahrhundert gebaute Rieselgut Hellersdorf oder das Gutshaus Rosenthal als besondere Bauten erkennen. Andere Gebäude wurden lange vernachlässigt und sind erst jüngst wieder restauriert und zu besichtigen. So das Schloss Schönhausen in Pankow, das 2009 als Museum eröffnete und nun Einblick in seine bewegte Geschichte gibt.

Angefangen hat diese Geschichte als Sommerresidenz der preußischen Königen Elisabeth Christine, der Frau von Friedrich dem Großen. Viele Raumausstattungen haben die Jahrhunderte überlebt, so das Treppenhaus oder der Festsaal. Das ist erstaunlich, weil in der DDR preußisches Erbe nicht immer hochgehalten wurde, was nicht zuletzt an der Sprengung des Stadtschlosses sichtbar wurde. Während der NS-Zeit diente das Schloss als Lager für „Entartete Kunst“, nach Kriegsende hatte hier Wilhelm Pieck seinen Amtssitz. Schönhausen blieb bis 1964, bis zur Fertigstellung des Staatsratsgebäudes, Sitz dieses obersten Gremiums. Danach wurden hier Gäste der DDR-Regierung untergebracht. Gerade in Piecks Amtszimmer und im Gäste-Trakt ist die Handschrift des DDR-Designs unübersehbar. Und gerade diese Widersprüche machen heute den Reiz des Schlosses aus. Und so wie hier in Pankow gibt es auch andernorts viel zu entdecken.
„Schlösser, Herrenhäuser und Gutsanlagen in Berlin“, 544 Seiten mit 683 Abbildungen, Nicolai-Verlag, 49,95 Euro.