Netztrend

Junge Berliner werden durch YouTube-Clips zu Stars

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Julia Friese

Foto: Amin Akhtar

Mit ihren Internetbeiträgen erzielen sie Millionen Klicks. Auch Fernsehproduktionen haben die Marktnische erkannt und mischen nun mit.

Hinter den Ladenfenstern der Friedrichshainer Samariterstraße 38 steht ein Wohnzimmer mit einer leuchtend türkisen Couch. Hier haben sich in den letzten Wochen Prominente mit Milch und roter Grütze übergießen lassen, Pornodarsteller haben Kochrezepte vorgelesen, Lexikoneinträge wurden gesungen und Gute-Nacht-Gedichte vorgelesen. Denn seit November wird hier eine neue Late-Night-Show gedreht. Aber nicht für das Fernsehen, sondern für YouTube.

Etwa vier Milliarden Clips werden weltweit täglich auf YouTube aufgerufen. Das Videoportal der Google Incorporated, auf dem jeder Nutzer seine eigenes Bewegtbild hochladen kann, hat neben jeder Menge Tier-, Pannen- und Musikvideos längst auch seine eigenen Stars hervorgebracht. In Deutschland verbucht das in Köln ansässige Comedy-Trio Y-Titty mit 1,3 Millionen Abonnenten auf seinem Kanal die größte Anhängerschaft.

Aus dem Hobby der Anfang 20-Jährigen, Lieder- und Filmparodien zu produzieren, wurde ein lukrativer Job. Mehrere ihrer Songs erreichten Chartplatzierungen, und im vergangenen Herbst konnten sie ein Comedy-Buch veröffentlichen. Aber auch der Berliner Student LeFloid und eine 23-jährige Berliner Schauspielerin, die im Internet als Daaruum vor die Kamera tritt, erhalten für ihre Auftritte im Web Klicks in Millionenhöhe.

Vor einer Webcam stehend, erzählen sie aus ihrem Leben, improvisieren, geben Ratschläge oder spielen Sketche. Von den Werbeeinnahmen aus ihren Kanälen können sie mitunter ihren Lebensunterhalt bestreiten. Wenig verwunderlich also, dass YouTube im letzten Herbst nun auch sogenannte „Originalkanäle“ ins Leben gerufen hat. Nach dem Vorbild der erfolgreichsten Laiensendungen versuchen größtenteils Fernsehproduktionen, dort professionelles Internetfernsehen aufzubauen. Zwei der insgesamt zwölf deutschen Originalkanäle werden nicht nur in Berlin produziert, sondern machen die Stadt auch selbst zum Thema.

Mit Anna Fischer ins Studio-Bett

Das Wohnzimmer mit der türkisen Couch in der Samariterstraße gehört zu „Onkel Berni’s Butze“. Ein elfköpfiges Redaktionsteam produziert hier, laut Eigenaussage „die erste und beste Late-Night-Show im Internet“. Moderiert wird die zwischen 40 und 60 Minuten lange Netzsendung von der Berliner Band Onkel Berni. Für die Internetpräsenz einer großen deutschen Boulevardzeitung hatte das Duo in der Vergangenheit Webvideos aufgenommen.

Der Neuköllner Junior-Fernsehproduzent Felix Hummel, 26, wurde auf sie aufmerksam. Gemeinsam mit First Entertainment und dem verantwortlichen Produzenten Marco Schuler, 36, strickte er eine Show um die Musiker. „Wir arbeiten hier zwar mit geringerem Budget als im Fernsehen, trotzdem wollten wir uns den neuen Möglichkeiten durch das Internet nicht verwehren“, sagt Hummel. Der obligatorische Monolog einer Late-Night-Show wird in der Samariterstraße durch das gemeinsame Schauen von ausgewählten YouTube-Clips ersetzt: Mal brüllt ein Schaf, mal verzweifelt ein offensichtlich betrunkener Festivalbesucher beim Anziehen seiner Schuhe.

In Einspielern singt der Moderator Jonas Mann mal als Adolf Hitler verkleidet vor dem Bundestag, mal läuft er als Modedesigner Harald Glööckler durch Berlin. Gäste wie der Ex-Profiboxer Graciano (Rocky) Rocchigiani oder die Schauspielerin Anna Fischer landen zum Grand Finale mit ihm im Studiobett. „Der große Unterschied zum Fernsehen ist, dass wir unmittelbar nach dem Hochladen die ersten Zuschauerrückmeldungen erhalten“, sagt Hummel. Neben den Kommentaren lässt sich für die YouTube-Produzenten zeitnah einsehen, bis wohin der Abonnent der Show gefolgt ist und wo er weggeklickt oder vorgespult hat. Kernzielgruppe der Show seien die 16- bis 25-Jährigen. 12.000 Abonnenten hat „Onkel Berni’s Butze“ seit November für sich gewinnen können.

