Das neue Motto der SPD lautet „Stolz auf Berlin“. Beim Landesparteitag im alten Paketbahnhof am Gleisdreieck regierte die Genugtuung über das in mehr als zehn Jahren Regierungszeit unter Klaus Wowereit Erreichte. Kritik gab es nur vor der Tür, wo Polizeibeamte mit grünen Gewerkschaftsfahnen für mehr Geld demonstrierten.
Im Saal waren solche Misstöne nicht zu hören. Vor dem Parteitag, so scherzten einige Sozialdemokraten, haben sich selbst notorische Kritiker der Berliner SPD-Spitze sorgfältig die Hände eingecremt. „Damit ich ordentlich klatschen kann“, flachste ein ansonsten nicht zur Lobhudelei für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und Landeschef Michael Müller neigendes Parteimitglied.
Die Botschaft ist klar und die Genossen haben sie vier Monate vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus verinnerlicht: Die Partei schließt die Reihen und versammelt sich hinter ihrem einzigen Hoffnungsträger Klaus Wowereit. Geschlossen nominierten die Delegierten den Regierenden zum Spitzenkandidaten.
Unter dem rhythmischen Klatschen der fast 1000 Delegierten und Gäste war ein überaus gut gelaunter Klaus Wowereit ans Rednerpult getreten. „Ach, ist das schön“, rief er: „Jetzt weiß ich, warum Nominierungsparteitage so wunderbar sind“. Immerhin sei das ja schon sein dritter.
Wowereit sprach von seiner „erfolgreichen Leistungsbilanz“ und zitierte Slogans, die auf bunten Tafeln von der Decke baumelten. „100.000 neue Arbeitsplätze“, „Über 16.000 neue Kita-Plätze“, „gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni“. Er habe allen Grund, stolz zu sein auf die Berliner, die täglich daran arbeiten, dass unsere Stadt noch schöner werde, sagte der Regierende. Jetzt schaue die ganze Republik und das Ausland darauf, ob „diese faszinierende Erfolgsgeschichte zu Ende ist oder ob sie weitergeht“.
Berlin sei eine Stadt, die wirtschaftlich erfolgreich sei, die aber auch zusammenhält, sagte Wowereit und bedankte sich namentlich bei seinen SPD-Senatskollegen. „Ja, wir lieben dieses Berlin“, sagte Wowereit und lächelte sein charmantestes Lächeln in den Saal.
Die jüngste Umfrage belegt erneut, wie abhängig die Berliner SPD ist von ihrem populären Frontmann. Wowereits Sympathiewerte sind im Vergleich mit seinen Herausforderern Renate Künast von den Grünen und Frank Henkel von der CDU abermals gestiegen. Wenn die Berliner ihren Senatschef direkt wählen könnten, würde Wowereit mit Abstand gewinnen. In seinem Sog kletterte die SPD wieder auf 29 Prozent und eroberte den Spitzenplatz von den Grünen zurück.
Die Zeit für Streit ist abgelaufen in der SPD. Wie so oft raufen sich die sonst so konfliktfreudigen Genossen vor wichtigen Wahlen zusammen. Nachdem zum Beispiel der Weiterbau Stadtautobahn A 100 von Neukölln nach Treptow im Wahlprogramm steht, akzeptieren auch die Kritiker klaglos die Entscheidung. Änderungsanträge dazu gab es in der Programmdebatte nicht. Im vergangenen Jahr hatte die Hälfte der Basisvertreter den Ausbau abgelehnt, Wowereit musste seine Autorität in die Waagschale werfen, um eine knappe Mehrheit zustande zu bringen. Eine andere heikle Debatte haben die Strategen ebenfalls vermieden. Ein Antrag aus Kladow/Gatow, am neuen Flughafen BBI zwischen 22 und 6 Uhr alle Flüge zu verbieten, wurde von der Antragskommission vertagt. Kein Misston sollte stören.
