Bericht vorgelegt

Wie die Jesuiten den Missbrauch vertuschten

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Joachim Fahrun

Hochrangige Mitglieder des Jesuitenordens wussten von sexuellem Missbrauch an den Schulen des Ordens - und vertuschten es, auch am Berliner Canisius-Kolleg: Der jetzt vorgelegte Abschlussbericht zur Untersuchung des Missbrauchsskandals ist eine schreckliche Publikation. Missbrauchs-Opfer aber sind enttäuscht: Sie wollen mehr als nur einen Bericht.

Als „skandalöse Wirklichkeit, die dem Orden zu Scham und Schande gereicht“: So hat Deutschlands oberster Jesuit Pater Stefan Dartmann die Ergebnisse des Missbrauchs an Schülern durch Patres bezeichnet, der Ende Januar zuerst am Berliner Canisius Kolleg durch die Berliner Morgenpost öffentlich gemacht worden war.

205 missbrauchte Ex-Schüler aus den Kollegien in Berlin, im Schwarzwald, in Bonn und in Hamburg hat die Beauftragte des Ordens Ursula Raue in ihrem Abschlussbericht genannt, der in München vorgestellt wurde, am Hauptsitz der Jesuiten in Deutschland. Davon gehen mehr als ein Drittel auf das Konto der beiden Haupttäter vom Canisius Kolleg, dem Religionslehrer und Gruppenleiter Pater Peter R. und dem Sport- und Deutschlehrer Pater Wolfgang S. aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Riedl hatte Schüler bevorzugt in der außerschulischen Jugendarbeit über Onanie ausgefragt und dabei missbraucht. Statt, Spitzname der Pavian, hatte sadistische Triebe in exzessiven Schlägen auf nackte Hintern ausgelebt.

Andere gemeldete Taten reichen zurück bis in die Fünfziger- und Sechzigerjahre. Als Täter nannten Opfer oder Zeugen der Anwältin zwölf Patres als Täter oder Mitwisser, von denen sechs noch leben. Außerdem wurden zwei weitere Mitarbeiter des Ordens belastet. Nur von jeweils einem Zeugen seien insgesamt 32 weitere Namen von „übergriffigen Pädagogen“ genannt worden, sagte Raue.

Verantwortlich für das Ausmaß des Missbrauchs sei ganz eindeutig der Orden. Die Jesuiten hätten Täterkarrieren zwar nicht unbedingt gefördert, „aber auch nicht ordentlich behindert“, sagte Raue. Man habe gewusst, da gebe es einen, „der grabbelt gern“. Die Oberen des Ordens hätten jedoch dafür gesorgt, dass „die Leute verschoben und versetzt wurden“. Niemand habe sich in die Situation der Opfer versetzt.

Der Ordensleitung und dem damaligen Rektor des Canisius Kollegs, Pater Fischer, waren die Übergriffe im Rahmen der Jugendarbeit seit 1981 bekannt, so der Bericht. Ihm sei klar gewesen, dass für Riedel kein Platz in Jugendarbeit und Schule mehr sei, sagte Fischer laut Bericht. Er habe jedoch nicht an pädagogische oder seelsorgerische Hilfen für die Schüler gedacht.

Und so kam es, dass die beiden Berliner Haupttäter versetzt wurden und sich weitere Opfer suchen konnten.

Sportlehrer Statt kam von Berlin aus an die damalige Jesuitenschule St. Ansgar in Hamburg. „Pater S. war 30 Jahre lang mein Begleiter“, seufzt Peter Neumann (Name geändert). Erst nach den Veröffentlichungen in der Berliner Morgenpost über die Missbrauchsserie am Berliner Canisius Kolleg konnte der Mann aus Hamburg aussprechen, was ihm der Geistliche damals angetan hatte. Er berichtete seiner Frau von dem Missbrauch durch den Lehrer. „Es war eine Befreiung“, sagt er. Er wisse jetzt, was ihn all die Jahre gequält habe. Aber es habe unendlich viel Kraft gekostet.

Vom Jesuitenorden ist Neumann wie viele andere Opfer enttäuscht. Die nach dem ersten Brief von Pater Klaus Mertes, Rektor des Canisius Kollegs, an mögliche Berliner Missbrauchsopfer zugesagte Unterstützung sei ausgeblieben. Er habe am 3. Februar per E-Mail mit Fragen an die Missbrauchsbeauftragte Raue gewandt. Er wollte wissen, warum Pater S. von Berliner nach München versetzt wurde und welche Unterstützung er als sein späteres Opfer nun erwarten könne. Zehn Tage später erhielt er eine Mail von Raue: Sie könne seine Fragen nicht beantworten.

