Sportmoderator Wolf-Dieter Poschmann hat sich abfällig über den Marzahn geäußert und damit empörte Reaktionen provoziert. Morgenpost Online war in dem Stadtteil unterwegs und hat sich bei seinen Bewohnern umgehört. Sie erzählen, was sie an ihrem Kiez besonders mögen und was sich noch ändern muss.

Christian Müller steht ganz oben auf den Ahrensfelder Bergen und blickt auf den Bezirk, in dem er seit seiner Geburt gelebt hat. Es ist windig, was die brennende Sonne erträglich macht. Hier oben gibt's keinen Schatten.

Der 20-Jährige steckt die linke Hand in die Hosentasche und zeigt mit der rechten: Marzahn, Hellersdorf, Hönow, Ahrensfelde. Den Fernsehturm ganz in der Ferne erwähnt er nicht. Christian Müller hat gerade zwei Wochen Urlaub, die er größtenteils zu Hause verbringen will. "Hier oben war ich schon seit eineinhalb Jahre nicht mehr." Hat der Stadtteil damals von oben anders ausgesehen? "Na ja, damals sahen noch mehr Häuser aus wie..." Er stockt und sucht mit dem Zeigefinger nach altmodischen Plattenbauten, findet keine. Dann: "Es sind wohl jetzt alle renoviert."


Eigentlich müsste heute der ZDF-Kommentator Wolf-Dieter Poschmann hier oben auf den Ahrensfelder Bergen stehen. Der gebürtige Kölner hatte sich am Wochenende live am Mikrofon abfällig über diesen Berliner Stadtteil geäußert. Als die Marzahnerin Betty Heidler im Hammerwerfen Gold gewann, sagte er: "Wer in Marzahn aufgewachsen ist und das gut überstanden hat, dem ist alles zuzutrauen." Der frühere Leichtathlet und Fußballer hat dabei wohl nicht mit seinen Fans in Marzahn gerechnet.

Einer von ihnen ist Steffen Grassal, Mitarbeiter des in grellem Pink angemalten Nachbarschaftshauses "Kiek In". "Ich mag sonst seine Sportberichterstattung sehr", sagt der 45-Jährige über Poschmann. "Aber dieses Mal hat er über die Stränge geschlagen." Es sei aber nicht das erste Mal, dass Reporter schlecht über seinen Bezirk berichten, ohne hier gewesen zu sein.

Seit über 20 Jahren lebt Grassal in Marzahn, hat verschiedene Phasen des Viertels mitgemacht und nie das Gefühl gehabt, "dass man hier mehr kämpfen muss als in anderen Teilen Berlins". Gerade Menschen aus Westdeutschland seien manchmal verwundert, wie offenherzig die Leute sind, wenn sie hierherkommen. Als Beispiel nennt Steffen Grassal die WM 2006. Für die meisten seiner Freunde war die Fanmeile am Brandenburger Tor viel zu weit weg. Die Kneipen in Marzahn hatten reagiert, Bildschirme und Tische auf die Gehwege gestellt. "Und so hatten wir unsere eigene Fanmeile hier."

Rumhängen am Eastgate

Während er von dieser Erfahrung erzählt, donnern alle fünf Minuten Flugzeuge über den Himmel. Der Widerhall ihrer Triebwerke ist lange in den Häuserschluchten zu hören. Sehen kann man sie nur manchmal, am besten von den Ahrensfelder Bergen aus. Dann kann man "Easyjet" darauf lesen, oder "Lufthansa". Ferne Ziele, einmal weggehen, das hatte auch Christian Müller einmal überlegt. Ein Freund von ihm geht bald nach München. Er will erst einmal hier bleiben. Der Job mache ihm Spaß, und seine Freunde wohnen auch alle hier. Ihn nervt, dass nicht alle von ihnen versuchen, sich einen Job zu suchen. "Sie hängen dann rum", sagt er.

Ein Ort, der geradezu dafür gemacht ist, ist die Gegend um das Eastgate. Das "Tor des Ostens", ein längliches Gebäude mit einer langen Stahlkonstruktion als Verzierung, ist das drittgrößte Einkaufszentrum in Berlin - und für viele die erste Begegnung mit dem Bezirk. Die Straßenbahnlinie von Friedrichshain fährt irgendwann an reichlich Grün vorbei, über einen kleinen Hügel, macht eine scharfe Linkskurve und plötzlich breitet sich das Eastgate aus. An dem Kino gegenüber hängt ein riesiges Plakat vom neuen Harry-Potter-Film, der vor sechs Wochen bereits Kinostart hatte. Gleich daneben ein Werbeplakat für Strip-Bowling, mit freiem Eintritt.

Die Meinungen der Anwohner gehen auseinander

Die Menschen, die man hier trifft, haben von Wolf-Dieter Poschmann und seinem Kommentar während der Leichtathletik-WM nichts gehört. Die 22-jährige Jenny lebt erst seit vier Monaten in Marzahn, findet aber das Zitat des ZDF-Kommentators gar nicht schlecht. "Ganz unrecht hat er jedenfalls nicht", sagt die gebürtige Köpenickerin. "Ich bin hier nur zum Arbeiten - und weil die Mieten billig sind." Sonst wäre sie schon längst umgezogen.

Eine Haltestelle weiter hinten ist schon wieder mehr Zuneigung zum Bezirk zu spüren. Im Jugendclub M3 sitzt der 24-jährige Martin, der schon 20 Jahre hier lebt. "Ich habe einmal in West-Berlin erzählt, woher ich komme", sagt er, "und die haben da schon erst mal gestaunt: wow, aus Marzahn." Dabei findet er, dass es hier zum Beispiel viele gute Jugendclubs gebe. "Die haben ihm schon oft geholfen und auch Freunden, wenn es denen mal nicht gut ging." Und Poschmann? Der sollte mal in die Innenhöfe der Hochhäuser gehen. "Dort kann man Marzahn so sehen, wie es ist."

Die Innenhöfe also. Sie sind von außen nicht einsehbar. Auch sie sind grün. Ein Schild macht gleich am Eingang klar, das hier sei ein "Wohnhof", bei dem sich Hunde und Menschen an bestimmte Regeln halten müssten. An einer der Hausrückwände wird noch gebaut. Es ist vielleicht die letzte graue Fassade, die einen neuen Anstrich braucht. Christian Müller hat sie von dem Hügel aus wohl nicht sehen können. Zwei große Spielplätze gibt es in dem Innenhof, einer wird auch gerade renoviert.

An ihm läuft Katja Schröder vorbei, sichtbar schwanger. Um den 8. Oktober soll "ihr kleiner Marzahner" zur Welt kommen. Auf Wolf-Dieter Poschmann angesprochen, schaut sie gespielt genervt nach oben und sagt den Satz, den alle wohl unterschreiben würden, ob im Jugendclub, Nachbarschaftshaus, Eastgate oder auf dem Hügel nebenan: "Marzahn is' doch nicht' nur een Fleckchen, Mensch."