Brandgutachten

Warum eine Berlinerin 888 Tage unschuldig in Haft war

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War es eine Zigarette? Oder war Brandbeschleuniger im Einsatz? Wie das Feuer in der Wohnung eines Berliners vor wenigen Jahren ausbrach, wird wohl nie geklärt werden. Seine Tochter saß dennoch 888 Tage unschuldig in Haft – weil Gutachten nicht hinreichend bewertet wurden, wie die Polizei nun mitteilte.

888 Tage saß eine Arzthelferin unschuldig im Gefängnis. Die Berlinerin war zu lebenslanger Haft verurteilt worden, weil sie ein Feuer in der Wohnung ihres Vaters gelegt haben soll, in dem dieser starb. Das Urteil hatte sich auf ein Brandgutachten des Landeskriminalamtes (LKA) gestützt. Die Expertise habe zwar Schwächen gehabt, sei aber nicht grundsätzlich in Frage zu stellen, teilten am Donnerstag Wissenschaftler der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung mit. Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte die Überprüfung des Gutachtens angeordnet.

Der Bundesgerichtshof hatte das Urteil gegen die Frau im April des Vorjahres aufgehoben. Ein Gutachten des Bundeskriminalamtes (BKA) war zu der gegensätzlichen Einschätzung gekommen, dass das tödliche Feuer im September 2003 durch eine brennende Zigarette des Vaters ausgelöst wurde.

Der Chef des Landeskriminalamtes (LKA), Peter-Michael Haeberer, sagte zu der Überprüfung, die damaligen Ermittlungen und die Tatort-Untersuchung seien akribisch und fachgerecht gewesen. „Aber das wurde nicht hinreichend bewertet und dokumentiert.“ So hätten die Ermittler nur die eine Schlussfolgerung gezogen, dass das Feuer mit Spiritus gelegt worden sei.

„Es gab aber zwei Möglichkeiten“, sagte Haeberer. Das Ausmaß des Feuers lasse darauf schließen, dass es auch ohne Beschleuniger gebrannt haben könnte. Auch ein Gutachter könne irren. Der Bundesgerichtshof habe das Berliner Gutachten zu Recht zurückgewiesen. Das Problem sei die Interpretation gewesen, nicht die Ermittlungen, ergänzte Professor Ulrich Panne von der Bundesanstalt. Fehlerhaft oder falsch wurde das Gutachten ausdrücklich nicht genannt.

Auch ein Schwelbrand ist unwahrscheinlich

In der Stellungnahme der Wissenschaftler hieß es zudem, dass auch ein Schwelbrand durch Zigarettenglut unwahrscheinlich gewesen sei. Davon war im BKA-Gutachten ausgegangen worden, das zum Freispruch führte. Der Fall lasse sich wahrscheinlich nicht mehr vollständig aufklären, sagte Haeberer. „Die tatsächliche Brandentstehung konnte nicht mit Sicherheit rekonstruiert werden.“

Ob sich Polizeipräsident Glietsch bei der Frau entschuldigt, blieb offen. Er hatte dies für den Fall angekündigt, dass sich das Gutachten für das Gericht als fehlerhaft herausstellen sollte. Sprecher Frank Millert sagte, Berlin sei wegen des Falls noch im Rechtsstreit und könne sich deshalb nicht äußern. LKA-Chef Haeberer sagte: „Wir werden Kontakt aufnehmen. Das wäre schon eine Frage des Anstandes und nicht der technischen Ergebnisse.“

Der Schwager von Monika M. sagte, es sei zwar Haftentschädigung gezahlt worden. Doch die Ausfälle durch die verlorene Arbeit, die sich auch auf die Rente auswirkten, summierten sich auf eine sechsstellige Summe, die eingeklagt werden solle. Die Familie hat sich auch an den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses gewandt.

Indes hat das umstrittene Gutachten Konsequenzen bei der Polizei, wie der LKA-Chef erläuterte. Für die Beurteilung von Tatorten wurden laut Haeberer Qualitätsstandards eingeführt, für komplizierte Fälle gibt es ein extra Kommissariat, bei Brandermittlungen werden jetzt Spürhunde eingesetzt, polizeiliche Ermittler und Wissenschaftler verständigen sich in Spurenkonferenzen.

( dpa/sh )