350 Produkte bietet das Geschäft „Original Unverpackt“ an – ohne Verpackung. Nudeln werden in Beutel gefüllt, Wodka in mitgebrachte Flaschen. Teurer als im normalen Supermarkt sind die Produkte nicht.

Ein später Aufruf in die Kreuzberger Nacht: „Wenn ihr gerade in Kreuzberg rumirrt und was Gutes tun wollt: Kommt vorbei. Wir brauchen noch Hilfe“, schreibt Milena Glimbovski über Twitter. Die Lichter in dem Laden an der Wiener Straße haben auch in der vergangenen Nacht wieder lang gebrannt.

Bis drei Uhr haben Sara Wolf und Milena Glimbovski gearbeitet. Auch Fremde kamen. Sie standen plötzlich im Laden und wollten helfen. „Ich weiß nicht, ob man es sieht“, sagt Sara Wolf und zeigt auf ihre Augen, „aber wir schlafen zur Zeit nicht besonders viel“.

Nudeln und Gummibärchen selbst abfüllen

Die 31-jährige Sara und die 24-jährige Milena, beide nicht aus der Lebensmittelbranche, wollen am Sonnabend ihren eigenen Supermarkt eröffnen. Einen, der ohne Verpackungen auskommt. In dem man Gläser, Flaschen und Beutel selbst mitbringt und sich Nudeln, Gummibärchen und Wodka abfüllt.

Die Idee, der sie den Namen „Original Unverpackt“ gegeben haben, entstand, wie wohl die meisten Ideen entstehen: „Wir haben einfach ein bisschen rumgesponnen und kamen darauf, dass wir von einem zu viel auf der Welt haben: Verpackungen“, erzählt Milena Glimbovski, beim Pressegespräch. Es gibt vegane Schnitten, Bionade und Sojamilch zum Kaffee.

Die Journalisten sitzen auf Holzpaletten und kleinen Hockern und es ist mehr ein gegenseitiger Erfahrungsaustausch über den Versuch nachhaltig zu leben, als das klassische Frage-Antwort-Spiel. „Wir wollen so gut wie möglich leben, aber bei dieser einen Sache, die wir täglich machen, einkaufen gehen, da schaffen wir es einfach nicht“, sagt Glimbovski.

Anderthalb Jahre nach den ersten Gedankenspielen haben sie es geschafft: 115.000 Euro sind über Crowdfunding zusammengekommen, zudem gibt es einige private Unterstützer – darunter ein Tatort-Schaupieler. Wer es ist, wollen sie nicht verraten. Der Supermarkt, der in zwei Tagen eröffnen soll, bietet 350 Produkte an, die ohne Verpackung oder nur mit Mehrwegglas auskommen.

Preise wie im normalen Supermarkt

An den Wänden des Geschäfts, das vor 120 Jahren mal eine Metzgerei war, hängen in langen Röhren Reis in den Sorten Vollkorn, Jasmin und Duft, Nudeln, Müsli. Aber auch Lakritze und Gummibärchen. In Regalen stehen silberne Behälter mit Zapfhahn. Sie sind gefüllt mit Olivenöl, Balsamicoessig oder Sonnenblumenöl. Die Gefäße zum Abfüllen kann der Kunde dort ab einem Euro kaufen oder sie direkt von zu Hause mitbringen.

Vieles ist noch unfertig. Das Bier ist noch nicht geliefert, das bauchige Wodkaglas mit Zapfhahn ist leer, ebenso das Brotregal. Preisschilder gibt es auch noch keine. Man vermutet, die Waren könnten teuer sein, aber: „Man mag es nicht glauben: Verpackungen und das Marketing kosten Geld“, sagt Sara Wolf. Geld, das sie einsparen.

„Deswegen können wir preislich mit konventionellen Supermärkten mithalten“ – obwohl 80 Prozent der angebotenen Waren Bioprodukte sind. Vieles kommt von regionalen Erzeugern. Es gilt das Motto so nah wie möglich. Da das Berliner Klima für Orangen nicht sehr geeignet ist, müssen es zwar Früchte aus Spanien sein. Nicht aber aus Übersee.

Zahnpasta ohne Verpackung - wie geht das?

Eigentlich hatten Sara Wolf und Milena Glimbovski ein größeres Sortiment in einem größeren Geschäft im Sinn. Aber die Suche nach einer passenden Immobilie war schwierig. „600 Produkte sollen es aber schon irgendwann mal werden“, sagt Wolf. Sie nennen sich schließlich Supermarkt.

Doch die eigentliche Herausforderung war es, Lieferanten zu finden, die mit dem Konzept von „Original Unverpackt“ vereinbar waren. Zahnpasta ohne Verpackung? Gummibärchen oder Wodka? Einige wichtige Fragen stellten sich: Nimmt der Lieferant das Gefäß, in dem die Waren angeliefert wurden, wieder zurück? Gibt es die Möglichkeit, die Produkte in Mehrwegverpackungen zu verpacken? Können die Paletten statt mit Plastik umwickelt zu sein, einfach mit Gurten zusammengehalten werden, die wieder benutzt werden können?

„Wenn die Antwort dann ‚Nein‘ war haben wir weitergeschaut“, sagt Milena Glimbovski. Was nicht geht, geht nicht. Oder noch nicht: „Produkte für die wir keine Lösung gefunden haben, machen wir in Zukunft einfach selbst.“ Ihre Partnerin hat eine große Hoffnung. „Wenn wir mal mehrere Läden haben, könnten wir die Lieferanten dazu zu bringen, ihre Lieferketten zu verändern“, sagt Wolf. Für die Zahnpasta haben die beiden eine Lösung gefunden: Sie verkaufen sie nun in Form einzelner Tabletten.

Zehn Euro für Toilettenpapier

Doch die Gründerinnen kamen auch an Grenzen. Bei Fleisch zum Beispiel. Hier erlauben es Hygienevorschriften nicht, die Ware in selbst mitgebrachte Gefäße zu füllen. Oder Toilettenpapier. Bisher haben sie dafür keine Alternative gefunden. Noch nicht. „Es gäbe da schon einen Weg. Aber würden Sie zehn Euro für Toilettenpapier bezahlen?“, fragt Sara Wolf.

Die Nachbarschaft des kleinen Supermarktes ist gut gewählt. „Supermarché“ verkauft nebenan fair produzierte Kleidung. Ohnehin ist Kreuzberg wohl der richtige Bezirk, um ein Konzept wie „Original Unverpackt“ zu testen. „Wir wollen auf jeden Fall mit den Kunden in Kontakt kommen“, sagt Sarah Boeck, die die Pressearbeit für den Supermarkt macht.

„Wir wollen nach den Vorbehalten fragen, danach was die Leute stört.“ Wiegen, abfüllen, spülen, aufbewahren – der Einkauf bei „Original Unverpackt“ ist jedenfalls nichts für Menschen, die es schnell mögen. Aber zu einem guten Leben gehört wohl auch, sich Zeit zu nehmen.