Ein saudischer Diplomat soll seine Angestellte über eineinhalb Jahre misshandelt haben. Die Klage wurde aber abgewiesen, weil er Immunität genießt. Ein fragwürdiges Privileg – gerade, weil Diplomaten in der Hauptstadt zuletzt vermehrt negativ auffielen.

Auch in dieser Woche haben sich neue Betroffene bei Heike Rabe am Deutschen Institut für Menschenrechte gemeldet. Immerhin hat die abgewiesene Klage einer 30-jährigen Indonesierin gegen ihren Arbeitgeber, einen Attaché an der Berliner Botschaft von Saudi-Arabien, für Wirbel und Diskussionen gesorgt. „Wir wissen noch nicht, was im Einzelnen an den neuen Fällen dran ist, aber wir gehen allem nach“, sagt Rabe. Mal berichten Betroffene von schlechter Bezahlung in Diplomatenhaushalten, mal von Demütigung, Misshandlung, Ausbeutung. Manche möchten nur einen Tipp loswerden. Die Bandbreite ist generell groß und im Moment häufen sich die Hinweise. Sonst gebe es nur fünf bis zehn Fälle pro Jahr.

Zusammen mit der Berliner Frauen-Beratungsstelle „Ban Ying“ hatte das Institut für Menschenrechte erstmalig die Hausangestellte eines Diplomaten bei einem Gerichtsverfahren gegen ihren Arbeitgeber unterstützt. Die junge Indonesierin hatte ihrem Arbeitgeber vorgeworfen, sie anderthalb Jahre lang ausgebeutet und misshandelt zu haben – wie eine Sklavin . Die Klage gegen den saudischen Attaché war am Mittwoch zwar mit Verweis auf die diplomatische Immunität des Beschuldigten vom Landesarbeitsgericht abgewiesen worden. Sie wirft aber die Frage auf, wie Angestellte von Diplomaten besser geschützt werden könnten. Und das Image von Diplomaten hat einen weiteren Riss bekommen.

„Vornehmlich Lohnforderungen“

250 private Hausangestellte arbeiten nach Angaben des Auswärtigen Amtes in Diplomatenhaushalten in Deutschland. Offizielle Beschwerden von Angestellten sind selten. „Das Auswärtige Amt war 2010 in einem, 2011 in drei Fällen befasst, in denen es vornehmlich um Lohnforderungen ging“, so eine Sprecherin.

Dennoch sind Schlagzeilen in Zusammenhang mit Botschaftsmitarbeitern keine Seltenheit. Zuletzt fuhr Anfang Oktober ein Mitarbeiter der südkoreanischen Botschaft mit seinem Auto volltrunken in einen Hauseingang in Friedenau. Rund 15.000 Verkehrsdelikte zählte die Berliner Polizei 2010 im Zusammenhang mit Angehörigen des diplomatischen Dienstes in Berlin. Das ist ein neuer Rekord. Angeführt wurde die Liste der am häufigsten von derlei Vorfällen betroffenen Staatsvertretungen von Saudi-Arabien – vor Russland, Ägypten, China und Frankreich. Doch wer zum „Corps Diplomatique“ gehört, kann nicht belangt werden.

„Die Immunität ist ein wichtiges Instrument der Beziehungen zwischen Staaten. Sobald man sie antastet, steigt die Missbrauchsgefahr“, sagt Helmut Aust, Völkerrechtler an der Humboldt-Universität. Deutschland wolle schließlich auch nicht die eigenen Diplomaten in politisch heiklen Ländern gefährden. Ohne Immunität könnten Diplomaten mit fadenscheinigen Anklagen schnell unschädlich gemacht werden. „Sinn und Zweck der Immunität ist es, die Funktionsfähigkeit der diplomatischen Beziehungen zu sichern und die Kommunikation zwischen Staaten zu ermöglichen“, erklärt der Jurist. Außerdem soll durch das Privileg verhindert werden, dass gleichrangige Staaten übereinander zu Gericht sitzen können.

Das Privileg der Immunität ist sehr alt, es ist sogenanntes Völkergewohnheitsrecht, also über Jahrhunderte ausgeübte Praxis zwischen Staaten. 1961 wurde es im „Wiener Übereinkommen über die diplomatischen Beziehungen“ festgeschrieben. Demnach sind Diplomaten vor jeglicher Form der Strafverfolgung durch den Empfangsstaat geschützt. Sie sind also nicht nur gegen Strafzettel, sondern etwa auch gegen die Strafverfolgung im Falle eines Kapitalverbrechens immun.

Eine Lizenz zum Töten ist diplomatische Immunität dennoch nicht. „Die Immunität entbindet nicht von der Pflicht, sich an die Rechtsnorm des Empfangsstaats zu halten“, sagt Völkerrechtler Aust. Immunität gibt es grundsätzlich nur für „in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit als Mitglied der Mission“. In der Regel wirke sich dies jedoch auch auf die strafrechtliche Verfolgung aus, so Aust. Nur in Extremfällen haben Staaten bisher versucht, Diplomaten für nicht in amtlicher Funktion begangene Straftaten zu verfolgen. So etwa die USA im Jahre 1987 in einem durch den Botschafter Papua-Neugineas verursachten schweren Autounfall.

Die Bundesrepublik Deutschland hat als Empfängerstaat durchaus Spielraum, um auf Fehlverhalten von Diplomaten zu reagieren. Die „klassische Sanktion“ ist es, jemanden zur Persona non grata zu erklären, zur nicht genehmen Person. In diesem Fall muss ein Diplomat umgehend ausreisen. „Das geschieht aber nur sehr selten, denn es hat heftige diplomatische Verwicklungen zur Folge“, sagt Aust. Öfter komme es vor, dass sich Staaten auf informeller Ebene einigten.

Rechtsänderungen gefordert

„Das Auswärtige Amt reagiert unverzüglich und mit Nachdruck auf schwerwiegende Vorwürfe gegen Diplomaten in Deutschland“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Dafür würden alle Möglichkeiten ausgenutzt, die im Wiener Übereinkommen vorgesehen seien, „um betroffene Missionen und Diplomaten zur Einhaltung der deutschen Gesetze und Vorschriften aufzufordern“.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte, ein aus Bundesmitteln finanziertes, aber unabhängiges Institut, fordert, ausgebeuteten Angestellten in Diplomatenhaushalten „Zugang zum Recht“ zu verschaffen. Die Immunität als solche infrage stellen möchte das Institut aber nicht. „Man muss das Spannungsverhältnis zwischen Menschenrechten und Immunität auflösen“, sagt Heike Rabe, und macht Vorschläge: So könne man die Immunität in bestimmten Fällen einschränken, mit einem Schiedsgericht eine Beschwerdeinstanz schaffen oder dem Beispiel Frankreichs folgen. Dort hat ein Gericht im Falle einer misshandelten Angestellten den Staat in einer Art Amtshaftung zu einer Schadenersatzzahlung verpflichtet. Auch Präventionsmaßnahmen seien denkbar, sagt Rabe. So seien Privatangestellte von Diplomaten in Österreich etwa verpflichtet, sich ihre Arbeitsgenehmigung persönlich beim Amt abzuholen. Dabei würden sie gleich mit Hilfsangeboten in ihrer Sprache versorgt.

Für strukturelle Veränderungen brauche es wohl noch viel Zeit, vermutet Rabe. Erst einmal gehe es deshalb darum, Gerechtigkeit für Einzelne zu erstreiten. Im Falle der Indonesierin soll Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden.