Am 1. Dezember 2011 wurde der rot-schwarze Senat vereidigt. Nicht wenige dachten vor einem Jahr, mit der Neuauflage der großen Koalition in Berlin unter umgekehrten Vorzeichen – diesmal ist die SPD stärker als die CDU – werde in der Berliner Politik ein konzentriertes Arbeitsklima und eine gewisse Langeweile einziehen. Jetzt aber blickt Rot-Schwarz auf bewegte zwölf Monate zurück.
Wobei zumindest ein Problem nicht aufgetreten ist: Die Vertreter beider Parteien, die sich nach dem Koalitionsbruch 2001 jahrelang unversöhnlich gegenüber standen, haben schnell wieder in den Modus der Macht gefunden und arbeiten relativ geräuschlos und ohne Parteienzank zusammen. Dabei hilft, dass das konfliktträchtige Thema Bildung durch den ausgerufenen „Schulfrieden“ der politischen Debatte weitgehend entzogen wurde, und sich eine modernisierte CDU und die unter Wowereit auf Pragmatismus getrimmte SPD in vielen Positionen angenähert haben.
Dennoch schwebt das Flughafen-Desaster wie ein Damokles-Schwert über dem Bündnis. Dieses Debakel klammert das vergangene mit dem kommenden Jahr. Sollte die Eröffnung des BER auch im Oktober 2013 misslingen und/oder die Kosten über das bisher geplante Maß hinaus ansteigen, wäre der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) endgültig schwer beschädigt.
Aber auch für Innensenator Frank Henkel (CDU) ist der Flughafen kein einfaches Thema: Er sitzt mit im Aufsichtsrat. Die Hauptverantwortung liegt aber beim Aufsichtsratsvorsitzenden Wowereit.
Belastet wird die Arbeit der Regierung bislang eher von Streitigkeiten innerhalb der SPD. Finanzsenator Ulrich Nußbaum und Stadtentwicklungssenator Michael Müller blockieren sich bei wichtigen Themen gegenseitig, auch weil ihr persönliches Verhältnis komplett zerrüttet ist.
Für den Senat als Ganzes und besonders für die SPD-Seite ist das besonders ernst, weil entscheidende Zukunftsfragen der Stadt wie die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum oder die Entwicklung von Zukunftsorten wie die Flugfelder von Tempelhof und Tegel nur im Zusammenwirken beider Ressorts zu bewältigen sein werden.
Das gilt ebenso für das Schlüsselthema Energiepolitik. Im Jahr der Bundestagswahl muss die Koalition unter dem Druck eines starken Volksbegehrens für Stadtwerke und Energienetze in kommunaler Hand einen Weg finden, die Energiewende in Berlin Realität werden zu lassen.
Der Berliner Senat in der Einzelkritik:
Klaus Wowereit - der Angeschlagene
Das Jahr 2012 hatte das Zeug, das Bild des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit für die Nachwelt zu prägen. Das Debakel um den Bau des Hauptstadt-Flughafens BER hat den Aufsichtsratschef weit über Berlin hinaus Ansehen als Macher gekostet. Dass die Verschiebung des Eröffnungstermins Wowereit dermaßen überraschte, muss ihn ärgern. Schließlich basierte seine starke Position in seinen mittlerweile vier Senaten auch darauf, dass er Probleme und Schwachstellen in Vorlagen erkannte und auf Lösungen drängte.
Diesen Nimbus hat Wowereit mit dem Flughafen-Desaster verloren. Dass nun dem amtierenden Kultursenator Wowereit auch noch zusätzliche Kosten und Terminverschiebungen für die Sanierung der Staatsoper drohen, macht die Sache nicht besser.
Zugute halten muss man dem Regierenden Bürgermeister, dass seine langjährige Verheißung, ein liberales, offenes Klima werde sich auch wirtschaftlich positiv in Berlin auswirken, eingetroffen ist.
Und er hat einige schwierige Personalfragen instinktsicher gelöst. So ist die Bildungssenatorin Sandra Scheeres bisher einigermaßen fehlerfrei durch ihr Amtsjahr gekommen.
Problematisch erscheinen jedoch zwei weitere Personalien: Offenbar holte sich Wowereit mit Michael Müller und Ulrich Nußbaum zwei Männer in die Regierung, die nicht miteinander auskommen und deren Streitereien die Senatsarbeit vielfach blockieren.
Wowereit ist in seinem zwölften Regierungsjahr in die Defensive geraten. So musste er auch Finca-Urlaube bei Event-Veranstaltern rechtfertigen. Nicht wenige vermuten, der 59-Jährige werde vor 2016 sein Amt aufgeben. Vorher will er aber den Flughafen eröffnen.
