Platzmangel

Berlins Europaschule droht der Zwangsumzug

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Florentine Anders

Foto: Sergej Glanze / Glanze

Die deutsch-französische Europaschule in Berlin-Reinickendorf muss Platz für Regelklassen machen. Eltern wollen den Umzug nach Heiligensee verhindern. Für viele Schüler und Lehrer wäre der Weg zu weit.

Noch immer sind nicht alle Standorte der bilingualen staatlichen Europaschulen gesichert. Den Berliner Bezirken fehlen Schulplätze. Und da Geld für Neubauten fehlt, sollen die Europaschulen nun Platz für Regelklassen machen.

Die ungewisse Zukunft der deutsch-französischen Europaschule im Märkischen Viertel in Reinickendorf weckt auch das Interesse des französischen Senators Louis Duvernois, in Paris zuständig für seine Landsleute im Ausland. Er machte sich gemeinsam mit Beratern der französischen Botschaft ein Bild von der Berliner Spezialität in der europäischen Bildungslandschaft, die bedroht sein soll.

Ganz außergewöhnlich sei das Angebot einer staatlich finanzierten zweisprachigen Ausbildung von der ersten Klasse bis zum Abitur, sagte der Senator. „Ich glaube an Ihr Projekt.“ Es tauge als Vorbild für Frankreich und sollte unbedingt ausgebaut werden.

Stattdessen aber steht die Existenz der Schule auf dem Spiel. Im Juni 2013 will die Bezirksverordnetenversammlung darüber entscheiden, ob die Schule tatsächlich, wie bisher geplant, an den Stadtrand nach Heiligensee umziehen soll. „Wir befürchten, dass die Entscheidung auf die Ferien verschoben wird, damit die Eltern nicht mehr protestieren können“, sagt Yvonne von Starck vom Förderverein der Eltern. Zwar werde bisher immer versichert, dass die Verlagerung der Schule nach Heiligensee nur eine Option sei, doch Alternativvorschläge würden immer mit dem Verweis auf die Kosten abgebügelt.

Sorge um pädagogisches Konzept

Die Eltern und Lehrer warnen, dass das bisherige Konzept in Heiligensee nicht mehr umsetzbar sei. Viele Schüler und Pädagogen würden den Umzug nicht mitmachen, weil die Fahrtwege zu lang und der Standort schlecht an die öffentlichen Verkehrsmittel angebunden sei. Zudem könne die deutsch-französische Kita, die bisher auf dem Gelände der Schule untergebracht ist, nicht mitziehen. Die Vorbereitung auf den bilingualen Unterricht ist aber eine wichtige Voraussetzung, vor allem für Kinder aus deutschsprachigen Elternhäusern.

Prinzip der insgesamt 31 staatlichen Europaschulen ist die Gleichberechtigung der deutschen und der jeweiligen Partnersprache im Unterricht. Die Klassen setzen sich je zur Hälfte aus Schülern der beiden Sprachen zusammen. Grundschulen haben verpflichtenden Ganztagsbetrieb, damit der sprachliche und kulturelle Austausch auch in der Freizeit stattfindet.

Louis aus der Vorschulgruppe der Märkischen Grundschule freut sich bereits auf seine Einschulung im Sommer. Das Schulgebäude kennt er schon genau, und auch den Schulleiter ruft er beim Namen. Mit seiner Mutter spricht er zu Hause französisch, mit seinem Vater deutsch. „In der Schule lerne ich beide Sprachen und auch noch Englisch“, sagt er stolz. Louis weiß nicht, dass es die Schule nach Bezirksplänen 2014 dort nicht mehr geben wird.

Musterschule von 1992

Die Märkische Grundschule gehörte 1992 zu einem der ersten Modellversuche der Europaschulen. Viele Kinder afrikanischer Herkunft, die extra wegen der Schule ins Märkische Viertel gezogen sind, werden hier unterrichtet. „Der Anteil der Kinder aus dem Märkischen Viertel steigt von Jahr zu Jahr, weil viele französischsprachige Eltern Wohnort und Arbeit extra nach der Schule ausrichten“, sagt Yvonne von Starck. Durch die Europaschule werde das sozial schwache Viertel gestärkt. Aber auch die Eltern aus den anderen Bezirken hätten Probleme, die Schule in Heiligensee zu erreichen. Eine volle Berufstätigkeit beider Eltern wäre mit solchen Wegen nicht mehr machbar. Die Eltern wollen nun prüfen, ob eine Klage gegen die Verlagerung der Schule möglich wäre.

„Wir müssen das Schulraumproblem lösen, es fehlen 300 Grundschulplätze im Bezirk“, sagt die Bildungsstadträtin von Reinickendorf, Katrin Schultze-Berndt (CDU). Schulneubauten könnten nur mit fünf Jahren Vorlauf geplant werden, doch die Plätze würden schnell benötigt. Auch die Stadträtin sieht eine Gefahr darin, eine Leuchtturmschule aus dem Brennpunkt zu nehmen. „Wir hoffen in dieser Frage auf die Unterstützung vom Senat“, sagt Schultze-Berndt.

Viele neue Wohnungen statt einer Schule

Auch die Eltern der deutsch-englischen Quentin-Blake-Europaschule in Steglitz-Zehlendorf fordern eine Lösung für das Schulplatzproblem, die nicht auf Kosten des Standorts geht. Auf dem Gelände, die sich die Europaschule mit der Biesalski-Schule teilt, soll ein zusätzlicher Regelzug für 150 Grundschulkinder eingerichtet werden. Doch schon jetzt sind alle Räume belegt.

Der Bezirkselternausschuss hat jetzt einen Einwohnerantrag gestartet, mit dem die Bezirksverordneten-Versammlung (BVV) aufgefordert werden soll, für Schulneubauten oder Anbauten in dem Einzugsgebiet zu sorgen. Hier seien durch Bauprojekte viele neue Wohnungen entstanden, doch eine neue Schule sei nicht geplant. Bis zum 15 Mai brauchen die Eltern für ihren Anwohnerantrag mindestens 1000 Unterschriften, dann muss sich die Bezirksverordneten-Versammlung damit befassen.

Die Senatsbildungsverwaltung spricht sich für einen Erhalt aller Europaschulstandorte aus, betont aber auch, dass die Zuständigkeit in den Bezirken liege. „Wir sind mit allen zuständigen Stadträten in Gesprächen“, sagt Staatssekretär Mark Rackles. Trotzdem fordert Özcan Mutlu, der bildungspolitische Sprecher der Grünen, den Berliner Senat zum entschlossenen Handeln auf, um den Betrieb dieser erfolgreichen Bildungseinrichtungen zu sichern: „Obwohl sich der Senat gerne mit den Europaschulen schmückt, werden sie zum Teil wie Stiefkinder des Berliner Schulsystems behandelt.“