In einer Kreuzberger Fabriketage bauen junge Israelis Gemüse und Kräuter an – ganz ohne Erde und Sonne. Sie wollen landwirtschaftliche Produkte für die Gastronomie in der Stadt herstellen.
Ein bisschen sieht es ja aus wie in Omas guter Stube mit den vielen Zimmerpflanzen. Aber die High-Tech-Apparatur hinter Drachenbaum und Efeu mit all den Schläuchen und Scheinwerfern verrät, dass hier mehr als nur Grünkultur im Heim gepflegt wird. Auf einem Hinterhof in der Glogauer Straße in Kreuzberg betreibt Guy Galonska mit seinem Bruder Erez und dessen Freundin Osnat Michaeli „Infarm“. Man vermutet schon, es muss was mit „drinnen“ und „Grünes anbauen“ zu tun haben. Und das hat es auch. Infarm ist eine „Indoor Farming Company“, wie es die drei Israelis auf Neudeutsch nennen. Eine kleine Firma, ein Start-up also, dass Dinge anbaut, die man essen kann. Und zwar ohne Sonne und Erde. Nichts weniger, als die urbane Lebensmittelversorgung revolutionieren, wollen die drei damit.
Und da man die meisten Zimmerpflanzen nicht essen kann, bauen sie vor allem Sprossen, Keimlinge und ausgefallene Kräuter wie Zimtbasilikum an. Aber auch mal einen Kürbis. Die Pflanzen hängen in alten Karteikästen, die an die prädigitalen Kataloge der Staatsbibliothek erinnern, an einer Gitterwand, angeschlossen an einen großen Wasserkanister. „Unser Ziel ist es, frisches Essen in die Stadt zu bringen, dort Nahrung anzubauen und neue Geschmäcker zu entdecken“, erklärt Guy Galonska.
Vor knapp zwei Jahren zog der 25-Jährige mit Bruder und Schwägerin aus Tel Aviv nach Berlin, mit der Idee, hier Infarm aufzubauen. „Wir hatten einen Plan – das unterscheidet uns ja schon mal von anderen, die in Berlin ihr Glück versuchen“, lacht er. In Israel habe es zu einem solchen Projekt gar keine Notwendigkeit gegeben, sagt Guy. Sonne gibt es genug, alles wächst draußen. Aber in Berlin? „Hier kommt das Obst aus Spanien.“ Und die Auswahl sei im Supermarkt ja auch eher begrenzt, da wisse man gar nicht, dass es so etwas wie Zimtbasilikum überhaupt gibt.
Pflänzchen aus dem Brutschrank
Erfahrung mit Landwirtschaft hatten alle drei kaum. Guy studierte Chinesische Medizin und arbeitete als Koch, Erez und Osnat kommen aus der Filmindustrie. Aber alle drei verband der Traum, selbstversorgend zu leben. „Aufs Land wollten wir aber nicht, wir sind Stadtkinder“, sagt Guy lächelnd. Berlin gefiel ihnen, die Leute seien hier entspannter und offener für Experimente als anderswo. Die drei betrieben viel Recherche über das Indoor-farming und entwickelten schließlich ihr Geschäftskonzept. Gezogen werden alle Pflänzchen im „Lab“, einem in rosa Licht getauchten Experimentierlabor. Statt normaler Gartenerde wird hier ein Substrat aus Kokosfasern verwendet, das keine Pilze und Bakterien enthält, was oft zum Absterben junger Pflanzen führt.
In winzige Töpfchen von der Größe eines Überraschungseis wird dieses gefüllt, dann kommt es mit den Samen zunächst in einen Inkubator. Im Brutschrank herrscht eine gleichmäßig feuchte Wärme, was die Samen sehr schnell treiben lässt. Die kleinen Stengel werden dann unter LEDs alle zwei Stunden von unten mit Wasser versorgt. „90 Prozent Wasser spart man auf diese Weise“, erläutert Guy. „Außerdem wachsen die Pflänzchen etwa 60 Prozent schneller.“
Ein „Mikrogarten“ für das Bikini Haus
Die jungen Hobbybiologen entwickeln auch Indoor-Farms für Unternehmen, im „25Hours Hotel“ im Bikini Haus etwa haben sie so einen „Mikrogarten“ angelegt. Dort wachsen „Microgreens“, Keimpflanzen aus verschiedenen Gemüsesorten, 40-mal nährstoffreicher als die reife Pflanze. Weizengras etwa ist so eine Keimpflanze. Das Keimen funktioniert meist nur mit Biosamen, die auch bei Infarm verwendet werden. Denn konventionelle Samen sind oft nicht mehr keimfähig. Auch in der Markthalle Neun sind die drei Tel Aviver mit einem Stand vertreten.
Dass Infarm so gut angenommen wird in der Stadt, liegt sicherlich auch an der Homebase des Unternehmens. In der ausgebauten Fabriketage mit nachlässig weiß verputzten Ziegeln müssen sich hippe Kreuzberger einfach wohlfühlen. Ein Podest aus Euro-Paletten mit vietnamesischen Strohmatten lädt in eine gemütliche Sofaecke. Ein Staubsauger und vereinzelt herumliegende Gegenstände zeugen noch von den Ereignissen der letzten Nacht, als in dem Industrieloft mal wieder ein Event stattfand. Eines dieser Berliner Mischevents aus Ausstellung, interaktivem Vortrag und gemeinsamem Abendessen. Oft finden hier Supper Clubs statt, dann wird der weitläufige Raum für einen Abend zum Restaurant mit geladenen Gästen. Erst am vergangenen Wochenende gab es einen, mit einem Südtiroler Koch, der seine Speisen natürlich mit den heimischen Keimpflänzchen verfeinerte.
Ein eigenes Café
Im Nebenraum, dem mit den Zimmerpflanzen, eröffnete am Montag das „Infarm Café“ wieder. „Im Februar hatten wir schon mal kurz auf“, erzählt Guy. „Aber das wurde einfach zu viel, wir hatten keine Kapazitäten neben der Entwicklung und dem Unternehmensbetrieb.“ Jetzt aber haben sie sich Verstärkung geholt, und nun kann man tagsüber zwischen all dem Grün an Cappuccino oder Weizengrassaft nippen.
Grob zu Quadern gehauene Baumstämme dienen als Tische oder Hocker, der Malertisch am Rand mit all den Laptops, das Infarm-„Office“, verströmt kreativ-legere Atmosphäre. Und die unter künstlichem Licht wachsende Grünfront an der Wand weckt bewusstseinserweiternde Assoziationen. In der Tat: „Unsere Technik ist eigentlich der des heimischen Marihuanaanbaus ähnlich. Wir haben eine Menge davon gelernt“, bestätigt Guy, dann lacht er. „Aus dem Internet natürlich!“