Castingshow

Komische Oper in Berlin: Mit Augenzwinkern ins Casting

| Lesedauer: 6 Minuten
Annette Kuhn
Ein Moment voller Spannung: Die fünf Berliner Schulklassen warten darauf, dass die beiden Moderatoren Anne-Kathrin Ostrop und Christoph Späth den Sieger der Castingshow verkünden

Ein Moment voller Spannung: Die fünf Berliner Schulklassen warten darauf, dass die beiden Moderatoren Anne-Kathrin Ostrop und Christoph Späth den Sieger der Castingshow verkünden

Foto: Amin Akhtar

Mit dem Projekt „Oper sucht Klasse“ will die Komische Oper Schülern einen kritischen Blick für das Medienformat vermitteln.

Castingshows haben bei Lehrern nicht gerade den besten Ruf. Das Format betrachten die meisten pädagogisch als wenig wertvoll, wenn nicht sogar schädlich. Umso erstaunlicher erscheint es, wenn sie ihre Klasse freiwillig in eine Castingshow schicken.

So geschehen am gestrigen Donnerstag: Fünf Berliner Schulklassen der Jahrgangsstufe neun stehen in der Komischen Oper auf der Bühne und führen zwei Stücke aus dem Musical „Kiss me, Kate“ auf. Im Publikum werden sie dabei von ihren Mitschülern zumeist lautstark unterstützt.

Nichts, was zu einer Castingshow üblicherweise dazugehört, fehlt. Die Lichtmaschinerie läuft perfekt: Spot an, Spot aus, Discokugeln, die sonst zum Bühnenbild der „West Side Story“ gehören, sorgen für weitere Effekte. Die Jury sitzt in der ersten Reihe und macht sich Notizen, aus dem Saal erklingt derweil Dauergekreische. Und nach zweieinhalb Stunden Show heißt es mit viel Tamtam: „The winner is ...“ Klar, dass dann auch noch Konfetti von der Bühnendecke herabregnet.

Fiese Kommentare à la Dieter Bohlen gibt es nicht

Auf den ersten Blick also eine typische Castingshow. Auf den zweiten Blick ist es aber mehr, was an diesem Donnerstag stattfindet. Denn das Küren von Berlins bester Musicalklasse mit einem „Grand Prix Award“ erfolgt mit einem „Augenzwinkern“, sagt im Vorfeld Anne-Kathrin Ostrop, die den Bereich Musiktheaterpädagogik an der Komischen Oper leitet.

Das Augenzwinkern zeigt sich schon daran, dass es am Ende zwar eine Siegerklasse gibt, aber einen Gewinn für alle: den gemeinsamen Besuch einer Vorstellung von „Kiss me, Kate“ in der Komischen Oper. Die prämierte Klasse wird dabei allerdings die besten Plätze bekommen. Anders als in sonstigen Castingshows wie „Deutschland sucht den Superstar“ ist auch, dass sich die Juroren hier fiese Kommentare unter der Gürtellinie à la Dieter Bohlen verkneifen. Wenn, dann soll es hier nur inhaltliche Kritik zum Auftritt geben oder Tipps, wie die jungen Darsteller es besser machen können.

Als Vorbereitung haben die Schüler Castingshows analysiert

Außerdem gibt es neben der Fachjury auch eine Schülerjury, die sich aus jeweils einem Abgesandten der teilnehmenden Klassen zusammensetzt. Und inszeniert wird auch nur der Rahmen der Show, der Inhalt ist authentisch und spontan. „Hier ist alles live, keine Aufzeichnungen, nichts wird herausgeschnitten, alles bleibt drin, meine Damen und Herren“, erklärt Moderator Christoph Späth, ein Ensemblemitglied des Hauses, am Anfang.

