Heinz Buschkowsky und Raed Saleh entwickeln auf ihrer Rotterdam-Reise Ideen für Berlin: Nicht nur Geld, auch neue Strukturen sind gefragt.

Heinz Buschkowsky stellte die Frage nicht ohne Grund. „Dürfen sich die Schulen in diesem Problemviertel die Lehrer selbst aussuchen“, wollte Neuköllns Bürgermeister vom Projektkoordinator Rotterdam-Süd wissen. „Aber sicher“, antwortete Mattijs der Mooij entgeistert. In den Niederlanden ist die Autonomie der Schulen viel größer als in Deutschland. Und der Staat gibt Schulen umso mehr Geld, desto niedriger das Bildungsniveau der Eltern ist.

Mit diesen Informationen war der Boden bereitet für einen politischen Vorstoß, der laut Buschkowsky einen „Paradigmenwechsel“ für Berlins Bildungspolitik bedeuten würde. SPD-Fraktionschef Raed Saleh, demonstrativ gemeinsam mit seinem Parteifreund vom rechten SPD-Flügel auf Informationsbesuch in der holländischen Hafenstadt, kündigte für die Beratungen zum nächsten Haushalt ein Sonderprogramm für Berlins Brennpunktschulen an.

„Wir haben in Berlin zu viele Schulen, die problematisch sind und Unterstützung brauchen“, sagte Saleh nach dem Mittagessen im Restaurant „Sultan“ mitten in Rotterdams Süden, dem größten Sanierungsgebiet der Niederlande. Die Distanz zum heimischen Berlin war bewusst gewählt, weil der junge Fraktionschef und der Bezirksbürgermeister um die Sprengkraft ihres Vorstoßes wissen.

Sie versicherten aber, dass Schulleiter aus Neukölln, Spandau und Mitte in vorbereitenden Gesprächen ihre Ideen positiv aufgenommen hätten. „Unserer Senatsverwaltung wird das aber nicht gefallen“, erklärte Buschkowsky den holländischen Gastgebern. Tatsächlich hatte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) noch kürzlich im kleinen Kreis erklärt, sie sehe keine Notwendigkeit für ein Sonderprogramm für besonders problematische Schulen.

Finanzvolumen von mehr als zehn Millionen Euro

Saleh hielt sich mit Details zu seinen Vorstellungen zurück, er wolle der Diskussion der Fachpolitiker nicht vorgreifen, sagte er. Aber er denke an ein Finanzvolumen von deutlich mehr als zehn Millionen Euro pro Jahr. Diese Größenordnung ergebe sich, wenn jede in Frage kommende Schule 100.000 Euro bekommen soll. Gedacht ist an 100 bis 150 der 800 Berliner Schulen, die nach klaren Kriterien ausgesucht werden sollten. Außerdem sollten Pädagogen, die später das Amt des Schulleiters anstreben, bei einer Bewerbung nachweisen müssen, dass sie an einer Brennpunktschule unterrichtet haben, beschrieb Saleh seinen Weg, die besten und motiviertesten Lehrkräfte an die schwierigsten Schulen zu holen. „Berlin kann es sich nicht leisten, Brennpunktschulen zu haben“, sagte Saleh.

Buschkowsky rechnet dieser Kategorie in Neukölln etwa die Hälfte der 66 Lehranstalten zu. Die meisten anderen Brennpunktschulen verortet der Sozialdemokrat in Mitte, Spandau, Kreuzberg und Reinickendorf.

Zusätzliche Sozialarbeiter gebraucht

Saleh fasste den übergreifenden Gedanken zusammen. „Wie verringern wir in einer Gesellschaft, in der es sichtbare Schwierigkeiten gibt, den Abstand zwischen denen, die es geschafft haben und den anderen“, fragte der Fraktionschef. Wo sollte das geschehen, wenn nicht an den Schulen, lieferte er gleich selbst eine Antwort. Er sagte nicht, dass das offensichtlich von den eigenen Bildungssenatoren in den vergangenen Jahren nicht umgesetzt worden ist. Das Thema ist brisant. SPD-Landeschef Jan Stöß hat die Forderung nach echter Hilfe für Schulen in Problemkiezen im vergangenen Jahr lautstark im innerparteilichen Wahlkampf um den Landesvorsitz gegen den Senator Michael Müller vorgetragen.