Frank Henkel - der Unglückliche
CDU-Chef und Innensenator Frank Henkel (49, CDU) hatte im ersten Regierungsjahr mehr zu tun, als er zuvor wohl ahnte. Schon die Einladung zu Koalitionsverhandlungen erreichte ihn im Urlaub in Thüringen.
Danach ging alles sehr schnell, und die CDU hatte Mühe, alle ihre Ämter zu besetzen. So kam es dann, dass – nach nur elf Tagen – der Senator für Justiz und Verbraucherschutz, Michael Braun, schon wieder aus dem Amt schied.
Ein halbes Jahr später verließ Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz die Verwaltung. Beide Personalien hatten sich für Henkel als Flop erwiesen.
Auch eine Personalentscheidung im engeren Umfeld gilt als schwierig. Innenstaatssekretärs Bernd Krömer soll den größten Anteil an den Kommunikationspannen rund um den NSU-Komplex und den Verfassungsschutz tragen.
Diese Skandale rüttelten ernsthaft am Stuhl des Innensenators. Er hatte es unterlassen, das Parlament und den Bundestag von der Existenz eines V-Mannes aus dem Umfeld des NSU-Terror-Trios zu unterrichten. Später musste Henkel noch einräumen, dass beim Verfassungsschutz mindestens zwei Mal Akten zum Rechtsextremismus widerrechtlich geschreddert worden waren. Die Chefin der Abteilung, Claudia Schmid, verließ daraufhin ihren Posten.
Nach langer Suche konnte Henkel die Besetzung der seit 18 Monaten vakanten Stelle des Polizeipräsidenten mit Klaus Kandt beenden. An ihn richtete Henkel bereits die Erwartung, Lösungen für die Probleme der Polizei zu formulieren. Das Personal schiebt Hunderttausende Überstunden vor sich her, der Krankenstand ist hoch, die Etatkürzungen führen zu weiteren Einsparungen. Auch soll die hohe Zahl der Einbrüche angegangen werden. Gut meisterte Henkel eine der größten Herausforderungen für einen Innensenator: Der 1. Mai verlief weitgehend friedlich.
Dilek Kolat - die Unauffällige
Dilek Kolat (SPD) hat sich viel vorgenommen. Die 45-Jährige will die Arbeitslosigkeit in der Stadt – bundesweit immer noch die höchste – spürbar bekämpfen. Nur wie, das weiß sie noch nicht so genau. Zwar feiert Berlin seit einiger Zeit regelmäßig Beschäftigungsrekorde – die Arbeitslosenquote liegt aber immer noch beständig bei 11,4 Prozent.
Ein Schwerpunkt soll künftig auf „echter Qualifizierung“ liegen. Arbeitslose sollen für den ersten Arbeitsmarkt qualifiziert werden und nicht von Maßnahme zu Maßnahme gereicht werden.
Ärger bekam sie wegen der Berufung der neuen Integrationsbeauftragten Monika Lüke, die der Integrationsbeirat als eigenmächtig kritisierte. Insgesamt bemühte sich Kolat um eine möglichst geräuschlose Ämterführung. Innerhalb der SPD gilt sie als potenzielle Nachfolgerin des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit.
Sandra Scheeres - die Zuhörerin
Ihr Vorgänger Jürgen Zöllner habe viele unerfreuliche Titelseiten in den Zeitungen gehabt, sagte der Moderator einer Veranstaltung kürzlich zu Sandra Scheeres. „Bei Ihnen ist es da ruhiger.“
Tatsächlich gab es 2012 nicht viel Wirbel um die Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Dabei war die 42-Jährige mit großen Bedenken ins Amt gestartet. Kaum einer traute der familien- und jugendpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion das Milliarden-Euro-Schlüsselressort zu.
Doch Scheeres agierte klug, holte sich gute Staatssekretäre und tourte durch Schulen, Kitas und Unis um zuzuhören. Das kam an. Aber auch der proklamierte Schulfrieden sorgt für Ruhe, Reformen muss sie nicht durchkämpfen.
Die größten Brocken liegen aber noch vor ihr: Die Hochschulverträge werden neu verhandelt, es fehlen Lehrer und Erzieher, zugleich soll es 11.000 neue Kita-Plätze geben.
Cornelia Yzer - die Bestimmte
Dutzende Akten mit dem Vermerk „dringlich“ hat Cornelia Yzer (CDU) von ihrer Vorgängerin Sybille von Obernitz geerbt, die im September 2012 als Wirtschaftssenatorin zurückgetreten war. Die frühere Staatssekretärin in zwei Bundesministerien und langjährige Chefin des Verbandes forschender Pharmaunternehmen hat sich seither daran gemacht, das Liegengebliebene aufzuarbeiten.
