Sanierung

Warum die Staatsoper teurer und später fertig wird

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Volker Blech und Stefan Kirschner

Foto: Wolfgang Kumm / dpa

In die Grube gefallen: Senatsbaudirektorin Regula Lüscher muss bei der Sanierung der Staatsoper Unter den Linden erhebliche Mehrkosten einräumen und redet auf der Baustelle die Sanierung schön.

Ein neues Mantra trägt Senatsbaudirektorin Regula Lüscher fest vor sich her. Es lautet: „Die Meilensteine sind erreicht.“ Das sagt sie bei der Begehung der Staatsopern-Baustelle am Mittwoch und auch bei der anschließenden Sitzung des Bauausschusses. Lüschers Mantra suggeriert, dass alles wunderbar läuft auf der Baustelle in Mitte. Es ist die typische Berliner Entrücktheit in Bausachen.

Tatsächlich ist alles in die Grube gefallen. Die Kosten für die Sanierung der Staatsoper werden laut Lüschers neuen Zahlenspielen von bereits genehmigten 296 Millionen auf 389 Millionen Euro steigen. 93 Millionen Euro mehr: Das ist tatsächlich ein Meilenstein, auch wenn Lüscher etwas anderes meint mit dem Begriff. Und auch die Wiedereröffnung zögert sich weiter hinaus.

Im Frühjahr 2017 werden die Sanierungsarbeiten abgeschlossen sein, heißt es, sodass die Opernleute ihr Haus bereits ab dem Sommer ausprobieren können. Am 3. Oktober 2017 ist dann die große Eröffnungspremiere. Falls diesmal alles gut geht.

>> Kommentar: Berlin blamiert sich schon wieder

Das Opernensemble hat bereits 2010 seine Ausweichspielstätte im Schiller-Theater bezogen. Drei Jahre waren ursprünglich dafür vorgesehen. Seit einigen Monaten kommen die Opernleute auch ab und zu mal wieder für ein kleines künstlerisches Projekt auf die Baustelle. Intendant Jürgen Flimm möchte die Bindung zum alten Haus nicht abreißen lassen. Manche Mitarbeiter werden es gar nicht mehr kennen. Aber inzwischen soll Zuversicht ins Ensemble um den Stardirigenten Daniel Barenboim eingezogen sein. Jetzt ist vor allem Geduld gefragt.

Das Haus hat wieder ein Dach

Tatsächlich hat man am Mittwoch auf der Baustelle das Gefühl, das Allerschlimmste ist überstanden. Vielleicht, weil die Oper wieder ein Dach über dem Kopf hat. Lüscher nennt es einen Meilenstein. Mit Bauhelmen und Gummistiefeln laufen die Berliner Abgeordneten durch die kalte, graue Betonlandschaft. Zwischendurch hat die Bauverwaltung Informationstafeln aufstellen lassen. Das sollen die Meilensteine sein. Da steht drauf: „Historische Bodenbeläge“ oder „Neubau Dach Zuschauerhaus“. Zeichnungen mit neuen Stahlträgern werden erklärt.

Zwischendurch findet sich an einem Container draußen die frohe Botschaft: „Ihre Kantine ist eröffnet“. Es wird mit „leckerem Frühstück und reichhaltigem Mittagstisch“ geworben. Es sind schon viele Arbeiter zu sehen, im Opernhaus herrscht starker Baulärm. Der Verbindungstunnel zwischen dem Probenzentrum und dem Opernhaus lässt bereits ahnen, wie später einmal die Kulissen hindurchgeschoben werden statt wie früher über die Straße. Der teure Tunnel war in Verruf geraten, weil plötzlich uralte Baumpfähle im Untergrund auftauchten. Dafür gab es sogar mal eine eigene Pressekonferenz, in der ein Corpus Delicti ausgestellt wurde. Inzwischen wurde die Dämmschicht von anderthalb auf drei Meter Dicke aufgepumpt.

Das alles erklärt aber nicht die horrenden Mehrausgaben. Lüschers Rechnung weist allein 39 Millionen Euro wegen der Bauzeitverlängerung aus. 14 Millionen will man als Reserve zurücklegen. Allein 24 Millionen Euro entfallen auf die eingetretenen Bestands- und Baugrundrisiken. Es wurde fast doppelt soviel Mauerwerk abgerissen wie ursprünglich geplant. Zu Kostensteigerungen führten auch die Sicherungsmaßnahmen, damit die benachbarte St.-Hedwigs-Kathedrale nicht beschädigt wird. Im Sitzungssaal der Kathedrale tagt nach der Begehung auch der Bauausschuss. Die Kollegen vom Kulturausschuss und vom Hauptausschuss sind hinzugeladen. Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) ist gekommen. Über die Meilensteine gibt es viel zu diskutieren.

