Für Renate Künast ist es eine klare Angelegenheit: „Sehen wir mal ganz professionell auf das Ding: Künast oder Wowereit lautet die Entscheidung, die es zu treffen gilt.“ Drei Tage nach ihrem fulminanten Auftritt im Museum für Kommunikation mit der Bekanntgabe ihrer Spitzenkandidatur bemühte sich Künast am Montag in die Mühen der Landesebene hinab und stellte sich zum ersten Mal den Fragen. Der Sprung vom Raumschiff Bundestag in die Landespolitik bereitet ihr sichtlich noch Schwierigkeiten. Statt wie viele Kollegen mit dem Rad, erschien sie tags zuvor auf dem Parteitag mit der Fahrbereitschaft des Bundestages, den direkten Kontakt mit den Berlinern mied sie bislang. Und es rutscht ihr die eine oder andere Formulierung heraus, die sie nach Ansicht ihrer Berater lieber nicht gesagt hätte. Wie sie denn darauf komme, dass es in Berlin zu wenige Betreuungsplätze für Kita-Kinder gebe, wurde sie gefragt. „Ich höre, dass es in Berlin immer noch Suchbewegungen von Eltern gibt“, antwortete sie etwas sperrig.
Nach den Anwürfen des Amtsinhabers Wowereit, sie solle sich eindeutig für den Bund oder Berlin entscheiden, beteuerte sie erneut ihren Berlin-Bezug. Sie lebe in Berlin und sitze für Berlin im Bundestag. Wie so viele Menschen habe sie ihr Herz an Berlin verloren, als sie sich vor mehr als 30 Jahren aus Recklinghausen aufmachte, etwas Neues zu erleben.
Jetzt sei es wieder Zeit für einen Aufbruch: das Rennen um das Rote Rathaus. Mit Wowereit eine sie der Anspruch, nur als Regierende Bürgermeisterin in die Landespolitik zu wechseln. Wowereit habe angekündigt, sich nicht als kleinerer Koalitionspartner in die zweite Reihe zu setzen oder den Oppositionsführer zu geben. Gleiches gilt für sie. „Ich bin bereit, für das Amt den Bundestag zu verlassen.“
Diese Absicherung ist der größte Schwachpunkt in Künasts Kandidatur. Der Vorwurf der Halbherzigkeit wird sie durch den Wahlkampf hindurch begleiten. Während Künast als Fraktionschefin ihrer Partei weiter im Bundestag präsent sein muss, können ihre Widersacher auf den Berliner Straßen punkten und mit dem Finger auf die entrückte Herausforderin zeigen.
Bis zum Start der heißen Phase will Künast nach dem für sie heißen Wochenende offenbar einen Gang zurückschalten. Ohnehin hatte die Partei die Bekanntgabe der Kandidatur viel später geplant. Erst als der öffentliche Druck zu groß wurde, entschieden sich die Grünen zu dem bislang einmaligen Schritt, in einer Mitgliederversammlung den Auftritt ihrer Spitzenkandidatin in US-amerikanischer Manier zu inszenieren.
Es sei ein langer Prozess gewesen, sich zur Kandidatur zu entscheiden, sagte Künast am Montag. Die Frage sei schon einmal vor vielen Jahren an sie herangetragen worden. „Damals hielt ich das für absurd.“ Zur Jahreswende sei es dann wieder so weit gewesen. Diesmal unter anderen Voraussetzungen. Die Grünen befanden sich nach Umfragen in Augenhöhe mit SPD und CDU. Sollte es eine realistische Chance geben, als stärkste Partei aus der Wahl am 18.September 2011 hervorzugehen, dann wollten die Grünen einen eigenen Spitzenkandidaten aufstellen. Es sei ein schleichender Prozess gewesen, der sie am Ende dazu veranlasste, den Hut in den Ring zu werden.