Auch das Thema Sarrazin sollte auf dem Landesparteitag außen vor bleiben. Um bei der Krönungsfeier für Wowereit eine Debatte über den Umgang mit dem Ex-Finanzsenator zu vermeiden, wurden Anträge vertagt, Sarrazin doch noch aus der SPD zu werfen oder wenigstens die Hürden für einen Ausschluss zu senken.
Wowereit selbst sparte aber nicht an Seitenhieben auf seinen ehemaligen Senatskollegen. „Wir brauchen den Aufstiegswillen“, sagte Wowereit in seinen Ausführungen zur Integrationspolitik. Er lasse sich nicht ausreden, dass jeder Mensch danach strebe, sich in der Gesellschaft etwas einzubringen. Ohne Thilo Sarrazin zu nennen, beschwor Wowereit den Grundkonsens in der Migrationspolik: Integration sei millionenfach gelungen, Deutschland sei ein multikulturelles Land, niemand dürfe ausgegrenzt werden. Andere arbeiteten daran, zu diffamieren und auszugrenzen und verdienten damit Millionen, rief Wowereit. Entscheidend müsse aber sein, dass einzelne nicht die absolute Mehrheitsmeinung der Partei konterkarrieren.
Vorbild ist Olaf Scholz in Hamburg
Wowereit präsentiert sich vier Monate vor den Wahlen am 18. September vor allem auch als Sachwalter der Wirtschaft – eine Rolle, mit der er in den vergangenen Jahren nicht gerade aufgefallen war. „Wir haben zu wenig deutlich gemacht, dass wir hochqualifizierte industrielle Arbeitsplätze haben“, räumte er in seiner Parteitagsrede ein. Wowereit lobte sich aber für die Initiative zur Tourismusförderung. „Die 20 Millionen Übernachtungen sind nicht von allein gekommen“, sagte der Bürgermeister und warb für den Ausbau der Infrastruktur. Zuallererst nannte er den neuen Flughafen und sagte die pünktliche Eröffnung am 3. Juni 2012 zu. „Die Wackelei der Opposition ist unerträglich“, sagte Wowereit und äußerte Zweifel am wirtschaftspolitischen Verstand der anderen Parteien. Diesen Dilettanten dürfe man nicht die Führung einer Stadt überlassen.
Parallel zum Bekenntnis für die Wirtschaft beschloss der Landesparteitag ohne große Debattenim „Berlinprogramm 2011 – 2016“ sozial- und bildungspolitischer Vorhaben wie die Ausbau der Ganztagsschulen voranzutreiben.
Das Vorbild der Berliner SPD ist Olaf Scholz, der für die Sozialdemokraten die Freie und Hansestadt Hamburg mit einem auf Seriosität und Wirtschaftsnähe setzenden Wahlkampf mit absoluter Mehrheit zurückerobert hat. Scholz trat bei der Nominierung seines Berliner Genossen als umjubelter Gastredner auf. „Ein Sozialdemokrat wird wieder Bürgermeister sein“, rief Scholz, als er zu Beginn seiner Rede die Berliner Wahl vorhersagte. „Die Konzepte der SPD, die funktionieren“, sagte er. Zuerst wollten die Wähler wissen, ob es klappe mit ihrer Arbeit. Und die Unternehmer wollten wissen, ob sich die Partei um Infrastruktur und Rahmenbedingungen kümmere. Er sei froh, dass der Berliner Bürgermeister für Wirtschaft stehe, so Scholz. „Sorgt dafür, dass die Berliner weiter stolz auf ihre Stadt sein können, indem ihr Klaus Wowereit wählt.“.
Zum Abschluss seiner Rede wandte sich Wowereit direkt an seine Genossen, mit denen er in den vergangenen Jahren manchen Streit ausgefochten hatte. „Einfach wird es mit mir auch nicht in den nächsten fünf Jahren“, sagte Wowereit. „Die SPD hat zwar andere – aber nicht so'n guten wie ich.“ Der Applaus für ihn währte daraufhin drei Minuten 20 Sekunden.