Mehmet Ozcan hatte sich das alles so schön vorgestellt: sein eigenes kleines Haus, natürlich mit Garten, irgendwo am Rande Berlins, am liebsten am Wasser, vielleicht in Köpenick oder Falkensee. Nur noch Jägerzaun und Gartenzwerge hätten zur perfekten deutschen Vorort-Idylle gefehlt. Der 40-Jährige macht große Augen, wenn er von seinem Wunschtraum erzählt. Aber es kam anders. „Tina wollte nicht“, sagt Ozcan. Tina ist seine Frau.
Dabei hatte er sie angefleht. Nicht nur, weil es schöner sei, ein eigenes Haus zu haben und keine nervigen Nachbarn wie in einer Wohnung. Sondern auch, weil er an die Altersvorsorge dachte. Aber seine Frau blieb stur.
Ozcan kommt aus der Türkei, doch seit seiner Heirat im Jahr 1999 ist er Deutscher. Er arbeitet als Kellner in einem türkischen Restaurant in Kreuzberg. Seine Frau arbeitet als Angestellte im öffentlichen Dienst. Es hätte geklappt mit der Finanzierung eines Hauses, glaubt er, auch wenn es knapp geworden wäre. Aber statt das Geld für ein eigenes Haus anzulegen, wohnten sie zur Miete, unternahmen Reisen, etwa nach Thailand. Heute wohnt das kinderlose Paar in einer Dachgeschosswohnung in Köpenick, 87 Quadratmeter, für 750 Euro im Monat. Ohne Garten, sagt Ozcan.
Ihm geht es wie so vielen Migranten in Berlin, die man auf der Straße oder in Geschäften anspricht: Sie hätten gerne ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung, es fehlt allerdings das nötige Geld. Nur fünf Prozent der Migranten in Berlin sind Wohneigentümer. Das ist ein Ergebnis der jetzt veröffentlichten Studie „Wie Berliner mit Migrationshintergrund wohnen“. Das Umfrageinstitut info GmbH hatte dafür im Auftrag der Berliner Sparkasse und der LBS Nord in einer repräsentativen Umfrage 506 Berliner aus 56 Nationen nach ihren Lebensverhältnissen befragt.
Ein Viertel der Berliner entstammt mittlerweile einer Zuwandererfamilie. Damit hat Berlin den höchsten Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund in Deutschland. Kein Wunder, dass dieser schnell wachsende Personenkreis nicht nur Integrations- und Bildungspolitiker, sondern zunehmend auch die Finanzwirtschaft interessiert. Zu wissen, wie diese rund 800.000 Personen umfassende Bevölkerungsgruppe wohnt und ob sie mit ihrer Wohnsituation zufrieden sind, kann entscheidende Marktvorteile bringen. Umso erstaunlicher, dass eine entsprechende Studie erst jetzt vorgelegt wurde.
„Meines Wissens sind wir die ersten, die eine solche Studie erstellt haben“, sagt Heinz Helmut Müller, Direktor Immobilien bei der Berliner Sparkasse. „Wir möchten mit dieser Umfrage die Bedürfnisse einer Zielgruppe näher kennenlernen, die schon heute ein Viertel der Berliner Bevölkerung stellt.“ Das wichtigste Ergebnis aus Sicht der Immobilienfinanzierer: Migranten in Berlin haben beim Thema Wohneigentum eindeutig Nachholbedarf. 95 Prozent der der Zuwanderer wohnen zur Miete. „Damit liegt die Eigenheimquote bei Berlinern aus Zuwanderungsfamilien deutlich unter dem Berliner Durchschnitt“, sagt Heinz Müller. Insgesamt leben immerhin 20 Prozent der Menschen in Berlin in ihren eigenen vier Wänden. „Berlin ist noch immer eine Mieterstadt, bei Migranten trifft dies ganz besonders zu“, sagt Müller.
40.000 kaufwillige Zuwanderer
Entscheidend für den Kauf einer Immobilie ist – genau wie bei den Alteingesessenen – die Finanzierungsmöglichkeit. „Das Haushaltsnettoeinkommen der Migranten liegt größtenteils im unteren Bereich“, sagt Müller. So verfüge die Hälfte der Befragten lediglich über ein Einkommen von maximal 2000 Euro. „Daher ist es verständlich, dass nur fünf Prozent in den nächsten fünf Jahren Wohneigentum erwerben wollen.“ Hochgerechnet auf die Gesamtzahl der Migranten mit oder ohne deutschen Pass ergibt das aber immerhin gut 40.000 Kaufwillige.
„Kaufen wäre nicht schlecht“, sagt Raed Seif und rasiert mit einem Haarschneider einem Kunden den Nacken. „Aber das geht leider nicht, das ist einfach viel zu teuer.“ Auch das Ladenlokal kann er nicht kaufen, den kleinen, schmalen Salon, in dem er wie so viele Friseure in Kreuzberg „waschen, schneiden und fönen“ für zehn Euro anbietet.
