In Berlin wird derzeit viel getagt, verworfen, entschieden. Die Koalitionsgespräche von SPD und CDU laufen noch bis zum 15. November auf Hochtouren, ziehen sich an den meisten Tagen über viele Stunden. Diskutiert wird aber auch auf Berlins Straßen, bei den Bürgern. Besonders diejenigen, die von den Beschlüssen der beiden Parteien direkt betroffen sind, haben oft eine Meinung zu den Gesprächen und Entscheidungen der verantwortlichen Politiker. Was denkt ein Student über den geplanten Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof? Voraussichtlicher Kostenpunkt: 270 Millionen Euro. Ein Polizist kann sich über 250 neue Kollegen freuen. Kann er? Was sagt er zum Streitpunkt der individuellen Kennzeichnung von Beamten durch Namensschilder oder fortlaufende Nummern? Ein sehr persönliches Thema für jeden einzelnen Beamten. Und auch unter den Arbeitslosen herrscht eine Erwartungshaltung. Verspricht die neue Regierung doch eine Job-Offensive, die vor allem auch Langzeitarbeitslosen endlich wieder eine Perspektive schenken soll? Glauben die Betroffenen an eine Verbesserung ihrer teilweise langjährig bestehenden Beschäftigungslosigkeit? Drei individuelle Beispiele für: Politik trifft auf Berliner Wirklichkeit.
Der Polizist
Thomas S. (44), Polizeioberkommissar und Mitglied der Gewerkschaft der Polizei: „Die 250 neuen Kollegen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Anzahl ist zu gering. Die Polizei ist überaltert, es werden immer mehr Kollegen pensioniert. Und zwar so viele, dass einfach gar nicht genug neue Polizisten nachkommen können. Denn die Ausbildungskapazitäten sind ja auch erschöpft. Da sollen jetzt Löcher gestopft werden, von denen wir als normale Schutzpolizisten im Abschnitt wahrscheinlich gar nichts mitbekommen.
Die verstärkte Präsenz auf den Straßen, die jetzt geplant ist, kann gar nicht funktionieren, weil die personelle Verstärkung des Basisdienstes, bestehend aus Schutzpolizisten, Kriminalbeamten und geschlossenen Einheiten, einfach zu schwach ist. Wir brauchen mehr Leute, nicht das modernste Funkgerät oder tausend Videoüberwachungen. Denn einen Überwachungsstaat wollen wir Polizeibeamte auch nicht. Wichtiger wäre es, das schiefe Bild der Polizei im Kopf der Bürger zu begradigen: Wir sind in erster Linie dafür da, vor Verbrechen zu schützen – und nicht dafür, erst zu kommen, wenn schon etwas passiert ist. Und das erreichen wir nur durch mehr Präsenz – und dafür brauchen wir schlicht und ergreifend mehr Kollegen, die auf den Straßen unterwegs sind.
Die Debatte um die Kennzeichnungspflicht ist ein ebenso kompliziertes Thema. Meine Kollegen und ich, wir wollen einfach keine Zwangskennzeichnung. Dagegen klage ich auch. Ich trage die Nummer 19214, als Persönlichkeitsschutz. Ich bin schließlich nicht nur Polizist, sondern auch Privatmann.“
Die Arbeitslose
Monique Schramm (39), gelernte Restaurantfachfrau und Bürofachkraft, Malerin und Autorin: „Ich bin seit 2008 arbeitslos. Drei Mal in der Woche gebe ich in einem privaten Atelier Malkurse für Kinder. Da verdiene ich zusätzlich zu meinen Hartz-IV-Bezügen 40 Euro im Monat. Hundert Euro extra ist ja erlaubt. Ich fühle mich als Künstlerin, aber das zählt beim Arbeitsamt irgendwie nicht. Deshalb habe ich gerade wieder neun Bewerbungen als Bürofachkraft verschickt. Mal sehen. Mein Jobvermittler hat mir gesagt, wenn ich bis Dezember dieses Jahres keine Arbeit bekomme, dann denkt er für mich über eine 1,50- Euro-Maßnahme nach. Dabei habe ich schon so viele Bewerbungen verschickt – oftmals gab es die Stelle, für die ich mich da beworben habe, schon gar nicht mehr. Da habe ich dann mal angefangen zu recherchieren, weil ich nie eine Antwort bekommen habe. Das kann doch auch nicht sein! Oft fühle ich mich von den Vermittlern auch malträtiert. Und ich weiß, dass es vielen anderen auch so geht. Im Kopf herrscht da schon vielfach die vorgefertigte Meinung vor: Die Arbeitslosen, die wollen doch eh nicht wirklich zurück auf den Arbeitsmarkt. Und nun soll es bald noch mehr Jobvermittler geben? Jobs für die Arbeitslosen wären mir lieber. Die Bürokratie wird immer mehr. Und für mich hört es sich einfach so an, als würden mehr Stellen auf Seiten der Agenturen geschaffen, damit das Geld gleich beim Staat bleibt.
Das einzige, was mich rettet, ist mein gesunder Humor und meine Arbeit als Künstlerin. Ich hab beschlossen, mal eine Sitzung der Piraten-Partei zu besuchen – es muss doch auch anders gehen.“
Der Student
Benjamin Aunkofer (28), studiert Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) und arbeitet freiberuflich als Wirtschaftsingenieur und Softwareentwickler. Er sagt: „Ich weiß noch nicht so genau, ob ich den geplanten Neubau einer Landesbibliothek gut finde. Erst einmal ist es ja gar nicht schlecht, dass in Berlin die Bibliotheken ein wenig verteilt sind. Man hat so kurze Wege zu verschiedenen Themengebieten. Außerdem ist es in den einzelnen Bibliotheken ja ganz gut organisiert, soll heißen: Ich kann von jedem Standort aus jedes Buch überall hin bestellen. Die Fachhochschulen, wie die FHTW zum Beispiel, haben ja immer nur kleine Bibliotheken, die sehr fachspezifisch sind. Ebenso die Universitätsbibliotheken – auch dort ist die Auswahl der Bücher sehr fachlastig, eben immer auf das bezogen, was die Unis konkret verlangen. Als Student braucht man oft aber auch allgemeinere Literatur. Da sind die Zentralbibliotheken für Studenten eine sehr gute Möglichkeit, an Bücher zu kommen. Wenn ich jetzt so darüber rede und nachdenke – vielleicht ist so ein einziger Standort in einem großen Neubau doch die bessere Lösung. Rentabler ist es auf jeden Fall, Logistik wird auch eingespart. Was ich aber kritisiere, nicht nur in Berlin und diese Bibliothek betreffend: Deutschland ist ein Entwicklungsland, was die behördliche Transparenz angeht. Die Mitbestimmung der Bürger fehlt mir. Da wäre ein Neubau einer öffentlichen Bibliothek doch ein guter Ansatz. Mich betrifft es schließlich, selbst wenn ich in ein paar Jahren kein Student mehr bin. Ein Nutzer der Bibliotheken bin ich allemal.“