Vom Bahnhof Grunewald aus deportierten die Nazis Juden in die Vernichtungslager. Am Mittwoch gedachten 450 Menschen der Opfer der Todestransporte.

Rund 450 Menschen haben am Mittwoch in Berlin an den Beginn der nationalsozialistischen Deportationen von Juden aus Berlin vor 73 Jahren erinnert. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sagte bei der Gedenkfeier am Denkmal „Gleis 17“ im Bahnhof Berlin-Grunewald, die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten wachzuhalten, bleibe eine immerwährende Verpflichtung. Das Schweigen der Mehrheit gegenüber der Ausgrenzung von Juden habe in der NS-Zeit die Deportationszüge in die Gaskammern erst rollen lassen. Deshalb komme es heute auf jeden Einzelnen an, seine Stimme gegen Antisemitismus und Judenhass zu erheben.

Am 18. Oktober 1941 verließ der erste sogenannte Osttransport den Berliner Bahnhof Grunewald in Richtung Litzmannstadt, heute Lodz. An Bord waren 1.089 jüdische Kinder, Frauen und Männer. Insgesamt wurden in der NS-Zeit mehr als 50.000 Berliner Juden ermordet. Ab 1942 fuhren Deportationszüge auch vom Anhalter Bahnhof und vom Güterbahnhof Moabit. Ziele waren Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager unter anderem in Minsk, Riga, Warschau, Theresienstadt, Sobibor und Auschwitz.

Der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, erinnerte auch an die Mitverantwortung der Deutschen Reichsbahn an den Deportationen. Mit Blick auf den aktuellen Streik der Lokführer stellte Nachama die rhetorische Frage, was gewesen wäre, wenn einige Lokführer in der NS-Zeit gestreikt hätten.

„Gedenken bedeutet Courage gegen Intoleranz“

Auch der Antisemitismus-Beauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Daniel Alter, stellte die Frage, warum so viele Deutsche in der Nazizeit geschwiegen hätten oder sich gar zu Werkzeugen der Nationalsozialisten machen ließen. Gedenken an die Opfer bedeute heute, Courage gegen Intoleranz zu beweisen, sagte Alter, der selbst zusammen mit seiner Tochter im August 2012 Opfer eines antisemitisch motivierten Angriffes geworden war. Der Vorfall hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt.

Die Gedenkrede hielt die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer. Die heute 93-Jährige lebte bis zu ihrer Verschleppung in das KZ Theresienstadt 1944 im Untergrund in Berlin. Zudem trugen Schüler selbst recherchierte Biografien von Deportierten vor. Im Gedenken an die Münchner Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ legten die Gäste zum Ende der Veranstaltung Hunderte weiße Rosen am Bahnsteig nieder. Das Denkmal „Gleis 17“ wurde von der Deutschen Bahn 1998 als Mahnmal zur Erinnerung an die Rolle der Reichsbahn im Dritten Reich errichtet.

An der Gedenkveranstaltung nahmen mehrere Abgeordnete, unter anderem Bundestagspräsidentin Petra Pau (Linke), Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) sowie die Schriftstellerin Inge Deutschkron teil. Außerdem waren Angehörige der Familie Rosenthal anwesend. Der zehnjährige Gert Rosenthal, Bruder des späteren Fernseh-Entertainers Hans Rosenthal, wurde am 19. Oktober 1942 mit anderen Kindern aus einem Berliner Waisenhaus nach Riga deportiert und ermordet. Hans Rosenthal leistete zunächst Zwangsarbeit und versteckte sich ab 1943 bis zum Kriegsende in einer Berliner Laubenkolonie.