Monatelang habe er dann nichts mehr von der Beauftragten gehört. Das „schleppende Tempo“ der Aufarbeitung sei ihm „negativ aufgestoßen“, sagt Neumann. Raue sei mit dem Ansturm von missbrauchten Ex-Jesuitenschülern überfordert, sagen viele Opfer heute. Viele hielten sie ohnehin für nicht objektiv, weil sie dem Orden zu nahe stehe. Ihre Kinder gingen am Canisius Kolleg zur Schule.

Zwei Monate nachdem Neumann seine E-Mail geschickt hatte, am 17. April, kam es zu einem Treffen in Berlin. Der Missbrauchsskandal hatte längst die gesamte deutsche katholische Kirche erschüttert. Teilnehmer der Zusammenkunft in der Hauptstadt beschreiben die Veranstaltung heute als „seltsam“ beschreiben. Freundinnen von Raues Tochter hätten den Einlass kontrolliert. Auch Nicht-Betroffenen seien dort gewesen. Eine Tagesordnung gab es nicht. Niemand habe die Opfer gefragt, was sie denn wollten. Niemand habe ihre Vorschläge berücksichtigt. „Das war ein Desaster für die Missbrauchsopfer“, sagt Neumann.

Eine Gruppe ehemaliger Jesuitenschüler entschloss sich zum Protest. „Wir wollen keinen runden Tisch, wir wollen einen eckigen Tisch“, sagen sie und so nennen sie auch ihr Internet-Forum. Eckig deshalb, „weil wir ein Gegenüber brauchen“. Der Orden müsse sich seiner Verantwortung stellen. Deshalb fühlen sich die Jesuiten-Opfer auch nicht durch den runden Tisch der Bundesregierung vertreten. „Wir sind keine Heimkinder“, sagt Neumann, „wir wurden von Jesuiten missbraucht“.

Am Sonnabend kommt es nun in Berlin zum ersten Treffen von Opfern und Jesuiten. Der damalige Provinzial, der für die Versetzung des Berliner Missbrauchs-Priesters nach Hamburg verantwortlich war, wird da sein. Und nach längerem Zaudern wird auch Provinzial Dartmann teilnehmen. Moderieren wird nicht mehr die vom Orden ausgesuchte Ursula Raue, sondern die frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer, die das Vertrauen der Opfer genießt.

Längst geht es nicht mehr nur um warme Worte und Versöhnung. Die Opfer fordern ein volles Schuldeingeständnis des Ordens, die Übernahme von akuten Therapiekosten und einen finanziellen Ausgleich, obwohl die Taten verjährt sind. Das sei eine Frage der Genugtuung: „Die ist uns von den Jesuiten durch ihre Vertuschung verwehrt worden“, sagt Neumann.

Missbrauchsopfer Robert Schulle, der 1984 am Canisius Kolleg sein Abitur ablegte, hält es für „negativ“, dass der Orden die Täter und Mitwissen bis heute nicht zur Rechenschaft zieht sondern in der „Familie“ behält, wie es der Provinzial Dathmann nannte. Es gebe auch keine Veranlassung, mit der konkreten Übernahme von Verantwortung auf Ergebnisse des bundesweiten runden Tisches zu warten.

Einen Beleg für die letztlich immer noch zaudernde Aufarbeitung sehen die Opfer in der Blockade, die Frau Raue am Bonner Aloisius Kolleg entgegenschlägt. Dort arbeiten noch einige der des Missbrauchs Beschuldigten, manches von dem, was an dieser Schule geschah, ist wahrscheinlich noch nicht verjährt. Raue schlägt vor, hier ein neues Aufklärungsteam einzusetzen. Wie zu hören war, ist die Beauftragte selber empört über den mangelnden Kooperationswillen der Bonner Jesuiten und Lehrer.

Der Jesuiten-Provinzial könne seine Mitbrüder am Aloisius Kolleg zur Aufklärung drängen, finden die Opfer. So könnte der Orden seine eigene Verantwortung übernehmen. „Hier geht es um die Jesuiten und ihre Schüler“, sagt Schulle. Der Orden könne die Ernsthaftigkeit seiner Reue beweisen, indem er namhafte Beträge für die Opfer bereitstelle. Die Opfer fordern über Anwälte mittlere fünfstellige Beträge.

Provinzial Dartmann machte jedoch deutlich, dass er von pauschalen Zahlungen an die Opfer wenig hält. Geld sollte eher in die Prävention fließen als an die Opfer. Allenfalls eine Härtefallregel für wegen Missbrauch verpfuschte Lebensläufe könne es geben. Er wolle aber eine grundsätzliche Entschädigungsregel für Missbrauchsopfer am runden Tisch der Bundesregierung abwarten. Nur für akute Therapiekosten könne man aufkommen. Ursula Raue sagte, es gebe „zwei oder drei“ entsprechende Anfragen von Opfern. Diese seien weitergeleitet worden.