Vorausgegangen ist der Show eine dreimonatige Vorbereitungszeit mit den Schülern. Dabei wurden nicht nur ein Pflicht- und ein Wahlstück zusammen mit Lehrern und externen Coaches einstudiert, sondern auch das Format Castingshow wurde kritisch beleuchtet. Statt einfach zu konsumieren, sollten sich die Schüler im Unterricht damit beschäftigen, wie Castingshows überhaupt gemacht werden, und analysieren, welche Strukturen dahinterstecken, so Ostrop. Und vor diesem Hintergrund haben die Schüler auch Kriterien entwickelt, auf die es aus ihrer Sicht bei so einem Wettbewerb ankommt. Am wichtigsten war dabei Fairness.

Fünf Berliner Schulen haben bei der dritten Staffel mitgemacht

Das Castingshow-Projekt „Oper sucht Klasse“ hat zum dritten Mal stattgefunden – oder wie es im Fachjargon heißt: „in der dritten Staffel“. Gefördert wird es von der Pricewaterhouse­Coopers-Stiftung für Jugend, Bildung, Kultur. Mit diesem dritten Durchgang endet vorerst die Förderung, im kommenden Jahr wird das Projekt nicht stattfinden. Fünf Klassen aus verschiedenen Berliner Oberschulen, sowohl Sekundarschulen als auch Gymnasien, haben sich pro Durchgang beteiligt.

Neu in diesem Jahr dabei ist die Gustav-Heinemann-Oberschule aus Marienfelde. Zeigen sollen die Schüler in den beiden Stücken „Another Op’nin, another Show“ und „Too darn hot“ ihr Können in den Kategorien Gesang, Choreografie und Ausstrahlung. Für diese Kriterien können die Juroren jeweils bis zu drei Punkte vergeben. Die Klasse mit den meisten Punkten bekommt dann den Grand Prix Award.

Es ist nicht schlimm, wenn mal ein Ton danebengeht

Bis es soweit ist, geben die Neuntklässler so ziemlich alles. Die Lust am Spiel ist den meisten anzusehen, und da macht es auch nichts, wenn dann doch mal ein Ton danebengeht oder die Tanzfolge etwas nach Freestyle aussieht. Juror Adam Benzwi, der an der Universität der Künste den Studiengang Musical/Show leitet, ist trotz kleiner Patzer begeistert: „Ich finde es überwältigend, wie sich Schüler, die kein spezielles Musikgymnasium besuchen, hier begeistern lassen. Und ich bewundere ihren Mut.“ Mit ihm in der Jury sitzen Ulrich Lenz, der Chefdramaturg der Komischen Oper, und Juliane Rasche, Chefmoderatorin bei RTL 104.6.

Nach zwei Stunden fällt dann die Entscheidung, und schon im Durchlauf des ersten Stückes kristallisiert sich, wenn auch knapp, ein Favorit heraus: Die Klasse 9d des Johann-Gottfried-Herder-Gymnasiums in Lichtenberg. Der Jubel auf der Bühne und im Publikum ist ohrenbetäubend, als der Zettel aus dem goldenen Umschlag gezückt und der Name verlesen wird.

Auch die Schüchternen wollten mal in der ersten Reihe stehen

„Echt, wir haben nicht damit gerechnet“, sagt Schülerin Emma hinterher, und es klingt nicht nach Koketterie. Nicht alle Schüler waren gleich begeistert von dem Projekt. Immerhin mussten sie außerhalb der Unterrichtszeit proben, sogar ein ganzes Probenwochenende gab es. „Aber der Einsatz hat sich gelohnt“, sagt ihre Mitschülerin Elena, „unser Gemeinschaftsgefühl ist viel stärker geworden.“ Und Engelina ergänzt: „Früher waren Jungs und Mädchen eher auf Abstand, aber mit dem Projekt ist das kein Problem mehr.“

Ihre Klassenlehrerin Alexandra Krebs hat beobachtet: „Die Kinder haben viel mitgenommen, sie sind selbstbewusster geworden und haben gelernt, etwas zu präsentieren.“ Die Schüchternen hätten sie besonders erstaunt. „Wenn es darum ging, wer in der ersten Reihe stehen soll, haben manche den Finger gehoben, von denen ich es nie gedacht hätte.“