Jeder Clip muss in den ersten zehn Sekunden überzeugen

Eine etwas ältere Zielgruppe versucht der Kanal „eNtR Berlin“ anzusprechen. 18- bis 45-Jährige sollen von deutsch- und englischsprachigen urbanen Lifestyle-Reportagen angesprochen werden. Mal folgt man hier einem Reporter auf ein Japan-Festival in die Urania, ein anderes Mal zeigt ein Asylbewerber seine Unterkunft in Wilmersdorf. „Wir laden 30 Minuten Material pro Woche hoch“, sagt Kristian Costa-Zahn, kreativer Leiter des verantwortlichen UFALab. „Fernsehen produziert man immer in dem Bewusstsein, dass die Inhalte für Millionen Menschen interessant sein müssen. Im Internet kann streng genommen aber die ganze Welt zuschauen. Das erlaubt uns bei der Themenwahl, Nischen bedienen zu können.“

Der Besuch im Asylheim erreichte bisher trotzdem nur 670 Zugriffe. Wenn hingegen die Ex-Freundin eines Uwe-Ochsenknecht-Sohns ihr Bekleidungsgeschäft vorstellt, klicken 14.000 Nutzer. „Millionen andere Inhalte sind im Netz immer nur einen Klick entfernt“, sagt Costa-Zahn. Die Aufmerksamkeitsspanne der Netzgemeinde sei aber gering. Jeder Clip muss in den ersten zehn Sekunden überzeugen, ansonsten würde häufig weitergeklickt.

Einen großen Vorteil für sein Programm sieht Costa-Zahn aber in puncto Image von Internetsendungen: „Als Fernsehsender wären wir zum Beispiel nie mit der Kamera in den Backstagebereich des Berliner ,Golden Gate‘-Clubs gekommen.“ Zu den Moderatoren und Reportern von „eNtR Berlin“ zählt neben ehemaligen Viva-Moderatoren auch eine Berliner Modedesignerin: „Über Melissa Lee haben wir einen Beitrag gedreht, dabei ist sie so gut angekommen, dass wir sie jetzt auch als Reporter engagieren“, erzählt Costa-Zahn. Rund 5500 Abonnenten verfolgen „eNtR Berlin“ derzeit.

Kostenlose Kosmetiktipps

Ganz ohne Produktionsfirma hat eine 23-jährige Berliner Schauspielerin als Daaruum insgesamt 56 Millionen Videoaufrufe erreicht. „Ich hab mir vor ein paar Jahren einen bestimmten Zopf für eine Party machen wollen. Auf YouTube fand ich ein Anleitungsvideo“, sagt Daaruum. „Erst fand ich es merkwürdig, dass so viele Menschen sich selbst filmen, dann habe ich gestaunt, wie viel Publikum das anzieht.“ Als hauptberufliche Schauspielerin habe Daaruum immer wieder mal Zeit. Eine Kamera und ein Schnittprogramm hatte sie auch, also entschloss sie sich kurzerhand, selber Videos zu drehen. Anfangs ebenfalls zu Kosmetikthemen. „Aber nach der zwanzigsten Lippenstift-Rezension bleibt ein Lippenstift auch nur ein Lippenstift. Mittlerweile nutze ich meine große Abonnentenschaft auch dafür, um komplexere Themen wie Blut- oder Organspende anzusprechen.“

Von der Idee bis zum fertigen Video braucht die gebürtige Berlinerin, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte, drei bis vier Stunden. „Aber eigentlich ist es ein Ganztagsjob. Denn was viele unterschätzen: Um einen Kanal am Leben zu erhalten, muss man ihn pflegen und auf viele Kommentare und Fragen in den sozialen Netzwerken eingehen“, sagt Daaruum.

Im Internet gibt es nicht nur Lob

Bis zu 50.000 Anfragen von Usern bekomme sie mittlerweile monatlich. Anfangs sei es ihren Zuschauern noch um die Themen der Videos gegangen. Mittlerweile gehe es den Zuschauern immer mehr um ihre Person. In einem ihrer letzten Videos zählt sie so zum Beispiel „zehn Dinge, die ich hasse“ auf. Spazieren gehen und Mundgeruch, so lernt der Zuschauer, stehen nicht unbedingt in der Gunst der jungen Berlinerin. Für ihre Videos bekommt die Schauspielerin nicht nur Lob: „Seit ich begonnen hätte, Videos zu machen, hätte ich mich zum Negativen verändert“, sagt Daaruum.

„Solche Kritik geht mir nah, es fällt mir schwer, herauszufiltern, was ich mir davon zu Herzen nehmen muss und was nicht.“ Vor Freunden und Familie habe Daaruum ihre Netztätigkeit lange geheim halten wollen: „Weil ich nicht wusste, wie es ankommen würde, dass ich mich vorrangig mit oberflächlichen Themen wie Beauty beschäftige.“ Mittlerweile würde sie ab und zu sogar auf der Straße erkannt. Ihre YouTube-Popularität lässt sich nicht mehr leugnen. „ENtR Berlin“ und „Onkel Berni’s Butze“ hingegen haben es sich zum Ziel gemacht, bis zum Ende des Jahres zur populären Marke zu werden. „Der Vertrag der Originalkanäle ist auf ein Jahr beschränkt“, sagt Costa-Zahn vom UFALab.

„Wir haben einen Kredit bekommen, den wir durch Werbeeinnahmen wieder reinholen müssen.“ Wenn das gut gelänge, könne „eNtR Berlin“ auch weitergehen. Von heute auf morgen aufhören, das käme auch für Daaruum nicht infrage: „Hinter mir stehen 240.000 Abonnenten. Wenn ich mal zwei Tage kein Video online stelle, fragen mich die Leute schon, ob mir etwas passiert ist.“ Die YouTube-Persönlichkeiten sind längst zum festen Bestandteil im Alltag ihres Publikums geworden.