Seif ist 31 Jahre alt, kommt aus Palästina, lebte lange in Jordanien, seit acht Jahren ist er in Deutschland, wohnt mit seiner Frau in einer 86-Quadratmeter-Wohnung an der Frankfurter Allee in Friedrichshain. Hat er denn Freunde, die eine Wohnung oder ein Haus gekauft haben? Seif schüttelt den Kopf.
Ein eigenes Haus, das wäre was, denkt auch Fulya Yüce. „Mit Garten wäre nicht schlecht“, sagt die junge Frau, die heiraten und Kinder kriegen möchte. „Kinder brauchen doch ein bisschen Freiraum, da wäre ein Garten ideal“, sagt sie. Und sie könne sich dort nach der Arbeit besser entspannen. Doch Häuser seien so teuer in Deutschland, sagt sie und blickt einen Moment abwesend hinaus in den grauen, nassen Berliner November. „In der Türkei sind es noch 25 Grad.“ Trotzdem möchte sie in Deutschland bleiben, die Lebensbedingungen seien einfach besser hier, man habe mehr Rechte, auch als Frau, und die Löhne seien auch fairer.
Fulya Yüce arbeitet in einem Reisebüro in Kreuzberg, ihre Eltern stammen aus der Türkei, sie wurde in Berlin geboren, hat einen deutschen Pass. Ein eigenes Haus wäre auch besser als die Wohnung in Wedding, die sie sich mit ihrer Mutter und ihrer Schwester teilt. Obwohl sie damit überhaupt nicht unzufrieden ist. Die Wohnung hat 75 Quadratmeter, drei Zimmer, kostet warm 640 Euro. Das klappt ganz gut, sagt Fulya Yüce.
Hohe Zufriedenheit mit der Wohnsituation
Das ist ein weiteres Ergebnis der Studie: die hohe Zufriedenheit der Befragten mit ihrer Wohnsituation. Mehr als 80 Prozent gaben an, zufrieden zu sein, obwohl die Wohnungen kleiner und stärker belegt sind als die der alteingesessenen Bevölkerung. Zwar ist die Wohnfläche mit 72,5 Quadratmetern pro Haushalt gut zwei Quadratmeter größer als bei den Berlinern ohne Migrationshintergrund, aber es teilen sich pro Haushalt mehr Personen (2,5 statt 1,81) die Wohnfläche. Drei Viertel der Befragten halten die Fläche für angemessen, 17 Prozent für zu klein.
Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede bei der Herkunft. Am unzufriedensten sind die türkischstämmigen Berliner: Fast ein Viertel möchte seine Wohnsituation verbessern. Dagegen halten mit 94 Prozent fast alle Befragten aus der ehemaligen Sowjetunion ihre Wohnungsgröße für angemessen.
Für Berlins Beauftragten für Integration und Migration, Günter Piening, sind diese Ergebnisse wenig überraschend und haben mit der Herkunft nichts zu tun: „Das belegt lediglich, dass die Wohnansprüche bei den Einwanderern der zweiten und dritten Generation sich denen der Gesamtbevölkerung angenähert haben“, sagt Piening. Mit der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen steigt zudem das Gefühl, in beengten Verhältnissen zu leben. Fast 40 Prozent der Befragten, die mit vier oder mehr Personen die Wohnung teilen, meinen dies.
Auch bei der regionalen Verteilung der Migranten zeigt sich ein höchst differenziertes Bild. 80 Prozent wohnen im Westteil der Stadt. In Neukölln ist der Bevölkerungsanteil mit 18 Prozent am höchsten, Weißensee bildet mit 0,5 Prozent in dieser Beziehung das Schlusslicht. Berliner mit türkischem Migrationshintergrund stellen mit fast 35 Prozent die größte Gruppe, gefolgt von Polen (14 Prozent) und Bewohnern der ehemaligen Sowjetunion (13,4 Prozent).
Der Traum vom Eigenheim ist wie bei den Alteingesessenen auch bei den Migranten das Einfamilienhaus im Grünen. Mit zwölf Prozent steht diese Immobilie an erster Stelle. „Wer es wirtschaftlich geschafft hat, will auch entsprechend wohnen“, sagt Integrationsbeauftragter Piening. Das stelle aber auch die Herausforderung an die Alteingesessenen dar, die Zuzüglern durchaus auch mit Ressentiments begegne. So schleuderten im Vorjahr Jugendliche Brandsätze auf Wohnhäuser in Rudow. Grund: Neid oder Hass auf dort lebenden Familien mit Migrationshintergrund. Solche Anschläge, so Piening, würden viele Migranten verunsichern und dazu führen, dass sie sich den Wunsch vom eigenen Heim trotz finanzieller Möglichkeiten versagten.