Senator Müller

Berlin hat Platz für 90.000 neue Wohnungen

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Isabell Jürgens und Joachim Fahrun

Foto: Laurin Schmid / dpa

Stadtentwicklungssenator Müller will den Wohnungsbau fördern. Er sieht vor allem landeseigene Gesellschaften in der Pflicht.

Berliner Morgenpost: Herr Müller, als Maßnahme gegen explodierende Mieten sollen Berlins landeseigene Wohnungsunternehmen in den kommenden sieben Jahren 70.000 zusätzliche Wohnungen bauen. Das haben der Regierende Bürgermeister gemeinsam in einem Papier mit dem Landesvorsitzenden und dem Fraktionschef der SPD zugesagt. Bislang ist davon aber noch nichts zu sehen?

Michael Müller: Das ist ein ambitioniertes Ziel, aber das muss man auch haben, wenn man in der Wohnungspolitik vorankommen will. Wir haben gesagt, 30.000 mehr Wohnungen noch in dieser Legislaturperiode, 40.000 in der kommenden. Dazu stehe ich, und es freut mich, dass sich die Gesellschaften schon an die Arbeit gemacht haben. Die Degewo etwa wird in wenigen Wochen den ersten Spatenstich für ihr Wohnprojekt Mariengrün in Marienfelde feiern…

Berliner Morgenpost: Dort sind 50 Wohnungen geplant…

Michael Müller: Das ist ja auch erst der Anfang. Insgesamt will die Degewo rund 800 Wohnungen bauen, unter anderem in der Gropiusstadt, in Adlershof und in Köpenick. Auch die übrigen fünf städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben Neubaupläne. Jahrelang haben die Gesellschaften nicht gebaut. Jetzt sind sie dabei umzusteuern. Die Gesobau etwa hat eine Reihe von Neubauvorhaben auf teils eigenen Grundstücken für insgesamt rund 800 Wohnungen in Planung. Degewo und Stadt und Land wollen sich auch auf dem Tempelhofer Feld engagieren. Dort sind derzeit mindestens 4500 neue Wohnungen geplant

Berliner Morgenpost: Das sind aber dennoch Größenordnungen im vierstelligen, nicht im fünfstelligen Bereich. Und rund 20.000 neue landeseigene Wohnungen sollen ja aus den Beständen der ehemaligen Bankgesellschafts-Immobilien kommen. Die bringt man ja nicht zusätzlich auf den Markt.

Michael Müller: Es muss eine Mischung sein. Wir wollen, dass die städtischen Gesellschaften einen größeren Markteinfluss haben. Durch Zukauf, da haben die Gesellschaften im letzten Jahr mit 9000 Wohnungen auch schon viel geleistet. Aber vor allem auch über den Neubau.

Berliner Morgenpost: Aber haben wir in der Stadt überhaupt die dafür nötigen Flächen?

Michael Müller: Wir haben aktuell Flächen für rund 90.000 zusätzliche Wohnungen identifiziert, die sofort für Planungen zur Verfügung stehen. Wir schauen gemeinsam mit den Bezirken nach weiteren Flächen und ob wir Gewerbegrundstücke haben, die wir darüber hinaus für Wohnungsbau umwidmen können.

Berliner Morgenpost: Die SPD hat ja auch bereits Überlegungen angestellt, die landeseigenen Gesellschaften neu zu strukturieren, um ihre finanzielle Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Ist das als Drohung gemeint?

Michael Müller: Man muss die Arbeit der Gesellschaften hier mal loben, alle haben die Herausforderung, neue Wohnungen zu schaffen, sehr gut angenommen. Die Umstrukturierung soll ja auch für den Fall greifen, dass das Ziel bis zum Jahr 2020 nicht erreicht wird. Dann müsste man in der Tat überlegen, ob es nicht personelle und organisatorische Konsequenzen haben muss, um dann gegebenenfalls eine höhere Leistungsfähigkeit zu erreichen. Aber ich betone: Bislang machen alle Gesellschaften sehr engagiert mit. Dennoch: Wir dürfen die Marktmacht unserer landeseigenen Gesellschaften nicht überschätzen. Ihren Beständen stehen 1,5 Millionen Wohnungen in privater Hand gegenüber. Da werden wir das Mietniveau insgesamt zwar dämpfen können, aber nicht den Trend des Marktes umkehren. Wir brauchen unbedingt auch Änderungen im Bundes-Mietrecht. Die Probleme mit steigenden Mieten haben wir ja nicht nur in Berlin.

Berliner Morgenpost: Die Landespolitik hinkt aber offenbar hinterher: Bis jetzt ist ja noch nicht mal das neue Liegenschaftskonzept verabschiedet, das es ermöglichen würde, den Wohnungsbaugesellschaften kostenlos Grundstücke zu übertragen. Auch das „Mietenkonzept für den Sozialen Wohnungsbau“ ist noch immer nicht beschlossen. Woran hapert es?

