Bildung

Für Berlins Grundschulen gibt es mehr Anmeldungen als Plätze

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Tanja Laninger

Aktuelle Zahlen legen nahe, dass es in Berlin an Grundschul-Plätzen mangelt. Doch die vermeintliche Lücke zwischen Platzzahlen und Anmeldungen kommt häufig auch durch das Taktieren der Eltern zustande.

In den Pankower Grundschulen wird es wieder eng. Für das kommende Schuljahr 2014/15 haben sich 4583 Erstklässler – inklusive Rücksteller – angemeldet. Zur Verfügung stehen aber nur 3807 Plätze. Auch in Reinickendorf gibt es mehr Anmeldungen (2608) als Plätze (2391).

Die Zahlen gehören zu einem Konvolut an Daten, die sich aus der Beantwortung zweier schriftlicher Anfragen der SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck und Burgunde Grosse ergaben. Ihr Ziel war es, über die Anmeldezahlen zu den Grund- und Oberschulen sowie die Wechselwünsche herauszubekommen, welche Berliner Schulen unbeliebt sind und schlecht.

Die Absicht war ehrenhaft: „Diesen Schulen muss geholfen werden, damit ihre Schüler nicht von Anfang an auf dem Abstellgleis stehen“, sagt Langenbrinck. Doch die Rechnung ging nicht auf. Denn hinter hohen Differenzen bei Platzzahl und Anmeldung oder Ab- und Zugängen verbergen sich unterschiedliche Beweggründe der Eltern.

Die Senatsverwaltung für Bildung macht zudem auf Doppler aufmerksam: „Das Ungleichgewicht zwischen Anmeldezahlen und Plätzen kommt dadurch zustande, dass Eltern ihre Kinder teilweise an unterschiedlichen Schulen anmelden, also mehrfach“, erklärt Sprecher Thorsten Metter. So sind die Anmeldezahlen viel größer als die Zahl der Plätze – und auch als die Zahl der Kinder.

Beispiel Reinickendorf: Schulstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU) sagt, dass man von den Zahlen nicht auf Brennpunkte schließen könne. Es gebe sehr wohl Schulen, von denen mehr Eltern ihre Kinder wegnähmen als anmeldeten. „Doch meist liegt es daran, dass ihnen das Profil der anderen Schule besser zusagt. Oder sie haben organisatorische Gründe, wollen Geschwister an einer Schule unterbringen.“

Beispiel Pankow: In der Tesla- und in der Wilhelm-von-Humboldt-Schule liegt bei 26 und 72 Plätzen laut Statistik keine einzige Anmeldung vor. „Das ist richtig, denn die beiden Schulen haben kein Einzugsgebiet, weil es Gemeinschaftsschulen sind“, erklärt Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD), „dort können sich alle bewerben.“ Doch diese Bewerbungen laufen über andere öffentliche Schulen im Einzugsgebiet. Die Stadträtin versichert, dass alle Plätze an beiden Schulen belegt sein werden.

„Doch die Schulen sind dramatisch voll“, sagt Stadträtin Zürn-Kasztantowicz, „wir kommen nicht hinterher mit dem Schaffen von Plätzen.“ Dabei seien allein in ihrer Zeit als Dezernentin mehr als 4000 Grundschulplätze dazugekommen. Die Hürden seien: fehlende Grundstücke, fehlende Mittel. Zudem dauere es sehr lange, bis eine Investitionsplanung verwirklicht werde.

Andrang durch Zuzügler

Ein anderes Beispiel ist die Grundschule am Weißensee. Sie hat 182 Anmeldungen bei nur 104 Plätzen, man könnte sie für eine besonders beliebte Schule halten. Doch Zürn-Kasztantowicz ist an solchen Etikettierungen nicht interessiert. „In der Umgebung wird gebaut wie verrückt. Die Geburtenzahl steigt nicht so stark, das sind alles Zuzüge.“ Insgesamt müssen für die Erstklässler 2014/15 in Pankow an 15 Schulen zusätzliche Klassen aufgemacht werden.

Die Modulbauten sind auch der Grund, dass es an der Mendel-Grundschule in Pankow weniger Anmeldungen (111) als Plätze (121) gibt, so Zürn-Kasztantowicz: „Die Schule ist nicht unbeliebt – sie hat mit kommendem Schulbeginn zwei neue Klassen mehr und langfristig sogar zwölf neue Klassenräume“. Nun räumt auch die Stadträtin ein, dass es Schulen gibt, in denen Schulinspektoren Kritikpunkte sehen. Doch benennen möchte sie diese nicht. „In der Regel werden in der Schule große Anstrengungen unternommen, um das zu ändern. Das gelingt. Man würde bei der Namensnennung die Eltern beunruhigen.“

Die SPD-Abgeordneten Langenbrinck und Grosse wollen Problemschulen nicht totschweigen. Grosse berichtet von der Sekundarschule am Staakener Kleeblatt, wo es nur sieben Anmeldungen gegeben habe. Der Bezirk jedoch hat auf die Anfrage gar keine Daten geliefert, genauso wenig wie Mitte – die Zeit reichte nicht. Grosse, die ihren Wahlkreis in Spandau hat, berichtet, dass an der Schule schlechte Rahmenbedingungen herrschten, und spricht von fehlender Zusammenarbeit im Kollegium. „Das Problem ist schon bekannt, aber es passiert nichts“, sagt sie verärgert.

Unbeliebte Schulen verbessern

Grosse und Langenbrinck haben konkrete Vorstellungen: „Wenn eine Schule für Eltern und Schüler unattraktiv ist: Schule schließen, Leitung und Lehrer raus, motivierte Leute mit frischen Ideen rein und Schule wieder öffnen.“ An der Rütli-Schule in seinem Bezirk hat das funktioniert. Dort gab es nach einem Brandbrief der Schulleiterin 2006 einen Personal- und Kurswechsel, die Schule wurde Modell des Vorhabens „Ein Quadratmeter Bildung“. In der Statistik ist die Zahl der Erstklässler-Anmeldungen von 66 im Jahr 2012 auf nun 89 gestiegen.

Reinickendorfs Stadträtin Schultze-Berndt sieht es ebenfalls als wichtigste Aufgabe an, „den Schwächeren zu helfen und die Stärkeren zu fördern, um alle Potenziale auszuschöpfen“. Dazu müsse man bildungsstarke Eltern in einem schwierigen Kiez halten. Eine Möglichkeit seien die Deutsch-Garantiert-Klassen, die als vermeintliche „Elite-Klassen“ heftig diskutiert wurden.

Langenbrinck fordert weitere Debatten darüber, wie man mit unattraktiven Schulen umgeht: „Nicht die Augen vor unbequemen Wahrheiten verschließen, sondern die Probleme klar benennen. Unattraktive Schulen müssen wieder sexy werden, damit Eltern und Schüler keinen Bogen mehr um sie machen.“