Der ohnehin angespannte Berliner Wohnungsmarkt gerät durch die Flüchtlingswelle weiter unter Druck. Wohnungssenator Andreas Geisel (SPD) spricht im Interview mit der Berliner Morgenpost über die Neubaupläne des Senats und die Frage, wie schnell Unterkünfte für die Flüchtlinge entstehen sollen.
Berliner Morgenpost: Herr Geisel, Sie sind jetzt ein Jahr im Amt. Haben Sie sich die Arbeit mit den vielen Baustellen – S-Bahn, Wohnungsnot, Verkehrslenkung – so vorgestellt?
Andreas Geisel: Ja. Ich ahnte, was auf mich zukommt. Dass wir jetzt noch mal eine Verdoppelung des Einwohnerzuwachses bekommen haben, war so noch nicht vorherzusehen. Aber die Aufgaben, die Mietenentwicklung zu dämpfen, den Wohnungsbau anzukurbeln, die Energiewende voranzutreiben und den öffentlichen Nahverkehr auszubauen – das war schon klar.
Eine Reihe der Probleme wie der Mietenanstieg ist schon viele Jahre bekannt. Aber die Neubaupläne des Senates sind noch nicht so recht in Gang gekommen. Hat der Senat das Problem verschlafen?
Richtig ist, dass zwischen der Erklärung ‚wir müssen bauen‘ und der Realisierung des Planes jetzt leider drei Jahre vergangen sind. Wir haben 2014 rund 9000 neue Wohnungen fertiggestellt und rechnen für das Jahr 2015 mit 12.000 Fertigstellungen.
Öffentlich und privat gebaute?
Ja. In diesem Jahr sind 15.000 im normalen Wohnungsbau geplant, plus die Unterbringung für die Flüchtlinge. Insofern haben wir deutlich steigende Zahlen. Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften kommen endlich in Gang. Im vergangenen Jahr haben wir etwa 1400 kommunale Wohnungen gebaut, Ende dieses Jahres werden es circa 6000 Wohnungen sein. Die Anlaufphase ist überwunden.
Das heißt, nur gut zehn Prozent der neu gebauten Wohnungen, sind landeseigene Wohnungen ...
Die Lehre, die man daraus ziehen muss, ist doch die: Der Wohnungsmarkt funktioniert zyklisch. Wir sind aber gut beraten, nicht zyklisch zu agieren, sondern kontinuierlich zu bauen, um solche Engpässe zu vermeiden. Hinterher ist man immer schlauer.
Wie können Sie den Neubau forcieren?
Meine erste Aufgabe ist es, die Mietpreise zu dämpfen. Da haben wir jetzt alle Entscheidungen und Beschlüsse getroffen, die man treffen kann. Im Mai läuft zudem die Übergangsfrist bei der Zweckentfremdung aus. Da müssen wir sehen, dass wir mindestens die 6500 Wohnungen, die uns bis jetzt gemeldet sind, dem Wohnungsmarkt zur Verfügung stellen. Ohne Neubau werden wir aber das Problem des zu knappen Angebots nicht ändern. Deswegen müssen wir den Wohnungsneubau ankurbeln, indem wir die Grundlagen dafür schaffen. Wir haben kürzlich den Flächennutzungsplan geändert und die rechtliche Basis für den Bau von 6000 weiteren Wohnungen geschaffen. Außerdem werden wir in diesem Monat den städtebaulichen Wettbewerb für das Kurt-Schumacher-Quartier in Tegel starten. Das sind weitere 5000 Wohnungen im östlichen Bereich des Flughafengeländes. Nach der Schließung von Tegel soll es sofort losgehen.
Aber wird das reichen, um die Mieten spürbar zu dämpfen?
Ich bin nicht unzufrieden, aber gemessen an den Einwohnerzahlen müssen wir schneller und an verschiedenen Stellen besser werden. Außerdem müssen wir die bisherige Logik des Wohnungsbaus verlassen, immer mit geringer Dichte zu bauen. Das geht nicht mehr. Wir müssen höher und dichter bauen.
Heißt das, es entstehen neue Viertel wie das Märkische Viertel oder die Gropiusstadt?
