Gastkommentar

Klaus Wowereit hat Berlin sexy gemacht

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Thomas Straubhaar

In ihrer Kandidatur-Rede hat Renate Künast auch eine neue Wirtschaftspolitik gefordert. Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, ist der Meinung, dass Berlin gut dasteht und eine Menge Potenzial hat. Das sei vor allem das Verdienst des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit.

"Ich bin schwul, und das ist auch gut so.“ Wie kaum ein anderer steht Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit für das moderne urbane Lebensgefühl einer Großstadt. Er verkörpert nahezu perfekt den Prototyp der „kreativen Klasse“. Darunter versteht der amerikanische Stadtforscher Richard Florida Menschen, die heute jene bahnbrechenden, neuen, oft auch verrückten Ideen entwickeln, mit denen Firmen morgen viel Geld verdienen können.

Künstler, Musikerinnen, Kulturschaffende, Designerinnen, Literaten, Schriftstellerinnen, Journalisten und Intellektuelle sowie Kopfarbeiter in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Werbung, Gesundheit, Finanzen und Recht sind damit angesprochen. Aber auch Lebenskünstler, Andersdenkende und Außenseiter, die man früher wohl als „Boheme“ bezeichnet hätte, gehören dazu. So lautet die Erkenntnis Richard Floridas: „Städte ohne Schwule und Rockbands verlieren das Rennen um die wirtschaftliche Entwicklung.“

Berlins Arbeitsmarkt profitiert von der Kreativwirtschaft

Gegen diese geballte wissenschaftliche Einsicht der Stadtforschung zugunsten des Amtsinhabers dürfte es im Kampf ums Rote Rathaus für die grüne Herausforderin Renate Künast schwer werden. Wowereit hat verstanden, dass ein Bürgermeister eines Stadtstaates das personifizierte Aushängeschild zu sein hat, mit dem es im Wettbewerb großer Städte um den Erfolg bei der kreativen Klasse zu werben gilt.

Kreative Menschen machen Großstädte erfolgreich. Sie ziehen immer neue Gleichgesinnte, aber auch Wagniskapital und Investoren an. Hat es eine Stadt einmal geschafft, als attraktiv zu gelten, dann kommt es zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Erfolgreiche Städte werden noch einmal erfolgreicher, weil immer mehr clevere Menschen ins Zentrum wandern, was das Zentrum wiederum attraktiver werden lässt. Früher hieß es „People follow jobs“. Für die Kreativen gilt umgekehrt: „Jobs follow people.“

Genau diese Entwicklung eines starken Beschäftigungswachstums lässt sich nun erstmals in Berlin feststellen. Ganz offensichtlich hat die Stadt in den vergangenen Jahren die Wende geschafft. In den 1990er-Jahren bis zum Jahr 2005 war die Zahl der Erwerbstätigen in Berlin fast nur rückläufig. Insgesamt gingen in diesem Zeitraum rund acht Prozent der Jobs verloren. Seit 2005 hat die Zahl der Arbeitsplätze jedoch kontinuierlich zugenommen. Nun wuchs sie zwischen 2005 und 2009 um acht Prozent. In diesem Zeitraum sind mehr als 120000 neue Arbeitsplätze in der Hauptstadt entstanden. Viele davon finden sich im Dienstleistungssektor und da eben im Bereich der kreativen Wirtschaft.

Eine vielfältige Kulturlandschaft sorgt für Attraktivität

Berlin ist nach München zum aufstrebenden Zentrum für Kreative in Deutschland geworden. Über 2000 Film- und TV-Unternehmen haben ihren Sitz in Berlin, darunter mehr als 60 Fernsehsender und TV-Produktionsfirmen wie die Ufa-Gruppe mit teamWorx, Ufa Film- und TV-Produktion, Phoenix Film, MME Moviement, Odeon und Ziegler Film. Standortvorteile weist die Hauptstadt ebenso für die Musikwirtschaft auf.

Zahlreiche in- und ausländische Unternehmen dieser Branche haben ihren Sitz in Berlin. Attraktiv für Musikunternehmen ist Berlin aufgrund gegebener Absatzmärkte, einer vielfältigen Kulturlandschaft und der vielen gut qualifizierten Kreativen. Knapp 150 Musikverlage sind in der Hauptstadt zu Hause, und es existieren mehr als 250 Veranstaltungsorte.

Berlin vereint alle Vorteile von London und Paris – ohne die Nachteile

Berlin ist in den Kreis jener „Second Citys“ aufgestiegen, die in Europa als trendy, sexy und zukunftsorientiert gelten. „Second Citys“ werden Amsterdam, Barcelona, Kopenhagen, Wien und andere deshalb genannt, weil sie alles haben, was modernes urbanes Leben zu bieten hat, weltoffen sind und als tolerant gelten, ohne die Umweltprobleme, das Verkehrschaos, Stau und Ballungsnachteile der „First Citys“ wie London oder Paris zu kennen. Es sind die hohe Lebensqualität, gepaart mit guten Jobaussichten, die Berlin zum Zuwanderungsmagneten haben werden lassen – nicht nur für eine Wanderung in die Sozialkassen, sondern vor allem für einen Zuzug von vergleichsweise besser bis hoch Qualifizierten.

Wie gut der Ruf wurde, lässt auch ein Blick auf die steigenden Besucherzahlen erkennen. Das Jahr 2009 war das bisher erfolgreichste Jahr für den Berliner Tourismus: 8,3 Millionen Besucher kamen in die Stadt, 5,4 Millionen davon aus dem Inland. Das entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 4,5 Prozent für alle Touristen und von 4,6 Prozent für Besucher aus dem Ausland, die größtenteils aus Großbritannien, Italien und den Niederlanden anreisten.

Bei Wowereit passen Sein und Haben weitgehend zusammen

Welches Verdienst der Regierende Bürgermeister an der Berliner Wende hat, ist schwer feststellbar. Sicher aber ist, dass gerade während seiner Amtszeit Berlin begonnen hat, alle Register einer Hauptstadt zu ziehen, um den Glamour der Persönlichkeiten aus Politik, Medien und eben der kreativen Klasse zu nutzen und auch ökonomisch voranzukommen. Wowereit hat zweifelsfrei Berlin ein Gesicht gegeben, das einer modernen Hauptstadt sehr gut steht.

Selbst wenn man in einer Demokratie das Wirken Einzelner nicht überschätzen darf. In einer Mediengesellschaft wollen die Wähler Menschen sehen, die authentisch sind, und bei denen Sein und Haben zusammenpassen. Das gilt ganz besonders in Stadtstaaten für das Amt des Bürgermeisters. Dieser Erwartung ist Klaus Wowereit weitgehend gerecht geworden.

Um gegen ihn Erfolg zu haben, muss es Renate Künast gelingen, die Berlinerinnen zu überzeugen, dass sie nun nicht einfach wie ein Chamäleon einen Rollenwechsel vornimmt. Dass sie nicht erst mit der beeindruckenden praktischen Robustheit die Landwirtschaftsministerin spielte, um jetzt mit derselben Begeisterung die Bürgermeisterin einer glamourösen Hauptstadt der Kreativen zu geben. Sie hat den Beweis noch zu führen, dass es ihr ernst ist mit einer modernen Urbanität.

Der Autor ist Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts.