Essbare Stadt

Mitten in Berlin - Obst und Kräuter zum Selberernten

| Lesedauer: 4 Minuten
Johanna Ewald und Patrick Goldstein

Berlin ist für seine Vielseitigkeit bekannt. Es kann sogar selbst geerntet werden. Dabei gibt es allerdings drei Regeln zu beachten.

Wespen umschwirrten die Bundesforschungsministerin. Ameisen krabbelten ihr in die Sandalen. Doch um den Umfang landwirtschaftlicher Möglichkeiten einer Großstadt wie Berlin aufzuzeigen, scheute Johanna Wanka (CDU) am Montagnachmittag keine Mühe.

Sie lud zur „Stadternte“, einer Veranstaltung, die zeigt, dass Berlin voll ist von Obstwiesen, auf denen die Früchte nur warten, von den Bürgern kostenlos gepflückt zu werden. Die Aktion „ Stadternte“ neben dem Britzer Garten war Teil von „Wissenschaftsjahr 2015 – Zukunftsstadt“.

Gemeinsam mit der Online-Plattform mundraub.org soll so auf heimische Obstbäume, Nüsse und Kräuter aufmerksam gemacht werden. Eine interaktive Karte zeigt, wo auf Obst-Beute gegangen werden kann. Allein in Berlin sind 1443 Bäume und Sträucher registriert, die fleißig geerntet werden können. Damit ist Berlin im Vergleich zu den anderen Städten (Hamburg: 358; Köln: 598; München: 447) absoluter Spitzenreiter.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) richtet seit dem Jahr 2000 derartige Wissenschaftsjahre aus. Die Behörde sucht sich dafür Partner, etwa Bürgerinitiativen oder Institute, die im Alltag mit dem Thema des Wissenschaftsjahrs zu tun haben. 2015 ist es etwa die Öko-Initiative „Mundraub“ aus Berlin. So können Bürger bei Aktionen teilnehmen oder Veranstaltungen besuchen, auf denen sie erfahren, wie sich eine möglicherweise zunächst trocken wirkende wissenschaftliche Entwicklung direkt auf ihr eigenes Leben auswirkt.

"Wie will ich in 15 bis 20 Jahren in der Stadt leben?"

Trugen sie zu Beginn noch wenig ansprechende Titel wie „ Jahr der Physik“, „Jahr der Chemie“ und „Jahr der Technik“, ist bei „Zukunftsstadt“ klar, worum es geht. Das Ministerium will zeigen, wie das Zusammenleben der Bürger in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aussehen kann. Dabei geht es etwa um Ernährung und Verkehr. „Jeder Bürger soll durch diese Aktion angeregt werden“, so Wanka, „darüber nachzudenken: Wie will ich in 15 bis 20 Jahren in der Stadt leben - und dann seinen Stadtrat oder Lokalpolitiker mit seinen Wünschen nerven.“

Zum Beispiel in Umweltfragen: Das BMBF hat errechnet, dass in Städten drei Viertel der Energie verbraucht und 70 Prozent der von Menschen erzeugten Treibhausgase entastehen. Rundum grün und ganz ohne Energieaufwand dagegen funktioniert da die Nutzung jener Lebensmittel, die die Stadt ohne umweltschädliches menschliches Dazutun liefert. Auf einer Wiese neben dem Britzer Garten zeigte Bürgerinitiative „Mundraub“ am Montag der Ministerin, was eine öffentlich zugängliche Wiese in Bezirksbesitz kulinarisch zu bieten hat.

Drei Regeln für die Mundräuber

Bevor es losgeht, müssen die sogenannten „Mundräuber“ allerdings drei Regeln beachten: Sei gut zu Natur, nicht klauen – nur freigegebenes Obst pflücken, der Region etwas Gutes tun.

Diese drei Regeln beherzigt auch Franziska G. Seit drei Jahren geht sie nun regelmäßig das Städteobst ernten. „Dabei ist vor allen Dingen Schnelligkeit gefragt, denn gerade an zentralen Orten ist kurz nach Saisonbeginn schnell alles weg“, berichtet die Neuköllnerin. Wie in den letzten Jahren, schaut sie auch dieses Jahr wieder in Kreuzberg nach Holunder, Quitten und Äpfeln. Frisch geerntet, kocht sie dann die Früchte ein und macht unter anderem Marmelade für Freunde und Bekannte.

Stadtobst mit Schadstoffen

So romantische die Vorstellung auch ist, in der Stadt für die selbst gemachte Marmelade zu ernten – es gibt leider auch negative Aspekte. Eine Untersuchung am Institut der TU Berlin ergab 2012, dass Gemüse und Obst aus der Berliner Innenstadt erheblich mit Schadstoffen belastet sein können.

Im Vergleich zu den Standard-Supermarktprodukten sei das Gemüse um ein Vielfaches mehr mehr Schwermetallen belastet, so Dr. Ina Säumel, Leiterin der Untersuchung. Das träfe vor allen Dingen auf Obst und Gemüse zu, das in der Nähe von stark befahrenen Straßen angebaut wird. Allerdings variierten die Ergebnisse bei verschiedenen Gemüsearten so stark, dass keine allgemeine Aussage getroffen, welches Obst und Gemüse problematisch seien.

Säumel weist allerdings auf Forscher aus England hin. Sie fordern die ganzheitliche Sicht auf selbst geerntetes Gemüse. Dabei sollten die Bewegung an der frischen Luft, eine gemeinschaftliche Naturerfahrung und die Freude am Gärtnern beachtet werden.