„Ja, wo laufen sie denn, wo laufen sie denn hin…?“, würde Loriot an diesem hochsommerlichen End-Maien-Tag beim Blick auf die Galopprennbahn in Hoppegarten wohl wieder fragen. Es ist Werktag, dazu Mittagszeit. Da haben alle hier auf Höchstgeschwindigkeit trainierten 140 Pferde ihre wohlverdiente Pause. So können Tini Gräfin Rothkirch und ich ganz entspannt auf dem satten Grün des 2.350 Meter langen Rennovals spazieren. Loriot hätte seine Frage auch an diesem Tag völlig zu Recht gestellt.
Berechtigt auch die Frage, was die als PR-Lady und Hoteldirektorin stadtbekannte Gräfin denn nun auch noch hier draußen am Rande der Stadt treibt? „Nachdem Gerhard Schöningh 2008 die insolvente Anlage übernommen hatte, fragte er mich, ob ich den Vorsitz im Renn-Klub Hoppegarten übernehmen würde. Ich wollte. Ich hatte Zeit und liebe den Pferdesport. Mit Pferden bin ich groß geworden.“
Schon als Kind ehrgeizig
Auf dem angeheirateten großväterlichen Gut nahe der nordhessischen Kleinstadt Fritzlar ist sie aufgewachsen, als Vierjährige sitzt sie zum ersten Mal auf dem Pferd – voltigieren, mit zehn reitet sie richtig, entwickelt sich zu einer ehrgeizigen Vielseitigkeitsreiterin. Mit einem Siegeswillen, der selbst die Mutter ängstigt: „Immer diese Heulerei, wenn das Kind nicht gewinnt.“ Tini, die Perfektionistin, die immer die Beste sein will. „Ja, das zieht sich durch mein ganzes Leben. Das ist meine Mentalität. Wenn ich etwas mache, dann hundertprozentig.“
Nun also Hoppegarten. Mit ihren fast grenzenlosen Kontakten in die (West-) Berliner Gesellschaft, ihrer PR-Erfahrung und ihrem einnehmenden Charme soll sie dem Renn-Klub ein Gesicht geben, engagierte Mitglieder gewinnen, den Renntagen ein bisschen britische Ascot-Atmosphäre einhauchen. Sie selbst drückt es etwas bescheidener aus. „Wir möchten Berliner und Brandenburger mit Rennbegeisterten, Pferdebesitzern, Trainern und Jockeys mit dem Ziel zusammenbringen, den Galoppsport zu unterstützen. Ich baue das als Vorsitzende auf mit meinem sozialen Netzwerk, mit Events und auch als Head-Hunter.“ In der Hoffnung, das Interesse der Berliner Gesellschaft weiter für Hoppegarten zu wecken.
Zu einem ordentlichen Klub gehört natürlich ein angemessenes Klub-Haus. Das zeigt mir Tini Gräfin Rothkirch – sie entstammt einem alten schlesischen Adelsgeschlecht, das sich bis ins Jahr 1302 zurückverfolgen lässt – voller Stolz und Enthusiasmus. In Hoppegarten gehört sogar eine eigene VIP-Tribüne dazu. Unter ihr – natürlich mit direktem Zugang – liegen die Klub-Räume. Die sind indead very british: dicke Ledersofas, offener Kamin, an den Wänden Stiche mit Pferdemotiven und – der neuen Zeit geschuldet – ein großer Monitor, auf dem, wer will, die Rennen draußen drinnen bequem auf der Couch verfolgen kann.
Großer Renntag an Pfingsten
Aber Hoppegarten ist keineswegs nur eine exklusive Veranstaltung. Das war es zweifellos, als der preußische König und spätere Kaiser Wilhelm I. die Rennbahn 1868 eröffnete. Spätestens seit DDR-Zeiten hat sich das grundlegend geändert. Heute kommen zwar noch immer die meisten Besucher aus dem Ost-Teil der Stadt und dem Umland. „Sie sind aus Tradition sehr stolz auf ihr Hoppegarten. Aber auch immer mehr West- und Neu-Berliner entdecken das 207 Hektar große Gelände, auf dem Sport und Freizeit für die ganze Familie geboten wird“, freut sich Tini Rothkirch.