Die Christdemokratin hat die Suche nach einem neuen Messe-Geschäftsführer auf null gestellt, setzt ein Verfahren auf, um ein privatwirtschaftliches Nutzungskonzept für das ICC zu finden. Sie hat die zerstrittenen Vertreter der Technologiestiftung und von Berlin Partner an einen Tisch gebracht, damit sie ihre beiden Organisationen zusammenlegen. Das alles tut sie unaufgeregt und bestimmt. Und wundert sich nebenher immer wieder über die Zustände in Berlins Verwaltung.
Thomas Heilmann - der Dynamische
Der Senator für Justiz und Verbraucherschutz, Thomas Heilmann (48, CDU), legte los wie die Feuerwehr. Er setzte den Bello-Dialog in Gang, mit dem das Zusammenleben von Mensch und Hund in der Stadt neu überdacht werden soll. Er eröffnete einen Gesprächskreis, der helfen soll, eine angemessene Haltung zum Umgang mit Cannabis zu finden.
Zuletzt stellte er Überlegungen zur Reform des Kampfes gegen Jugendkriminalität vor – und für das kommende Jahr kündigte er bereits eine neue Dialogreihe zum Strafvollzug an.
Doch momentan hakt es ein wenig. Der Bello-Dialog steckt wegen der aggressiven Hundelobby fest, die Cannabis-Diskussion verlief ergebnislos. Aber Heilmann hat ein schlagkräftiges Team um sich versammelt, sein freundlicher Umgang und das offene Ohr für Mitarbeiter haben ihm viele Sympathien im eigenen Haus eingebracht.
Mario Czaja - der Hartnäckige
Seinen ersten Streit als Senator für Gesundheit und Soziales trägt Mario Czaja (CDU) gerade vor Gericht aus. Kaum im Amt, legte sich der mit jetzt 37 Jahren jüngste Senator im Kabinett mit einem mächtigen Gegner an, der Spitze der Kassenärztlichen Vereinigung. Seit Dezember 2011 streitet Czaja mit drei KV-Vorständen um die Zahlung von Übergangsgeldern. Der als Hoffnungsträger der CDU gehandelte Kaulsdorfer beweist dabei mindestens so viel Hartnäckigkeit wie die Gegenseite.
Czajas Regelung zu Heiz- und Mietkostenzuschüssen für Hartz-IV-Empfänger erntete Kritik der Opposition ebenso wie Lob dafür, schnell eine uralte Baustelle Berlins abgeräumt zu haben. Das Thema Pflege soll Czajas großes Projekt sein, aktuell plant er eine Pflegekammer und schärfere Kontrollen ambulanter Dienste. Ergebnisse stehen dabei noch aus.
Ulrich Nußbaum - der Aggressive
Ulrich Nußbaum hat ein starkes Argument auf seiner Seite: Ein Finanzsenator, in dessen Haushalt das Defizit schneller schrumpft als erwartet, macht seinen Job anständig. 2014 oder 2015, so die Planung, will Berlin ohne neue Schulden auskommen. Und wenn der 55-Jährige dann auch noch mal eben 444 Millionen Euro auftreibt, um Berlins Anteil an den Flughafen-Mehrkosten zu stemmen, dürfen die Kollegen und die Koalitionsfraktionen eigentlich zufrieden sein mit dem Kassenwart.
Dennoch wird der Parteilose kritisiert, denn sein Stil wird als wenig kooperativ wahrgenommen. Er legt sich ohne Not mit wichtigen Sozialdemokraten wie seinem Senatskollegen Michael Müller an und steht unter Druck, seine privaten Vermögensgeschäfte zu erklären. Der dienstälteste Senator in Berlin hängt mehr denn je am Wohlwollen des Regierenden Bürgermeisters.
Michael Müller - der Bedrängte
Michael Müller hat umgedacht. Als der frühere SPD-Landesvorsitzende, der im Sommer von den Genossen abgewählt wurde, noch die Fraktion im Abgeordnetenhaus führte, hat man von ihm nur wenige Vorschläge für den Kampf um bezahlbaren Wohnraum gehört.
Seit der 48-Jährige in den Senat gewechselt ist und das von ihm zunächst wenig geliebte Ressort Stadtentwicklung übernommen hat, sind Mieten und Wohnungsknappheit sein Hauptthema. Mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften hat er ein Bündnis für günstige Mieten geschlossen, er lässt Neubaukonzepte erarbeiten.
Auf Drängen der CDU schaffte er das Straßenausbaubeitragsgesetz ab. Aber Müllers Erfolg hängt stark davon ab, ob auch der Finanzsenator mitmacht. Doch Ulrich Nußbaum schafft es öfter, den Kollegen mit Vorstößen zu überrumpeln, weil Müller nicht schnell genug handelt.