Michael Müller: Wir sind in den letzten Abstimmungen im Abgeordnetenhaus. Wir sind jetzt seit 14 Monaten an der Regierung, und in der Zeit ist eine ganze Menge passiert. Es hat einen grundlegenden Wandel in der Wohnungspolitik gegeben, ich glaube, dies ist in der Stadt auch schon sehr spürbar. Wir haben aus dem Bestand des Liegenschaftsfonds zudem 20 innerstädtische Baugrundstücke ausgewählt, die mit mietpreisgebundenen Wohnungen bebaut werden sollen. Diese Grundstücke befinden sich aktuell in der Übertragung. Wir haben mit den Wohnungsbaugesellschaften konkrete Absprachen zum Neubauprogramm getroffen. Zudem haben wir das „Bündnis für bezahlbare Mieten“ mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften geschlossen, das bereits seit Anfang dieses Jahres greift. Die Bewohner der rund 277.000 Wohnungen haben jetzt die Möglichkeit, in Rücksprache mit den Wohnungsbaugesellschaften ihre Mietbelastung zu beschränken, wenn sie 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens erreicht hat. Außerdem greifen Härtefallregelungen bei individuellen Problemen. Die landeseigenen Wohnungsunternehmen sind zudem verpflichtet, die Mieten in ihren Wohnungen nur noch alle vier Jahre um höchstens 15 Prozent anzuheben. Bislang gilt auch in Berlin die bundesweite Regelung, wonach alle drei Jahre um 20 Prozent erhöht werden darf.

Berliner Morgenpost: Die Gesellschaften verzichten dabei auf Einnahmen von rund 100 Millionen Euro, die sie für den verordneten Wohnungsneubau gut brauchen könnten. Wie viel öffentliche Mittel müssen sie investieren, um günstige Mieten zu sichern?

Michael Müller: Die zulässigen Mietpreiserhöhungen wirken wie gesagt erst seit diesem Monat, es wird sich also erst herausstellen, welche Kosten konkret entstehen. Ich habe auch nie gesagt, dass günstige Mieten für das Land zum Nulltarif zu haben sind. Ich gehe davon aus, dass wir den Fonds, den wir für mietpreisgebundene Wohnungen zur Verfügung stellen wollen, zusätzlich zu den Mittelzuweisungen des Bundes in Höhe von 32 Millionen Euro noch einmal mit mindestens der gleichen Summe aus Landesmitteln verstärken sollten. Das wird in den Haushaltsberatungen eine Rolle spielen. Natürlich ist klar, dass das allein noch nicht zu 70.000 neuen kommunalen Wohnungen führen wird, aber es ist ein Instrument von mehreren, die wir zur Verfügung haben.

Berliner Morgenpost: Es gibt Klagen darüber, dass die Prozesse von Planung und Genehmigung zu lange dauern.

Michael Müller: Wir wollen auch die Bauämter der Bezirke und gegebenenfalls die Senatsverwaltung mit mehr Personal in diesem Bereich ausstatten, damit Planungsprozesse und Baugenehmigungen beschleunigt werden können. Auch das wird mit Sicherheit im Parlament diskutiert. Immerhin ist die Anzahl der Baugenehmigungen im vergangenen Jahr auf über 9000 gestiegen – nach 6000 im Jahr 2011. Die Richtung stimmt also. Private Bauherren haben Großprojekte in der Umsetzung: Lichterfelde mit 2000 Wohnungen, Heidestraße 2000, Adlershof 1000. Die werden in dieser Legislaturperiode wirken. Auch die ersten Projekte der landeseigenen Gesellschaften werden in zwei, drei Jahren fertig sein.

Berliner Morgenpost: Es fehlen ja vor allem preiswerte Wohnungen in der Innenstadt. Die Baukräne drehen sich gerade dort aber vor allem für Wohnprojekte mit gehobener Ausstattung, wie es so schön heißt.

Michael Müller: Das stimmt, private Bautätigkeit beobachten wir insbesondere in der Mitte der Stadt. Das ist ja der Unterschied. Unsere kommunalen Gesellschaften bauen in ganz Berlin, nicht nur in begehrten Szenelagen, wo man Mieten von über zehn Euro bekommt und auch entsprechend luxuriös baut. Unsere Gesellschaften haben Handlungsspielraum bekommen. Sie dürfen in höherwertigen Lagen höhere Preise nehmen, womit sie dann an anderer Stelle oder auch im gleichen Objekt dazu beitragen können, dass sie deutlich unter neun oder acht Euro kommen. Man muss den Unternehmen die Möglichkeit lassen, auch Geld zu verdienen, wenn man nicht wieder in Verschuldung gehen will.

Berliner Morgenpost: Müssen die Berliner zusammenrücken, selbst wenn sie ihr Ziel von 70.000 kommunalen Wohnungen erreichen und auch die Privaten weiter bauen?

Michael Müller: In der Innenstadt denke ich das schon. In keiner Stadt wird pro Einwohner so viel Wohnfläche verbraucht wie in Berlin, 40 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf. Und wir werden in der Stadt über Wohnbauflächen diskutieren müssen. Wir brauchen Bauflächen für die nächsten Jahrzehnte. Wir werden mit den immer knapper werdenden Baugrundstücken in zentralen Lagen sensibel umgehen. Wir müssen überprüfen, ob es nicht möglich ist, an vielen Ecken mehr und auch höher zu bauen, als es bisher möglich ist. Jedes Grundstück kann schließlich nur ein Mal vergeben und bebaut werden.

Berliner Morgenpost: Bedeutet das den Abschied von exklusiven Townhäusern, wie sie etwa auf dem Schlachthofgelände in Prenzlauer Berg entstanden sind?

Michael Müller: Es ist sicher ganz nett, wenn man nur drei Geschosse und einen Privatgarten hat. Aber ist es in Zeiten eines angespannten Wohnungsmarktes nicht wichtiger, auch mal Sieben- oder auch Zehngeschosser zu bauen? Dann erhalten einfach mehr Menschen das Privileg, in einer guten Lage der Stadt zu wohnen. Sicher passen Hochhäuser nicht in jeden Kiez, aber gerade in der Innenstadt haben wir noch viele Flächen, die Wohntürme vertragen könnten. Ich nenne da etwa das Areal am Osthafen, die Europacity oder den Alexanderplatz.