Am heutigen Pfingstsonntag könnte Loriot die Pferde laufen sehen. Großer Renntag, mit gleich zwei Attraktionen; natürlich einer sportlichen und einer gesellschaftlichen; Premium-Renntag und Ladies Day. Galoppen nur für die Damen? „Nee, nee. Das ist sportlich der hoch dotierte Renntag der Brandenburger Wirtschaft, gesellschaftlich ein Hutwettbewerb. Da kann jede Besucherin mitmachen. Kreativität ist gefragt. Unglaublich, was sich manche Damen letztes Jahr haben einfallen lassen: Fahrradreifen von Efeu umrankt, künstliche Blumen, darin verpackt der Berliner Fernseh-Turm, oder Kopfarrangements groß wie Wagenräder. Eine Jury kürt die tollsten Kreationen, die mit Preisen belohnt werden. Wer bereut, ohne Hut gekommen zu sein, kann sich hier an einem der Stände auch noch einen kaufen.“
Hoppegarten – das ist für viele längst auch ein sonntäglicher Familienausflug. Der Rasen vor den Tribünen bis direkt an die Rennbahn ist für junge Familien ein beliebter Picknickplatz, in den weißen, auf alt getrimmten Holzkiosken hinter den Tribünen unter alten Kastanienbäumen wird vor und zwischen den meist acht Rennen auf Sieg oder Platz gewettet, ausgeschenkt und der Hunger gestillt. Und die Kleinsten können in der „Familienoase“ kostenlos bespaßt werden: Bastelstraße, Kinderwetten, Hüpfburg, Ponyreiten, dazu zwei Spielplätze.
Lieblingsfarbe Pink
Auch wenn wir uns nur zu einem Spaziergang verabredet haben und ziemlich allein über „die schönste Rennbahn Deutschlands“ – so ihr Urteil – schlendern, ist Tini Gräfin Rothkirch die Eleganz in Person: weiße Stehkragenbluse, darüber ein royal blauer Gehrock, weiße Hose, im vollen blonden Haar steckt die pinkfarbene Sonnenbrille. Pink – ihre Lieblingsfarbe. Auch der Gehrock ist Pink gefüttert, Taschen und Knopflöcher sind Pink abgesetzt. „Ich liebe diese Farbe. Sie ist mein Markenzeichen.“ Zu dem ist auch ein ganz spezieller Lippenstift geworden. „Yves Saint Laurent Nummer 1 und Nummer 19. Ein wunderbares, Pink, das auch noch den Vorteil hat, keine Spuren zu hinterlassen.“ Schwer vorstellbar, dass Tini Gräfin Rothkirch vor ein paar Monaten einen runden Geburtstag gefeiert hat. Die Zeit scheint spurlos an ihr vorbei zu ziehen.
Eine selbstbewusste Frau, die schon sehr früh weiß, was sie will: Innenarchitektur oder Hotellerie. Der Schreinerlehre in Kassel folgt die architektonische Ernüchterung – das Studium verlangt mehr Technik als Design. Dann lieber ins Hotelfach, zu den Menschen, die sie da mehr interessieren als die Pferde. Sie wechselt von der Uni als Volontärin in eine Werbe- und PR-Agentur, parallel studiert sie an der Werbefachlichen Akademie Köln. Noch in der Ausbildung und gerade erst 24 Jahre jung entdeckt sie eine Anzeige, in der das Berliner Hotel Interconti eine PR-Dame sucht. Voraussetzung: Berufserfahrung, Hotelkenntnis, Alter zwischen dreißig und vierzig. Obwohl sie nichts erfüllt, bewirbt sie sich, setzt sich gegen 59 Mitbewerberinnen durch und wird 1978 die jüngste PR-Chefin eines deutschen Hotels. Meine Bemerkung, das sei ja ziemlich dreist gewesen, korrigiert sie höflich mit dem Adverb „mutig“.
Der Anfang war tränenreich
Eigentlich will sie nur zwei Jahre in Berlin bleiben, dann Amerika kennenlernen. Dass alles ganz anders gekommen, Tini Gräfin Rothkirch Berlinerin geworden ist und allenfalls als Touristin die USA besucht, hat sie dem damaligen Interconti Generaldirektor Alfred Weiss zu verdanken. „Der hat meinen Ehrgeiz gespürt. Und mir Unterstützung angeboten, wenn ich voran kommen wolle. Aber ich müsse hart arbeiten und mich letztlich selbst durchbeißen. Ich wollte. So einen Menschen braucht man, wenn man nach oben will. 13 Jahre habe ich dann mit ihm zusammengearbeitet.“
Der Anfang als Quereinsteigern ist bisweilen tränenreich. Sie kennt kaum jemanden in der Stadt, Hotels besser von außen als von innen. Aber ehrgeizig, wie in jüngsten Jahren beim Reiten, stürzt sie sich in die neue Herausforderung, dank ihrer Gabe zur Kommunikation baut sie sich sehr schnell ein dichtes soziales Netzwerk auf, profiliert sich zum charmanten „guten Geist“ des Hotels in der Budapester Straße, gehört sehr bald zur Berliner Society. „Berlin ist meine Heimat geworden. Die Institutionen der Stadt sind so wunderbar lebendig, auch wenn manches manchmal nervt. Vor allem die vielen Baustellen.“
Ein Schnitzel am Gendarmenmarkt
Die haben uns an diesem Tag keine Nerven gekostet, als wir nach dem Spaziergang über die Rennbahn vom östlichen Stadtrand nach Mitte fahren. Geschafft in einer dreiviertel Stunde. „Ist doch gar nicht so weit draußen. Sonntags, an unseren Renntagen, braucht man etwa 40 Minuten bis Hoppegarten, mit der S-Bahn vom Alex circa 30 Minuten“, wirbt sie noch einmal für den Besuch der hinter Baden-Baden und Hamburg nach Wett-Umsätzen (2013 knapp über 2,1 Millionen Euro) drittstärksten Bahn in Deutschland.
Der Appetit hat uns zum Gendarmenmarkt, ins Restaurant Aigner im Hotel „Sofitel“ getrieben. Das hat sie als Höhepunkt ihrer Hotel-Karriere sieben Jahre lang als Direktorin (2000 bis 2007) geleitet. Wir genießen „oberköstliche“ Schnitzel, sie ein kleines, ich ein großes. Ein bisschen Wehmut hier am einst so vertrauten Ort? „Nein. Ich bin gern hier. Im übrigen habe ich ja immer nach einer gewissen Zeit etwas Neues angefangen, bin Wechsel also gewohnt, hab etwas von der Aufbau-Liese…“
Nur einmal hat sie sich beworben
Tatsächlich hat sie viel angestoßen in dieser Stadt. Beworben hat sie sich nur einmal – beim Interconti. Seitdem wird sie gebeten. Anfang der neunziger Jahre organisiert sie als Direktorin zusammen mit Karl Lagerfeld („ein Perfektionist wie ich“) den Umbau des Schlosshotels Vier Jahreszeiten in Grunewald, Mitte der Neunziger hilft sie beim Aufbau des International Club Berlin im ehemaligen British Officer`s Club nahe des Funkturms, Ende der Neunziger holt sie das neue Hotel Four Seasons am Gendarmenmarkt als PR-Direktorin. 1999/2000 gehört sie zum Gründungsteam von WMP, einer Beratungsgesellschaft für Medien und Politik, es folgen die Direktoren-Jahre im Sofitel, dann noch ein Intermezzo als Direktorin des Clubs InterContinental, einem quasi VIP-Hotel innerhalb des Interconti.
Und was macht sie heute? „Das Ehrenamt in Hoppegarten und mehrere freiberufliche Projekte im Jahr füllen mich voll und ganz aus. Es war immer mein Traum, so etwas irgendwann ohne Zwang tun zu können. Auch wenn die Hotellerie nach wie vor mein Leben ist.“ Nachdem sie früher nach dem Motto „Wenn schon, denn schon…“ früh morgens intensiv gejoggt, im Schlachtensee geschwommen oder gewalkt ist, spielt sie heute mit großer Leidenschaft Golf und geht ins Fitnessstudio, wenn sie Lust und Laune hat.
Geritten ist sie schon lange nicht mehr
Auf einem Pferd übrigens hat sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesessen. „Seit ich nach dem Abitur das elterliche Gut verließ, hatte ich kein eigenes Pferd mehr. Für eine Reitgemeinschaft hatte ich weder Lust noch Zeit. Aber geblieben ist immer das Interesse rund um das Pferd, vor allem an den Vollblütern. Seit der Wiedervereinigung bin ich fast jeden Sonntag draußen in Hoppegarten.“ Die Liebe zum Pferd hat Tradition bei den Rothkirchs. Der Großvater hat 1932 an den Olympischen Reiterspielen in Los Angeles teilgenommen, Vater Thilo Karl August Leopold (Poldi) Graf Rothkirch und Trach war Vizepräsident des Deutschen Reit- und Fahrvereins.
Apropos Adel: Was bedeutet er heute, was ist er noch wert? „Adel ist kein Titel mehr, er ist Teil des Familiennamens ohne Vor- oder Sonderrechte. Allein die Leistung zählt. Die meisten Adelsfamilien pflegen eine gewisse Tradition in Familienverbänden, das Netzwerk ist wohl weiter und zugleich enger als in vielen bürgerlichen Familien. Das Entree ist manchmal leichter, aber die Erwartungshaltung auch größer.“
Tini Gräfin Rothkirch hat nur einmal in ihrem Leben vom berühmt berüchtigten Vitamin B Gebrauch gemacht. Als sie das Architektur Studium geschmissen hatte, half der Vater, das Volontariat in der Werbeagentur zu finden. Die weitere Karriereleiter ist sie – Adel hin, Gräfin her – alleine emporgestiegen; weil sie die Erwartungen stets übererfüllt hat. Jetzt ganz entspannt wieder in Hoppegarten.