DDR-Trinkgewohnheiten

Ossis hätten Wessis unter den Tisch getrunken

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Andrea Kolpatzik

Foto: M.Firyn

Autor Thomas Kochan hat ein Buch über den Alkoholkonsum in der DDR geschrieben. Ergebnis: In wohl keinem anderen Land wurde so viel Hochprozentiges konsumiert. Die Genossen waren gar "Schnapsweltmeister".

Es war eine Schnapsidee. Doch der Rausch verging, die Begeisterung blieb und so entschied sich Thomas Kochan vor sieben Jahren, sein Vorhaben, über die Alkoholkultur in der DDR zu promovieren, tatsächlich umzusetzen. Jetzt liegt das mehr als 400 Seiten starke Buch vor. „Blauer Würger. Trinkgewohnheiten der DDR“ lautet der Titel, der am Institut für europäische Ethnologie entstandenen Studie.

Die Idee für die Untersuchung, warum in der DDR so extrem viel Alkohol konsumiert wurde, kam Kochan durch ein Buchprojekt über Hippies in der DDR. Bei Recherchen entdeckte der Ethnologe die ostdeutsche Trinkkultur. „Diese Geschichten waren mir gleich vertraut“, sagt der 42-Jährige. Und er hatte viele Fragen: Berauschte die SED ihr Volk etwa? Tranken sich die DDR-Bürger die Tristesse des Arbeiter- und Bauernstaats systematisch schön?

Sicher ist, dass in kaum einem anderen Land so viel Alkohol konsumiert wurde wie in der DDR. Beim Verbrauch von Hochprozentigem lag der Osten deutlich vor dem Westen. 1955 lag der Verbrauch pro DDR-Bürger bei 4,4 Litern Weinbrand, Klarem und Likör, im Jahr 1988 waren es schon 16,1 Liter.

Doch Thomas Kochan fand etwas anderes heraus: Das Vorurteil einer Fixierung der DDR-Bürger auf Alkohol konnte er nicht belegen, obwohl er dies selbst vermutet hatte. „Blauer Würger“, „1450“ oder „Pfeffi“ – diese Spitznamen für Wodka, Goldbrand und Pfefferminzlikör waren für den Forscher das Indiz einer alkoholisierten Gesellschaft. „Ich hatte die Klischees ja selbst im Kopf, wollte sie beweisen.“ Kochan wälzte Akten, Fernseh- und Zeitungsdokumente, befragte Experten wie den ehemaligen Chef des Nationalkomitees für Gesundheitssicherung in der früheren DDR, einen auf Alkoholsucht spezialisierten ostdeutschen Arzt oder die Besitzerin einer DDR-Eckkneipe. Das Ergebnis seiner Untersuchung: „Hipp Hopp, rin in Kopp“ war zwar ein beliebter Trinkspruch, die DDR-Bürger deshalb aber nicht per se betrunken gewesen. Im Osten sei nämlich nicht mehr, sondern nur anders als in Westdeutschland getrunken worden. Während in der alten Bundesrepublik vor allem Wein reißenden Absatz gefunden habe, sei die DDR „Schnapsweltmeister“ gewesen, sagt Kochan. Mangel herrschte zwar in der Wirtschaft, aber nicht im Schnapsregal: Zuckerrüben, Getreide und Kartoffeln reichten für die volkseigene Spirituosenproduktion aus. „Es waren ja keine Edelgetränke“, so der Kochan, der in Cottbus aufgewachsen ist.

Er spricht nicht mehr von einer alkoholfixierten, sondern von einer „alkoholzentrierten“ DDR-Gesellschaft. Denn der Alkohol sei in der DDR immer präsent gewesen – ob als Tauschmittel, Geschenk oder als Nahrungsmittel. „Der Alkohol spielte eine wichtige Rolle, aber ständig betrunken waren die Leute nicht“, sagt Kochan.

Außerdem habe es den Reiz des Verbotenen gegeben, der die Menschen zur Flasche greifen ließ. In den 50er- und 60er-Jahren setzte die SED auf eine strikte Anti-Alkoholkampagne, wollte mit Preiserhöhungen und Gesetzesänderungen die Zahl der Eckkneipen und den Alkoholkonsum reduzieren. Alkoholismus war viele Jahre lang ein Thema in der DDR. Die Opposition habe sich neben Meinungs- und Reisefreiheit auch gegen Umweltverschmutzung und Alkoholabhängigkeit engagiert, so der Ethnologe. Bis zum Fall der Mauer.

Kochan kam im Jahr 1989 als 21-Jähriger nach Berlin. Im besten trinkfähigen Alter also. Doch an seine eigenen Alkoholerfahrungen mag sich der Buchautor nicht so gern erinnern. „Mein Kopf ist so voll, da haben solche Erinnerungen keinen Platz“, winkt Kochan ab. „Für Mikki“ steht auf der ersten Seite des mehr als 400 Seiten umfassenden Buches, das beim Aufbau Verlag erschienen ist. Mit Mikki ist Katrin Miketta gemeint – seine Ehefrau. „Sie war mir eine große Stütze und Hilfe“, sagt er. Und erzählt, wie seine Ehefrau sich ausbat, wenigstens einmal in Woche nicht über Schnaps und die DDR sprechen zu müssen.

Mit Alkohol beschäftigt sich Thomas Kochan auch mit der Erlangung des Doktorgrads. Im März hat er sich in Prenzlauer Berg einen kleinen Schnapsladen eröffnet. „Was ich hier habe, findet man sonst nicht in Berlin“, sagt Kochan. Er hat sich in seinem Laden nahe der Gethsemanekirche auf europäische Destilate spezialisiert. Sein Lieblingsdrink ist der Kräuterbalsam der Dominikanerinnen das Kloster Heilig Kreuz. Ein Schweigeorden. „Telefonieren ist schwierig, aber es hat sich eine tolle Briefkultur zwischen Berlin und Regensburg entwickelt“, erzählt er. DDR-Schnäpse findet man bei ihm aber nicht. „Ich bin ein Missionar für die Schnapskultur“, sagt er. „Für den genussvollen Schluck am Abend.“