Nach der jüngsten Serie von Attacken gegen Polizisten, Dienstgebäude und Polizeifahrzeuge wachsen bei Politikern und Gewerkschaftern die Sorgen um die Sicherheit der Beamten. Befürchtungen haben Experten vor allem, weil gerade die jüngsten Angriffe auf Polizeibeamte in Friedrichshain-Kreuzberg aus nichtigen Anlässen heraus erfolgt sind.
In einem Fall wurde eine Gruppenstreife attackiert, die Knöllchen für Falschparker verteilte, im anderen Fall traf es eine Funkstreifenbesatzung, die einen "wilden" Plakatierer gestellt hatte.
"Inzwischen müssen die Beamten bei jedem Einsatz wegen einer Bagatelle damit rechnen, dass die Situation eskaliert", beschreibt Bodo Pfalzgraf, Berliner Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), die momentane Situation. Diese stelle für die Beamten eine erhebliche Belastung dar. Ein in Friedrichshain tätiger Streifenbeamter bestätigte diese Einschätzung. "Selbst wenn man nur einen Radfahrer anhält, der auf dem Bürgersteig fährt, weiß man nicht, was als Nächstes passiert, und wer da plötzlich alles um die Ecke kommt. Ein mulmiges Gefühl stellt sich dabei schon ein", sagte der Beamte. Alternativen gebe es aber nicht: "Wir können ja nicht zu jedem Einsatz wegen Ruhestörung ein SEK schicken."
Verunsicherung und Angst unter Anwohnern
Für Verunsicherung sorgt die wachsende Gewaltbereitschaft auch unter den Anwohnern in den Brennpunkt-Kiezen. Rigaer Straße, Friedrichshain: Auch wenn die Sonne scheint und alles sehr friedlich aussieht, wissen die Anwohner, dass der Schein trügt. Dilay Kilic arbeitet in der Filiale einer Bäckerei am Bersarinplatz, nur wenige Meter entfernt von der Rigaer Straße. "Wir kriegen hier schon einiges mit", sagt die 19-Jährige. "Ich selbst habe schon einmal morgens um Viertel vor sechs die Feuerwehr gerufen, weil ein Auto brannte", erzählt sie. "Ich habe große Angst gehabt, ich war richtig geschockt. Einfach Autos anzuzünden, bringt doch nichts. Dann sollte man besser friedlich demonstrieren."
Das sieht Bärbel Fuchtmann ähnlich. Die 35-Jährige ist Mutter eines einjährigen Sohnes. "Das ist unser Weg zur Kindertagesstätte. Wenn am Wochenende hier etwas vorgefallen ist, bekommen wir das mit. Auch Tage später noch", sagt sie. "Ich finde es beängstigend, dass bei uns in der Nähe Autos brennen. Wohl fühle ich mich dabei nicht", fügt Bärbel Fuchtmann hinzu.
Die Folgen der Randale stören auch Andreas Schröder. "Ich sehe vor allem den Dreck. Ich selber hatte aber noch keinen Ärger. Ich habe ja nur das hier", sagt der 44-Jährige und zeigt auf sein Fahrrad. "Fremde Autos zu beschädigen, finde ich bescheuert. Das ist gefährlich und trifft Unschuldige. Aber ich will nicht sagen, dass hier alle Linken Autos anzünden. Das wäre auch Quatsch."
An der Ecke Rigaer und Liebigstraße, schräg gegenüber einem ehemals besetzten Haus, in dem immer noch viele Mitglieder der linken Szene wohnen, befindet sich ein Spätkauf. Die Inhaber haben bisher noch keinen Ärger gehabt und verstehen die Angst einiger Anwohner nicht. "Wir kennen hier keine Probleme. Wir haben nur friedliche Kunden, auch aus der linken Szene. Hier hat sich noch nie jemand schlecht benommen", sagt Songün Dogan.
Junge Männer suchen Streit
Auch In der Oranienstraße in Kreuzberg fühlen sich die meisten Anwohner noch sicher. Die Gewalt gegen Polizisten sei in den vergangenen 20 Jahren zurückgegangen, sagt eine ehemalige Hausbesetzerin. Die heutige Unternehmerin wohnt seit 1974 an der Straße und beobachtet die Szene genau. "Es fehlt den jungen Männern einfach an Auseinandersetzungen. Sie wollen sich schlagen. Und als Gegner suchen sie sich eben die Polizei." An der Oranienstraße unterdrücken ihrer Ansicht nach die alteingesessenen Bewohner die meisten Ausschreitungen. Doch eine heile Welt sei das auch hier nicht: Nur die Fassaden seien schick gemacht - für Investoren. Dahinter sei alles geblieben, wie es schon immer war. Die Hausbesetzer-Szene könne jederzeit wieder aktiv werden. Aber dann eher gegen Investoren und Hauseigentümer als gegen die Polizei, glaubt die Unternehmerin.
Für den jungen Türken Erdinc Sörücü steht fest: Gar nicht erst einmischen, sondern am besten weggehen, wenn es zu Schlägereien oder Randale komme. Als Taxifahrer bekommt er öfter Auseinandersetzungen mit der Polizei mit. Ein Rentner sagt, er traue sich am Abend schon gar nicht mehr auf die Straße. Oft werde er von Jugendlichen beschimpft. Das versuche er jedoch zu ignorieren.
In der Kneipe "Zur Mütze" sind sich die Männer am Tresen einig. In ihrem Teil der Oranienstraße sei alles friedlich. Der Moritzplatz bilde die Grenze; dahinter beginne die Gewalt. "Da wohnen die Leute, die die Steine schmeißen."
Streit unter Politikern über Umgang mit Gewalt
Zwischen den Parteien löst die jüngste Entwicklung wieder einmal Streit aus. CDU und SPD verurteilen übereinstimmend die Gewalttaten; zu Fragen ihrer Bekämpfung herrscht jedoch Uneinigkeit. Die CDU möchte das Thema schnellstens auf die Tagesordnungen mehrerer Ausschüsse im Abgeordnetenhaus setzen, die SPD sieht darin "eine reine Show-Veranstaltung". CDU und FDP sind sich in ihrer Kritik am Senat einig, streiten aber heftig um die richtigen Konzepte.
Er sei tief besorgt über die Entwicklung und die damit verbundene Erschütterung der staatlichen Autorität, sagte CDU-Landeschef Frank Henkel und kritisierte erneut, der rot-rote Senat sehe tatenlos zu, wie am linken Rand "terrorismusartige Strukturen" entstünden. Auch FDP-Innenexperte Björn Jotzo warf dem Senat Konzeptlosigkeit und eine permanente Verharmlosung der linksextremistischen Gewalt vor. Gleichzeitig aber bezeichnete er die Forderung der CDU nach höheren Strafen für Angriffe auf Polizeibeamte als populistisch. "Bereits jetzt gibt es für solche Taten einen Strafrahmen von bis zu zehn Jahren. Da besteht kein weiterer Handlungsbedarf", sagte Jotzo.