Berlins Oberschulen sind voll. Bei Aufnahme in eine weiterführende Schule entscheiden neben Zensuren zunehmend auch Tests.

Für Familie Giese aus Pankow gibt es bereits seit Wochen nur noch ein Thema: Es geht darum, an welchem Gymnasium Sohn Florian, der im Sommer die Grundschule beendet, angemeldet werden soll. Die Eltern überlegen, ob sie eine Wunschschule angeben oder nicht doch lieber gleich taktisch wählen und eine Schule suchen sollten, an der es auf jeden Fall freie Plätze gibt. „Das Problem ist, dass alle Pankower Gymnasien, die für uns in Frage kommen, so stark nachgefragt sind, dass es deutlich mehr Bewerber als Plätze gibt“, sagt Beate Giese.

In Berlin hat etwa jede zweite Oberschule mehr Bewerber als Plätze und kann sich ihre Schüler deshalb auswählen. Bis zu welchem Notendurchschnitt die Kinder aufgenommen werden, steht zwar noch nicht fest. Im vergangenen Jahren gab es aber viele Gymnasien, wo bei 1,5 Schluss war. Auch an etlichen Sekundarschulen hing die Messlatte hoch. Schüler, die beim Notendurchschnitt keine Eins vor dem Komma hatten, waren chancenlos.

In diesem Jahr – Anmeldezeitraum ist vom 11. bis zum 22. Februar – wird sich der Druck auf die Kinder noch erhöhen, da viele Oberschulen ihre Aufnahmekriterien um zusätzliche Tests erweitert haben. Ein Beispiel ist das Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Pankow. Dort zählen für die Aufnahme in die beiden siebten Klassen nun nicht mehr nur der Notendurchschnitt, sondern Aufnahmeprüfungen. Schulleiter Ralf Treptow sagt, dass Schüler, die sich für die Klasse mit Schwerpunkt Englisch-Latein bewerben wollen, einen schriftlichen Test machen müssen. Bewerber für die Englisch-Spanisch-Klasse müssten einen mündlichen Test absolvieren.

Die Kinder besser kennen lernen

Sollte es bei Florian mit dem Erstwunsch nicht klappen, sieht es mit einem Schulplatz in Pankow für ihn schlecht aus. „Es ist ja sinnlos, eines dieser übernachgefragten Gymnasien als Zweitwunsch anzugeben“, sagt seine Mutter. Florian stehe deshalb sehr unter Druck. „Ihm ist klar, dass er ein besonders gutes Halbjahreszeugnis vorlegen muss, um überhaupt eine Chance in Pankow zu haben.“

Am Humboldt-Gymnasium in Tegel müssen sich schon seit zwei Jahren alle Bewerber einem Test unterziehen. Die Noten machen nur 50 Prozent bei der Auswahl der Schüler aus. In dem kleinen Test, der 15 bis 20 Minuten dauert, erhalten vier bis fünf Schüler eine Aufgabe, die sie im Team lösen müssen. Die Eltern sind dabei, allerdings nicht im Sichtfeld der Kinder. „Uns kommt es vor allem darauf an, zu sehen, wie die Schüler miteinander kommunizieren“, sagt Schulleiter Bernd Kokavecz. Auf diese Weise könnten die Lehrer entscheiden, ob die Bewerber in die Schulgemeinschaft passen. Wichtig sei einfach, die Kinder kennenzulernen.

Das würden auch die Eltern sehr schätzen, so der Schulleiter. Auf beiden Seiten ergebe sich so ein genaueres Bild. Auch die Eltern könnten auf andere Weise in die Schule reingucken und die Lehrer kennenlernen. Deshalb soll es am Humboldt-Gymnasium die kleinen Tests selbst dann geben, wenn es genügend Plätze für alle Bewerber gibt. Denn der Test stehe auch für die Philosophie der Schule, den Menschen als Ganzes zu betrachten und nicht nur nach den Noten zu beurteilen. Eine Zusatzbelastung für die Schüler sieht der Schulleiter darin nicht. „Die Aufgeregtheit legt sich meist schnell, wenn die Kinder sehen, dass die Aufgabe gar nicht so schlimm ist, wie sie vorher dachten“, sagt Kokavecz. Das Humboldt-Gymnasium gehört zu den traditionell stark nachgefragten Gymnasien, obwohl im vergangenen Jahr alle Bewerber einen Platz bekommen konnten.

Insgesamt wird es in Reinickendorf nach Angaben der Schulstadträtin Kathrin Schultze-Berndt (CDU) voraussichtlich genügend Plätze für die Schüler an Gymnasien geben. Allerdings sei es natürlich nicht immer möglich, an der ersten Wunschschule unterzukommen. Die taktische Schulwahl sei jedoch schwierig, da die Anmeldezahlen in den vergangenen beiden Jahren stark schwankten. „Schulen die im ersten Jahr noch viel zu viele Anmeldungen hatten, waren im zweiten Jahr plötzlich weniger nachgefragt, weil die Eltern befürchteten, sie hätten keine Chance“, sagt Schultze-Berndt. Schwierig sei es, wenn sich viele Kinder aus anderen Bezirken an den Reinickendorfer Schulen bewerben würden. Dann könne es für die Bezirkskinder eng werden. Schulstadträtin Kathrin Schultze-Berndt setzt sich deshalb dafür ein, dass Regionalkinder bei Übernachfrage bevorzugt werden.

Aufnahmekriterien überarbeiten

Veränderte Aufnahmebedingungen wird es aber erst zum Schuljahr 2014/15 geben. Die Koalition hatte sich darauf geeinigt, dass erneut geprüft wird, inwieweit die Wohnortnähe zur Schule eine Rolle spielen könnte. Auch eine Geschwisterregelung sollte geprüft werden. Eine Arbeitsgruppe der Senatsbildungsverwaltung hat nun Vorschläge erarbeitet, über die der Koalitionsausschuss entscheiden muss.

Mehr Bewerber als Plätze gibt es nicht nur an vielen Gymnasien, sondern auch an etlichen Sekundarschulen. In Tempelhof-Schöneberg sind acht der elf Sekundarschulen so stark nachgefragt, das Auswahlkriterien zum Zuge kommen müssen. Während die Lehrer der Sophie-Scholl-Schule, die dreimal so viel Bewerber wie Plätze hat, mit allen Schülern Aufnahmegespräche führen, um deren Interessen und Neigungen herauszufinden und sie Profilklassen zuzuteilen, gilt an der Charlottenburger Friedensburg-Sekundarschule allein der Notendurchschnitt. Schulleiter Paul Schuknecht sagt, dass auf diese Weise Schüler mit einem Zensurendurchschnitt von bis zu 2,7 aufgenommen werden würden. „Erst wenn sich überproportional viele Kinder mit Gymnasialempfehlung bei uns anmelden, müssen wir über andere Aufnahmekriterien nachdenken“, so Schuknecht.