Bund wollte kein Musiktheaterbetreiber sein

Oder zu schweigen. Der Bund wollte sich am Mittwoch zu den Kostensteigerungen bei der Staatsoper eigentlich nicht äußern. Es wäre schön, wenn die Sache – auch durch die bereits gewährte Unterstützung durch den Bund – bald fertiggestellt werden könnte, hieß es lapidar. Mit 200 Millionen Euro unterstützt der Bund die Sanierung – und hätte sie nach der ursprünglichen Planung damit weitgehend selbst finanziert. Dass es jetzt angesichts der Kostenexplosionen zu Erhöhung des Bundeszuschusses kommt, schloss ein Sprecher von Kulturstaatsministern Monika Grütters (CDU) aus.

Es wäre wohl auch keinem Parlamentarier zu vermitteln. Schließlich hatte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages erst Ende November 200 Millionen Euro für den Neubau eines Museums der Moderne auf dem Areal des Kulturforums bewilligt, damit die Bestände der Nationalgalerie und die von mehreren Sammlern überlassenen Exponate angemessen präsentiert werden können.

Ursprünglich wollte Berlin gleich die ganze Staatsoper (samt Personal) an den Bund geben. Der lehnte aber ab, wollte nicht auch noch als Musiktheaterbetreiber auftreten. Also gab es in den Verhandlungen rund um das Jahr 2000 schließlich einen Kompromiss: Der Bund zahlt 200 Millionen Euro für die Sanierung, Berlin die restlichen 40 Millionen Euro, darin waren sogar die Gelder für den Umbau des Schiller-Theaters als Ersatzspielstätte enthalten. Der Zuschuss des Bundes wurde gedeckelt– eine sehr vorausschauende Entscheidung des Bundes.

Dass diese optimistische Rechnung nicht aufgeht, zeichnete sich bereits mit den ersten Verzögerungen ab. Da hieß es zwar noch vollmundig, dass Bauverzögerungen nicht zwangsläufig zu Kostensteigerungen führen müssten. Parallel dazu aber wurde die Staatsoper angehalten, ihre Ausstattungswünsche abzuspecken, um Mittel einzusparen. Der Druck kam auch vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der zumindest am Anfang den Kostenrahmen halten wollte.

„Öffentlichkeit wurde belogen“

Wolfgang Brauer, kulturpolitischer Sprecher der Linken, spricht jetzt von einem „unerhörten Skandal“. Der Senat habe „wissentlich die Öffentlichkeit belogen“. Brauer fordert einen Untersuchungsausschuss, damit das Parlament „die Akten einsehen und Verantwortliche befragen kann“.

So weit gehen die anderen Oppositionsparteien im Abgeordnetenhaus nicht. Die Probleme seien „hausgemacht“. Für den scheidenden Bausenator und künftigen Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) drohe die Staatsoper zum „Mini-BER“ zu werden, erklärten die Grünen-Politiker Andreas Otto und Sabine Bangert. Das Projekt sei unzureichend vorbereitet worden. „Wer einfach drauflos baut, darf sich nicht wundern, wenn es böse Überraschungen gibt“, erklärten die Grünen. Martin Delius von den Piraten forderte die Bauverwaltung und das Architekturbüro HG Merz auf, dem Parlament umfassende Informationen zu geben. Es müssten die Ursachen für die Mehrkosten geklärt werden.

Mantra-Expertin Lüscher hat noch eine Überraschung in der Hinterhand. Die Staatsoper wird in Etappen wieder eröffnet. Das Haupthaus eröffnet 2017, hingegen sollen das Probenzentrum, die Intendanz und der Tunnel bis Frühjahr 2016 fertig gestellt sein. Im Sommer beginnt dann die Erprobungsphase. Nicht ganz zufällig wird im Herbst 2016 im früheren Magazin, also gleich nebenan, die neue „Barenboim Said Akademie“ für junge Musiker aus dem Nahen Osten eröffnet.

Berlins künftiger Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) will nun Konsequenzen ziehen. Künftig sollen Bauarbeiten erst dann beginnen, sagte er am Donnerstag im RBB, wenn alle wichtigen Planungen abgeschlossen seien. Laut Geisel sagten Fachleute heute etwa, sie hätten vorher gewusst, dass die Bausubstanz bei der Staatsoper schwierig sei.