Zusätzliche Sozialarbeiter könnten an Schulen vieles bewirken. Sie könnten das Lehrerkollegium entlasten und die Atmosphäre in einer Gemeinschaft verändern. Das bezweifelt auch in der Senatsspitze niemand. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat schon vor Jahren bei Gipfeltreffen mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versucht, von der Bundesregierung Geld für eine Sozialarbeiterstelle für jede Schule in Deutschland zu verhandeln.

Saleh kündigte an, sein Paket in der Fraktion vorzuschlagen. „Der SPD-Landeschef unterstützt das“, sagte der Fraktionsvorsitzende.

Saleh nannte als Kriterien für Brennpunktschulen den Migrantenanteil unter den Schülern, die Quoten der Bezieher von Sozialtransferleistungen unter den Eltern und die Zahl der Schulschwänzer.

Schulen freie Hand lassen

Wieder staunten die Holländer. Der Schule fern zu bleiben, wird dort nicht toleriert. Jeder Fehltag kostet die Eltern 75 Euro Bußgeld, auch Sozialleistungen können gekürzt werden. Buschkowsky fordert ein solches Vorgehen schon lange auch in Berlin. Aber zunächst wollen er und Saleh in ihrem gemeinsam ausgearbeiteten Vorschlag für die schwachen Schulen auf Förderung setzen. Kriterien wie die Zahl der erfolgreichen Abschlüsse oder der Gymnasialempfehlungen will Buschkowsky nicht zur Auswahl heranziehen, weil sie von der Schule selbst manipuliert werden könnten. Aber die Aussicht auf 100.000 Euro zusätzlich werde viele Schulen dazu bewegen, sich um das Geld zu bewerben und gleichzeitig den Status einer problembelasteten Brennpunktschule anzuerkennen. Die Schulen sollten dann selbst entscheiden, wie sie das Geld einsetzen wollten. Für zwei Sozialarbeiter, die die Familien aufsuchen und zur Mitarbeit motivieren. Oder für zusätzliche Sprachlehrer, wenn sie mangelnde Deutsch-Kenntnisse ihrer Kinder für das dringendste Problem halten.

Buschkowsky unterstützte die Idee, den Schulen weitgehend freie Hand zu lassen. Er habe den Senat „beschworen“, ein Programm nicht nur mit Geld, sondern auch mit neuen Strukturen zu machen, sagte der Bezirksbürgermeister. Das ging auch gegen die Senatsverwaltung, die den Schulen bisher sogar vorschreibe, welche Kreide sie zu kaufen hätten, spottete Buschkowsky.

Schulen im Wettbewerb

Er warb dafür, dass sich Schulen auch dem Wettbewerb stellen müssten. Auch das ist in den Niederlanden so: Wenn eine Schule zehn Jahre lang von der landesweiten Schulinspektion die schlechteste Note bekommt, wird sie geschlossen.

Buschkowsky verteidigte auch die Dimension der angepeilten Hilfe für Brennpunktschulen. Unter 100.000 Euro pro Schule mache das keinen Sinn. „10.000 Euro für neue Bücher in der Schulbibliothek, das wäre kein Programm“, sagte der Bürgermeister, der von Saleh zum Rotterdam-Trip aufgefordert worden war, um eine gemeinsame Linie in der Integrationspolitik für Berlins SPD auszuloten.

Die Idee, einen direkten Fokus auf die Schulen mit den meisten Schwierigkeiten zu legen, ist dabei ein erster konkreter Schritt. „Das wird eine breite Diskussion geben in Berlin“, glaubt Buschkowsky. Es gehe darum, Probleme auch als solche zu benennen und dann Lösungen zu suchen. Aber bisher gebe es in Berlin offiziell keine Schulen, die ganz gezielt unterstützt werden. „Dabei bedeutet jede Brennpunktschule verschüttetes Leben, verschüttete Zukunft“, mahnte Buschkowsky.