Der eingestürzte Supermarkt in Falkensee am Donnerstag: Gutachter besichtigen im Auftrag der Staatsanwaltschaft die Unfallstelle, sichten das kaputte Dach. Am Montag soll das Gutachten über das eingestürzte Einkaufszentrum im Spandauer Nachbarort Klarheit bringen. Noch wollen die Behörden nicht reagieren. Aber Experten warnen.
Gutachter und Statiker kritisierten am Donnerstag die Leichtbauweise von Lebensmittelmärkten. Nach ihrer Ansicht könnte sich ein ähnlicher Fall wie der Einsturz eines Einkaufszentrums in Falkensee auch andernorts ereignen. Die Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik forderte eine verstärkte Überprüfung ähnlicher Gebäude. Es sei bekannt, dass solche Holz-Fachwerkkonstruktionen wie in Falkensee nicht sehr stabil seien und dass es dort keine Sicherheitsreserven gebe, sagte der Präsident der Vereinigung, Hans-Peter Andrä.
Ähnlich argumentiert auch der Falkenseer Statiker Peter Junne. Er arbeitet seit über 30 Jahren als Bauingenieur. „Es wird nicht der letzte Dacheinsturz bei einer Supermarktkette gewesen sein“, sagte der Experte. „Diese Konstruktion ist sehr versagensanfällig.“
Bei dem eingestürzten Dach in Falkensee handelt es sich um ein so genanntes Satteldach, eine Holzkonstruktion mit Nägeln. Sämtliche Dachbinder, also die Träger, waren an zwei Stellen durchgebrochen. „Was früher Zimmermannsleute in Handarbeit ausreichend stabilisiert haben, ist jetzt einer schlanken, aber anfälligen Konstruktion gewichen“, so Junne weiter. Die Querschnitte der Hölzer werden immer kleiner, die Statik dadurch anfälliger. Die standardisierte Bauweise halte zwar in der Praxis viel aus, habe aber keine Reserven. „Kommen Fertigungsmängel, Montagefehler, Nässe oder auch falsch gelagertes oder minderwertiges Holz hinzu, dann gibt die Konstruktion nach.“
Es handelt sich um einen "Einzelfall"
Stefan Mechnig, Pressesprecher der Rewe Group, sieht keine generellen Probleme durch die Leichtbauweise von Einkaufsmärkten. „Es ist ganz offensichtlich ein Einzelfall und kein Typen-Problem.“ Mechnig sagte, sein Unternehmen ist nur ein Mieter von vielen in dem Gebäude-Komplex. Zuständig sei der Vermieter von der Herkules Grundbesitz AG.
In dem Hamburger Unternehmen wartet man auf das Gutachten zum Dacheinsturz. „Man hat uns mitgeteilt, dass mit Ergebnissen frühestens am Montag zu rechnen ist“, sagt Sprecherin Kirsten Wulff. Bis dahin bliebe der Gebäudekomplex gesperrt. Man stehe aber weiterhin in Kontakt mit allen Mietern. Wer das sechs Jahre alte Gebäude gebaut hat, wollte die Sprecherin nicht sagen. Nur so viel: „Wir verwalten in Berlin drei weitere Supermärkte. In der Heinrich-Heine-Straße, in der Rauchstraße sowie in der Straße Alt-Gatow“, so die Sprecherin. Diese Gebäude seien zwar auch in Leichtbauweise errichtet, aber von unterschiedlichen Architekten und Firmen. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen wegen des Verdachts der Baugefährdung übernommen. Die Berliner Senatsstadtentwicklungsverwaltung verweist beim Thema „Standsicherheit von Gebäuden“ auf die Zuständigkeit von Eigentümern und Prüfingenieuren. Diese müssten die Vorgaben einhalten, wie sie im Kriterienkatalog für Bauverfahrensordnung festgeschrieben sind. „Die Eigentümer sind verantwortlich dafür, dass die Gebäude so sicher sind, wie sie abgenommen wurden“, sagte Petra Rohland, Sprecherin der Behörde. Die bezirklichen Bauaufsichtsämter könnten nur stichprobenartig Kontrollen vornehmen. „Wir können keine Anweisungen geben, sondern an die Eigentümer appellieren, die gesetzlichen Richtlinien einzuhalten.“ Ein solcher Appell soll demnächst erneut ergehen, wenn die Bauämter der Bezirke wieder zusammensitzen. Allerdings setzt die Behörde auf Freiwilligkeit. Eine Kontrolle des Appells, der auch schon nach dem Unfall in Bad Reichenhall erging, sei nicht leistbar, so Rohland. Auf Nachfrage dieser Zeitung hieß es bei einer Supermarkt-Kette, dass man nicht wisse, wann zuletzt die Leichtbau-Konstruktionen überprüft worden sei.
Rüdiger Thaler, Geschäftsführer der Berliner Dachdecker-Innung, sagte, dass die Dachdeckerfirmen schon lange Wartungen der Dächer in ihrem Serviceangebot haben. Mit diesen Untersuchungen könne die Festigkeit und die Dichtheit eines Daches überprüft werden. Vor allem nach dem Einsturz einer Eissporthalle in Bad Reichenhall sei dieses Angebot „lebhaft“ nachgefragt worden. Zum Fall Falkensee sagt Thaler: „Das kann nur eine fehlerhafte Statik gewesen sein.“