Künast ließ in den vergangenen Tagen durchscheinen, dass sie die kommenden Monate allerdings nicht als Alleinunterhalterin bestreiten will. Es gehe darum, deutlich zu machen: „Es geht hier nicht nur um mich, sondern wir müssen alle gemeinsam für diesen Wechsel arbeiten.“ Diesen Satz sagte Künast vor zwei Jahren in einem Interview über den Erfolg Barack Obamas im US-amerikanischen Wahlkampf. Eine Überzeugung, die sie offenbar für ihre Kandidatur gleichermaßen verwenden will. Es gehe darum, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, sagte sie in diesen Tagen häufiger. Und: „Ich möchte mit euch zusammen Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden.“
Deshalb soll die Partei jetzt ein Wahlprogramm diskutieren und dann im März zusammen mit ihrer offiziellen Nominierung beschließen. Die zentralen Punkte darin werden Bildung, Arbeit und Klimaschutz heißen, verriet Künast. Bislang klaffte jedoch eine Lücke zwischen den von ihr in Aussicht gestellten Investitionen in Bildung, Arbeit und Klimaschutz und den Einsparungen, die an anderer Stelle dafür nötig sein werden. „Wir werden sehen“, sagte sie zu den nötigen Sparanstrengungen lediglich. Nicht alles, was die Grünen wollten, koste Geld, fügte sie hinzu. „Das wird ein Kunstwerk sein“, beschrieb sie die künftige Aufstellung eines Haushaltes bei gleichzeitiger Einhaltung der vorgeschriebenen Schuldenbremse in Zeiten knapper Kassen. „Wir werden Wege finden müssen, die außerhalb der jetzigen Haushaltsfinanzierung liegen.“
Konkreter äußerte sie sich dagegen zu ihren Zielen. 100.000 Arbeitsplätze sollen unter grüner Regentschaft in Berlin entstehen. 40.000 davon in der „grünen Technologie“, in Unternehmen, die sich um Klima-, Umweltschutz und erneuerbare Energie bemühen. Die Klassen an den Schulen sollen kleiner werden, Schüler individuell gefördert und neue Lehrer verbeamtet werden. Dieser letzte Punkt löste bereits Irritationen in den eigenen Reihen aus. Die Grünen in Berlin waren wegen der hohen Folgekosten bislang gegen neue Verbeamtungen. Künast bestand jedoch am Montag auf ihrer Forderung. „Wir stehen erst am Beginn des Kampfes um gute Lehrer“, sagte Künast vor dem Hintergrund des immer größer werdenden Fachkräftemangels. Wenn die ehrgeizigen Bildungsziele ihrer Partei verwirklicht werden sollen, dann müsse man über den eigenen Schatten springen und gute Lehrer in die Stadt locken. Die Energiewende soll mit einem landeseigenen Klima-Stadtwerk erreicht werden. Hierfür will die Partei 500 Millionen Euro Startkapital bereitstellen. Demgegenüber stehen höhere Einnahmen durch die Einführung einer Tourismusabgabe und möglicherweise der Erhöhung der Gewerbesteuer.
In den ersten Tagen nach dem Auftritt im Kommunikationsmuseum gibt Künast die Wohlfühlkandidatin. Nach neun Jahren Wowereit und den ungelösten sozialen Problemen in der Stadt soll mit einer Grünen-Bürgermeisterin alles besser, die Probleme im Einvernehmen mit den Berlinern angegangen werden. Sogar für den politischen Gegner findet sie milde Worte. „Ich freue mich, wenn möglichst viele mit uns koalieren wollen“, sagt sie. Das werde einem ja zurzeit an jeder Ecke angeboten.
In weiten Teilen ähnelt das Programm politischen Forderungen, die die SPD auch stellt. Das räumte Künast am Montag auch freimütig ein. „Die größte Schnittmenge gibt es mit der SPD“, sagte sie. Ihre Partei wolle aber ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf ziehen.
Künast machte am Montag einen abgespannten Eindruck. Schon auf die lange angekündigte Fahrt nach Gorleben am Sonnabend hatte sie verzichtet, aus terminlichen Grünen, wie es hieß. Der Spagat zwischen Bundestag und Landespolitik wird in den kommenden Monaten kein Selbstläufer sein.