Ich meine jetzt nicht so sehr Hochhäuser, das ist immer relativ teures Wohnen. Das Penthouse über den Dächern Berlins ist nicht so mein politisches Problem. Hochhäuser sind eher für Büros interessant, die wir auch brauchen. Büroflächen sind 2015 40 Prozent stärker nachgefragt worden als im Vorjahr. Wir spüren also ein deutliches Anziehen. Was ich mit Neubau meine, ist, dass wir die Traufhöhe verlassen sollten. Wenigstens um ein paar Etagen mehr. So kann man preissenkend und mit weniger Flächenverbrauch bauen. Obendrauf statt in die Fläche. Wenn die Bevölkerung Berlins in den nächsten 15 Jahren um mindestens 300.000 Menschen wächst, können wir nicht so weitermachen wie bisher.
Aber überall da, wo Sie schon jetzt verdichtetes Wohnen planen, ist der Widerstand der Anwohner besonders groß ...
Das ist wahr. Andererseits muss man auch sagen, dass viele Stadtquartiere in Kreuzberg, Schöneberg oder Mitte nach der Baunutzungsverordnung heute nicht mehr genehmigt würden, weil sie so dicht sind. Das sind aber heute die begehrtesten Wohnquartiere. Dichtes Bauen und Attraktivität schließen sich nicht aus. Es liegt an uns, wie wir das angehen. Ich bin dafür, da wo wir bauen, dichter zu bauen, und die Grünflächen, die wir haben, zu erhalten.
Eine große Freifläche ist der ehemalige Flughafen Tempelhof. Da ging es in den vergangenen Wochen etwas hin und her, wo welche Unterbringung für Flüchtlinge geplant ist. Was planen Sie da?
Es geht dort um die temporäre Unterbringung von Flüchtlingen, um sie vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Wohnungsbau spielt da keine Rolle. Die Frage ist, was 2016 passiert, wenn die Flüchtlingszahlen so bleiben. Schon jetzt besteht das Problem, dass der Koordinierungsstab zur Flüchtlingsunterbringung am Morgen nicht weiß, wo er abends die Menschen unterbringen soll. Da müssen wir in die Vorhand kommen.
Wie soll das geschehen?
Indem wir Flächen identifizieren, auf denen wir schnell Flüchtlinge in Traglufthallen unterbringen können. Eine Traglufthalle hat die Kapazität von drei oder vier Turnhallen. Sporthallen zu beschlagnahmen, ist keine gute Lösung, auch die Unterbringung in Hangars ist keine gute Lösung. Im Moment laufen die Diskussionen mit den Initiatoren des Volksentscheids gut. Es sieht so aus, dass wir die Flächen links und rechts vor dem Vorfeld nutzen können. Dafür muss das Tempelhofgesetz trotzdem geändert werden. Wir wissen aber jetzt noch nicht, ob wir das auch tatsächlich nutzen. Es wären Reserveflächen für Unterkünfte.
Müsste man nicht vor dem Hintergrund der vergangenen Flüchtlingswellen sagen, wir bauen gleich richtige Unterkünfte, weil die Flüchtlinge sowieso bleiben?
Das machen wir ja. Wir arbeiten gerade daran, an 60 Standorten in der ganzen Stadt 24.000 Menschen unterzubringen. Zwei Ausschreibungen verantwortet mein Haus: Eine erste für 80 Millionen Euro ist gelaufen, eine zweite für 100 Millionen folgt in Kürze. Wir fangen im Frühjahr an zu bauen, die ersten Unterkünfte werden im Herbst 2016 fertig sein, weitere folgen Ende 2016, Anfang 2017. Die Frage ist, wie wir übers Jahr 2016 kommen. Dafür brauchen wir die Notunterkünfte.
Konzentriert sich nicht alles zu sehr auf die Flüchtlingsunterbringung während die Probleme der Kleinverdiener, Studenten und alten Menschen vernachlässigt werden?
Das ist nur in der öffentlichen Wahrnehmung so. Die anderen Wohnungsbauprogramme laufen parallel weiter, und wir haben mit den Wohnungsbaugesellschaften verabredet, dass sie neue Wohnungen bauen oder kaufen, um ihren Bestand zu erhöhen, in dem die Mieter besonders geschützt sind. Das eine darf nicht gegen das andere ausgespielt werden. Wir reden derzeit auch mit den Bezirken über den Ausbau der Dachgeschosse. Da besteht ein Potenzial von 50.000 Wohnungen.