Neukölln zieht nach. Auch in dem Bezirk mit vielen einkommensschwachen Familien soll es Milieuschutz für Mieter geben, deren Häuser saniert oder modernisiert werden. Jetzt hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) beschlossen, dass die erforderlichen sozialen Studien durchgeführt werden, die die Voraussetzung dafür sind. Zunächst in zwei Gebieten: noch in diesem Jahr im Reuterkiez, und im Frühjahr 2015 im Schillerkiez. Grüne, SPD, Piraten und Linke haben das Anliegen in der BVV durchgesetzt, gegen die Stimmen der CDU. Die Grünen hatten den Antrag Ende 2013 eingebracht.
Im Vorfeld gab es auch in der SPD-Fraktion Bedenken gegen die Untersuchungen zum Milieuschutz. Noch am 9. September lehnte sie den Antrag im Stadtplanungsausschuss ab. Doch kurz zuvor, auf der Klausur-Tagung der Neuköllner Sozialdemokraten am 7. September, gab es Befürworter des Anliegens. „Stadtentwicklung und Wohnen“ hieß das Thema des Treffens von Fraktion und Vorstand. Die Verdrängungsprozesse alteingesessener Mieter müssten minimiert werden, forderte Franziska Giffey, Neuköllns SPD-Kreisvorsitzende und Schulstadträtin. Es werde darum gehen, wie die Dynamik steigender Mieten durch Wohnungsneubau und Mietpreisbremse reduziert werden können. Die Möglichkeit für Milieuschutz sollte eröffnet werden.
Schon 2013 war ein erstes Gutachten zum Reuterkiez in Auftrag gegeben worden. Die Ergebnisse bestätigen, dass ein hoher Aufwertungsdruck im Gebiet existiert und dass die Gefahr besteht, dass langjährige Kiezbewohner ausziehen müssen, weil sie sich die hohen Mieten nicht mehr leisten können. Doch die Zusammensetzung der Bevölkerung soll erhalten bleiben: Das ist das Ziel des Milieuschutzes. Die Verdrängungstendenz, die sich im Reuterkiez abzeichnet, wird auch für den Schillerkiez erwartet, wegen der Nähe des Wohnviertels zum Tempelhofer Feld.
Rechtlich belastbare Daten sollen ermittelt werden
Die beiden Studien für Reuter- und Schillerkiez, die nun durchgeführt werden, sollen rechtlich belastbare Daten liefern. Wenn diese Studien ergeben, dass die Einführung einer sozialen Erhaltungssatzung sinnvoll ist, dann will die SPD Neukölln die Einführung des Milieuschutzes ermöglichen. Mit der Milieuschutzverordnung, so heißt es in der Erklärung der Sozialdemokraten, „kann das Bezirksamt Einfluss auf den Umfang von Modernisierungsmaßnahmen nehmen.“ Es kann bestimmte bauliche Veränderungen genehmigungspflichtig machen oder sogar untersagen.
Die Grünen-Fraktion begrüßt den Beschluss vom Mittwoch. Man habe einen Kompromiss mit der SPD gefunden und die Formulierungen aus der SPD-Klausur in den Antrag aufgenommen, sagte Jochen Biedermann, Fraktionsvize der Grünen. „Wir merken eine enorme Zunahme der Sanierungsvorhaben in Nord-Neukölln. Auch sehr aufwendige, luxuriöse Projekte sind dabei.“ Deshalb gebe es Handlungsbedarf.
In anderen Bezirken sind Milieuschutzverordnungen gängige Praxis, etwa in Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow. Dort ist es in den betreffenden Quartieren nicht erlaubt, kleine Wohnungen zu größeren zusammenzulegen, einen zweiten Balkon oder ein zweites WC einzubauen. Beide Bezirke haben in den vergangenen Monaten weitere Kieze unter Milieuschutz gestellt, zum Beispiel die Wohnsiedlung „Riehmers Hofgarten“ in Kreuzberg. Ende August hat Tempelhof-Schöneberg soziale Erhaltungsverordnungen für drei Gebiete erlassen: Barbarossaplatz/Bayerischer Platz, Bautzener Straße und für Kaiser-Wilhelm-Platz.