In Berlin fehlen bis zum Beginn des neuen Schuljahres rund 2000 Lehrer: Um Abbhilfe zu schaffen wurden nun Pädagogen aus allen Bundesländern in das Rathaus Tiergarten eingeladen – zum Lehrercasting.

Stefanie Mersch ist zufrieden. „Das Casting ist gut gelaufen“, sagt sie. Es sei ganz angenehm und entspannt gewesen, trotz der vielen Menschen in dem großen Raum. Ob es geklappt hat mit einer Stelle in Berlin, wird die junge Lehrerin zwar erst in den kommenden Tagen erfahren. „Ich habe aber ein gutes Gefühl“, sagt sie.

Stefanie Mersch kennt Berlin bisher nur als Touristin. Sie ist in Dortmund aufgewachsen und hat in Essen studiert: Lehramt für Biologie und Deutsch. Im April hat sie ihr Studium abgeschlossen. Seitdem arbeitet die 28-Jährige als Vertretungslehrerin an einer Hauptschule in Nordrhein-Westfalen (NRW). Im neuen Schuljahr würde sie gern in Berlin als Lehrerin anfangen. Gern auch an einer Grundschule. „Auch im sozialen Brennpunkt.“

Stefanie Mersch würde auch in NRW eine feste Stelle bekommen. Doch weil ihr Lebensgefährte eine Arbeit in Berlin angenommen hat, will jetzt auch sie in die Hauptstadt wechseln. Vor einigen Wochen hat sie sich deshalb bei der Berliner Bildungsverwaltung beworben. Dass sie in Berlin anders als in NRW nicht verbeamtet werden würde, stört die junge Frau nicht. „Ich will mich ohnehin noch nicht festlegen“, sagt sie.

600 Bewerber von außerhalb

Zum Schuljahresbeginn im August müssen in Berlin etwa 2000 Lehrer eingestellt werden. Laut Beate Stoffers, Sprecherin von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), konnten viele Stellen bereits besetzt werden. „Bisher gab es 16 regionale Castings“, sagt Stoffers. Bei diesen Bewerbungsrunden hätten sich auch Quereinsteiger vorstellen können. Immerhin haben sich bis Ende Mai etwa 3300 Akademiker für eine Stelle im Berliner Schuldienst beworben.

Nach den regionalen Bewerberrunden fand am Donnerstag nun das erste zentrale Lehrercasting statt. Eine Mehrheit der angereisten Pädagogen kamen wie Mersch aus Nordrhein-Westfalen, viele andere kamen aus Bayern und Baden-Württemberg nach Berlin. Im Bürgersaal des Rathauses Tiergarten wurden die jungen Menschen von 100 Grundschulleitern empfangen, die alle noch dringend Lehrer suchen.

Laut Sprecherin Beate Stoffers haben sich seit April etwa 600 Bewerber aus andern Bundesländern bei der Bildungsverwaltung gemeldet. „Pro Woche kommen etwa 30 Bewerbungen hinzu“, sagt Stoffers. Am Montag werde deshalb ein zweites zentrales Casting stattfinden, ebenfalls im Rathaus Tiergarten. Auch in diesem Casting werde es ausschließlich darum gehen, Grundschullehrer zu vermitteln.

Es sind vor allem die Grundschulen, die noch immer händeringend Lehrer suchen. Bei den regionalen Castings haben die Schulleiter feststellten müssen, dass kaum ausgebildete Grundschulpädagogen unter den Bewerbern sind. Die anderen, Studienräte und Lehrer mit zwei Fächern, wollen lieber am Gymnasium arbeiten oder an einer Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe. Vor Grundschulen mit ihrer heterogenen Schülerschaft und teilweise vielen Kindern nicht deutscher Herkunft, schrecken sie zurück. Für viele zählt auch, dass Oberschullehrer noch immer einen besseren Ruf haben als Grundschulpädagogen.

Schulen am Stadtrand nicht gefragt

Dabei werden allein an den Grundschulen mindestens 1000 Lehrer benötigt. Das hat damit zu tun, dass viele Kollegen jetzt in den Ruhestand gehen. Ein großer Teil der Grundschulen sucht deshalb nicht nur einen oder zwei Lehrer, sondern gleich sieben oder acht. So ist es auch an der Hans-Fallada-Schule in Neukölln. Schulleiter Carsten Paeperer muss mindestens acht neue Kollegen für die 400 Schüler seiner Schule einstellen.

In Außenbezirken wie Marzahn-Hellersdorf oder Spandau haben die Schulen ein zusätzliches Problem. Kaum jemand will an einer Schule in Stadtrandlage arbeiten. Da sich die Bewerber derzeit aussuchen können, wo sie hingehen möchten, werden diese Schulen meist links liegen gelassen.

Mehr und mehr Grundschulleiter fürchten inzwischen um ihr Schulkonzept. Können sie die vielen offenen Stellen nicht besetzen, sind Projekte und besondere Lernformen in Gefahr. So ist es auch an der Hans-Fallada-Grundschule. Die Einrichtung an der Harzer Straße in Neukölln liegt mitten im sozialen Brennpunkt. Der Anteil von Schülern nicht deutscher Herkunft beträgt 92 Prozent. Mehr als 80 Roma-Kinder lernen an der Schule. Das Kollegium hat all diese Herausforderungen angenommen und ein Schulprogramm entwickelt, das sich sehen lassen kann. Doch dieses Konzept funktioniert nur, wenn ausreichend Lehrer da sind.

Angesichts des großen Bedarfs rechnet sich auch Anne Mailbeck Chancen aus. Die 34 Jahre alte Lehrerin für Biologie und Erdkunde war ebenfalls zum Casting nach Berlin gekommen. Mailbeck reiste aus Bayern an, wo sie zurzeit als Vertretungslehrerin arbeitet. „Ich bin zwar für Oberschulen ausgebildet, würde aber auch an einer Grundschule arbeiten“, sagt sie. Einen Wunschbezirk hat Anne Mailbeck nicht. Die gebürtige Berlinerin hat an der Freien Universität studiert und während des Studiums bereits an Schulen in Friedrichshain, Kreuzberg, Tempelhof und Hohenschönhausen gearbeitet. Weil sie in Rheinland-Pfalz schneller einen Referendariatsplatz bekommen hat, ist sie nach dem Studium dorthin zum Unterrichten gegangen.