Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) sieht wenig Chance, dass sich die soziale Lage in seinem Bezirk zum Besseren wendet. „Ich kann bisher nicht erkennen, dass es ein massives Gegensteuern der Landesregierung gibt“, sagte Buschkowsky am Donnerstag. Die vom Senat angekündigten Programme, wie der „Aktionsplan plus“, seien derzeit noch in der Planung. Da sie im Wesentlichen aus Mitteln des Bundes finanziert werden, die allerdings auf der Streichliste der Bundesregierung zur Sanierung des Bundeshaltes stehen, hat er wenig Hoffnung, dass am Ende ein entscheidender Impuls für Neukölln entstehen könnte. „Das wird wohl eine schlanke Veranstaltung“, sagte Buschkowsky.
Der „Aktionsraum plus“ sieht vor, in Nord-Neukölln alle Schulen als Ganztagseinrichtungen auszubauen, um Kinder aus armen Familien eine durchgehende Betreuung und eine ausgewogene Ernährung zu gewährleisten. Die bereits vorhandenen Ganztagsschulen sollen besser ausgestattet werden. Das Projekt „Stadtteilmütter“, in dem erwerbslose Frauen mit Ein-Euro-Jobs Sozialarbeit leisten, soll an alle Kitas und Schulen angebunden werden. Bislang bestehen nach Angaben des Bürgermeisters konkrete Pläne, zwei Grundschulen im Bezirk zu Ganztagsschulen umzubauen. Das Geld dafür stamme jedoch aus den Mitteln des im Frühjahr von der Bundesregierung beschlossenen Konjunkturprogrammes II zur Stabilisierung der Wirtschaft.
Gerade in Neukölln und Mitte besteht ein großer Bedarf an sozialen Hilfestellungen. Nach Angaben von Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) leben die meisten der insgesamt 172.000 Berliner Kinder und Jugendlichen, die auf staatliche Hilfsleistungen wie Hartz IV angewiesen sind, in diesen Bezirken, 25.541 in Neukölln und 26.453 in Mitte. Die wenigsten bedürftigen Kinder wohnen in Steglitz-Zehlendorf (6757) und Treptow-Köpenick (7315). Damit lebt jeder dritte Minderjährige in ärmlichen Verhältnissen. Insgesamt leben derzeit 491.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Berlin. Besonders hoch ist das Armutsrisiko für Minderjährige, die von alleinerziehenden Eltern groß gezogen werden. Fast jedes zweite von Armut betroffene Kind lebt bei nur einem Elternteil (44,1 Prozent). Auch hier ist die Zahl in Neukölln (9036) und Mitte (9160) am höchsten. Das geht aus der Antwort Sozialsenatorin Carola Bluhms (Linkspartei) auf eine parlamentarische Anfrage hervor.
Besorgniserregend ist die Situation bei Kleinkindern. Die bis Achtjährigen stellen den aktuellen Zahlen zufolge den größten Teil der armen Minderjährigen (88.000). Aber gerade in dieser Altersgruppe ist nach Auffassung von Soziologen ein sorgenfreies Aufwachsen von besonderer Bedeutung, weil in den ersten Lebensjahren entscheidende Weichen für das kommende Leben gestellt werden. In den ersten Jahren erworbene Defizite lassen sich später nicht mehr aufholen.
Der Senat versucht mit einer Reihe von Hilfestellungen die soziale Situation in den Schwerpunktstadtteilen zu verbessern. So sieht das Programm „Monitoring soziale Stadtentwicklung“ vor, bis zu 50 Millionen Euro in Krisenkieze zu investieren. Drei davon liegen im westlichen Innenstadtbereich: Wedding/Moabit, Kreuzberg-Nordost und Neukölln-Nord. Sie bilden jeweils große zusammenhängende Gebiete, in denen sich soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit von Transferleistungen, Abwanderung in andere Kieze und Kinderarmut besonders ballen. Nach Erkenntnissen des Stadtsoziologen Hartmut Häußermann hat sich die Situation hier in den vergangenen Jahren sogar verschlechtert. Er hat im Auftrag des Senates das Monitoring-Programm erstellt.
Diesen Trend sieht auch Neuköllns Bürgermeister Buschkowsky. „Ich sehe nicht, dass die Entwicklung, die seit 15 Jahren im Gang ist, aufgehalten oder sogar umgekehrt wird“, sagte er am Donnerstag. Im Gegenteil. Der Bezirk entfalte mittlerweile eine Sogwirkung für sozialschwache Familien. Neukölln musste demnach im vergangenen Jahr 1,5 Millionen Euro zusätzlich für Erziehungsleistungen ausgeben, weil arme Familien aus anderen Bezirken zugezogen seien. Daran ändert nach seinen Angaben auch nicht, dass Stadtteile wie das sogenannte Kreuzkölln zwischen Neukölln und Kreuzberg mittlerweile zu den Szenekiezen gehöre. „Leute, die um 22 Uhr kommen und bis sechs Uhr morgens Caipis trinken, ändern die Sozialstruktur dort nicht“, sagte Buschkowsky. Im Gegenteil. Es sei nicht zu erkennen, dass der Bezirk in seinem Kampf gegen das soziale Elend unterstützt werde. „Da gibt es auch keine Solidarität unter den Bezirken“, sagte Buschkowsky.