Die Miene versteinert, die Arme verschränkt sitzt sie da, die Grünen-Spitzenkandidatin nebst Fraktionsvorsitzenden und Landeschefs. Eigentlich wollten sie bei diesem Gespräch im grünen Kerngebiet an der Kastanienallee allein die letzte Phase des Wahlkampfes einläuten und mit zehn „zugespitzten“ Punkten das grüne Programmpaket fertig schnüren. Doch nachdem Renate Künast ihren Plan „für das, was als erstes in Angriff genommen werden muss“ vorstellt, muss Landeschef Daniel Wesener noch eine „Erklärung“ abgeben. Es gilt, dreieinhalb Wochen vor der Wahl eine äußerst schädliche Debatte über mögliche Koalitionspartner der Grünen möglichst im Keim zu ersticken.
Die „Taz“ hatte am Donnerstag Vertreter des linken Parteiflügels mit einer kritischen Haltung zu einer möglichen Koalition mit der CDU zitiert – einer Option, die sich Künast ausdrücklich stets offen gehalten hatte. Die zum linken Flügel zählende Abgeordnete Anja Kofbinger sagte demnach, im Falle einer grün-schwarzen Koalition werde sie dem Haushaltsentwurf im Parlament nicht zustimmen. Das Blatt zitierte sie mit den Worten: „Ich werde mich nicht gegen den Willen meiner Neuköllner Bezirksgruppe verhalten.“ Sie persönlich stehe für eine Koalition der Grünen mit der CDU nicht zur Verfügung und würde sich an einen entsprechenden Parteitagsbeschluss nicht gebunden fühlen.
Eine Koalitionsabsage an die CDU wäre für Künast fatal: Denn ihr ganzer Wahlkampf, den sie zum Duell stilisiert hat, basiert auf dem Willen, Klaus Wowereit aus dem Roten Rathaus zu vertreiben. Dafür braucht Künast möglicherweise die CDU als Juniorpartner. Entsprechend reagierte die Grünen-Spitze auf den Artikel.
Der Bericht sei im „höchsten Maße ärgerlich und völlig überflüssig“, sagte Wesener. „Die Inhalte sind ausschlaggebend für eine Koalition und die Entscheidung darüber obliegt der Partei.“ Keine Option werde vor der Wahl ausgeschlossen. „Wir werden in all das, was auf uns zukommt, sehr geschlossen reingehen.“ Er als Linker betone ausdrücklich, so Wesener weiter, dass die gesamte Partei diese Einschätzung teile. Anja Kofbinger fühle sich von der „Taz“ falsch wiedergegeben, sie leite nun rechtliche Schritte ein.
„Ich will Optionen haben“, sagte Künast. Sondierungsgespräche und Verhandlungen würden zeigen, mit wem eine Koalition inhaltlich möglich sei. Die größte Schnittmenge gebe es nach wie vor mit der SPD. „Aber wenn die SPD unbedingt die A100 bauen will, dann kann sie das nur mit der CDU tun.“
Der neuerliche Ärger bei den Grünen kommt zwar drei Wochen vor der Wahl zur Unzeit, war aber zu erwarten. Der linke Flügel aus Kreuzberg und Neukölln lehnt Gedankenspiele über eine grün-schwarze Koalition schon lange ab. Künast hatte aber eine geschlossene Partei zu einer der Voraussetzungen für ihre Kandidatur gemacht. Der linke Flügel gab sich fortan damit zufrieden, dass Künast die Gemeinsamkeiten mit der SPD herausstrich und unterließ seitdem jegliche Störfeuer. Auch am Donnerstag betonte der Kreuzberger Abgeordnete Dirk Behrendt: „Über Koalitionen entscheiden immer noch die Parteigremien und nicht einzelne Personen. Wir schließen nichts aus und wollen möglichst stark aus den Wahlen hervorgehen.“ An der strategischen Ausrichtung der Partei habe sich nichts geändert. Es gelte, möglichst viel grüne Politik in der kommenden Regierung durchzusetzen.
Allerdings gilt sowohl bei den Grünen als auch bei der SPD die jeweils andere Partei als der natürliche Koalitionspartner. Beide Parteien hätten Schwierigkeiten, eine Koalition mit der CDU ihrer Basis schmackhaft zu machen. Die Vorbehalte dagegen sind in den Niederungen der Partei nach wie vor groß.
Schon bei den vergangenen beiden Wahlen standen die Grünen als Koalitionspartner bereit, bevor der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit sich zur Enttäuschung der Grünen für die PDS-Linkspartei als Regierungspartner entschied. Seine Begründung lautete jeweils, mit den Linken sei die Regierungsarbeit geräuschloser zu leisten. Die Grünen seien – vor allem wegen ihres unkontrollierbaren linken Flügels – der unsichere Koalitionspartner.
Künast setzt weiter auf Sieg
Die Kritik ist bei den Parteistrategen der ehemaligen Öko-Partei angekommen. Die Sozialdemokraten registrierten in den vergangenen Wochen anerkennend, dass sich die Grünen im Wahlkampf als verlässlicher Partner präsentierten. Die am Anfang des Wahlkampfs scharf formulierten Vorwürfe gegen Wowereit sind zuletzt mehr und mehr einer konstruktiven Kritik an der Haushaltspolitik des Senats gewichen. Die Partei, so scheint es, will es sich nicht erneut mit Wowereit verscherzen.
Von Ärger an der Parteibasis wollte Künast am Donnerstag dann auch nichts wissen. „Ich habe eine wunderbare Basis, ich habe nun ein Jahr lang mit diesem Verein eine gemeinsame Position erarbeitet.“ In der Position, die Künast im Wahlkampf vertritt, zeigt sich die Partei ausdrücklich als Volkspartei, ganz Berlin soll sich angesprochen fühlen.
In den Umfragen liegen die Grünen mit 22 Prozent momentan deutlich hinter der SPD (31 Prozent) und gleichauf mit der CDU. Doch vor der Wahl kann sich noch viel tun. Schon geringe Veränderungen machen Koalitionsoptionen zunichte oder öffnen breite Verhandlungsmöglichkeiten. Auch die SPD kann sich mit ihrem Vorsprung deshalb nicht in Sicherheit wiegen. Künast selbst setzt weiter auf Sieg: „Ich will Regierende Bürgermeisterin werden. Und ich bin selbstbewusst genug zu sagen, dass ich das kann“, sagte sie noch am Mittwoch im Hotel Hyatt vor Mitgliedern der Initiative Hauptstadt.
Am Donnerstag ging Künast dann auch inhaltlich in die Offensive. Nicht nur dem Wähler, auch einem möglichen Koalitionspartner wollen die Grünen mit den nun vorgestellten „Zehn Entscheidungen für Berlin“ schon einmal die Instrumente zeigen. „Wir wollen verdeutlichen, womit die Bewegung los gehen wird“, sagte Künast. Die zehn Punkte seien die ersten Schritte, die gemacht würden, wenn die Grünen mitregierten. So wollen sie als ersten Schritt etwa 400 neue Lehrer einstellen, die Charité und Vivantes in einer Holding zusammenführen und einen eigenen Staatssekretärsposten für die Personalentwicklung einführen, der sich um die Modernisierung der Verwaltung kümmern soll. Auch das Sicherheitsgefühl der Berliner wollen die Grünen verbessern – mit ihrer Forderung nach mehr Polizei auf den Straßen sind sie ganz bei der CDU.
Von 400 bis 500 Polizisten zusätzlich für Berlin ist bei den zehn Punkten aber keine Rede. Anfang der Woche hatte Künast unter dem Eindruck der anhaltenden Autobrände in der Stadt diese Forderung geäußert. Damit seien aber keine zusätzlichen Stellen gemeint gewesen, stellte Künast nun klar. Es gehe darum, innerhalb der Polizei Stellen umzuschichten. „Es gibt zu viele Häuptlinge und zu wenig Indianer.“ Es müsse weniger Stellen in der Verwaltung und mehr im Vollzugsdienst geben, so Künast. Das sei keine Wahlkampfidee, sondern eine „uralte grüne Forderung“.