Der Auftritt von Berlins ehemaligem Finanzsenator vor der Landesschiedskommission der SPD passte ins Bild. Thilo Sarrazin betrat die Parteizentrale an der Müllerstraße, ohne ein einziges Wort über einen möglichen Parteiausschluss zu sagen. Dafür hatte er sich zuvor dezediert geäußert, was er von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hält.

Um 16.58 Uhr betrat Thilo Sarrazin am Montag die Parteizentrale der Berliner SPD in der Müllerstraße. Wortlos. Vier Kamerateams und 20 Journalisten warteten auf neue Sprüche des ehemaligen Finanzsenators von Berlin. Doch Sarrazin schwieg. Kein Wort zu anstehenden Verhandlung über den von seinen Gegnern geforderten Ausschluss aus der SPD.

Was er zu sagen hatte, hatte er am Morgen über die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht. Sarrazin hatte sich vor einigen Tagen mit einem Reporter in einem Café in Charlottenburg getroffen, um dort seine Sicht der Dinge über die provozierenden Äußerungen der vergangenen Wochen und Monate kund zu tun. Und im Gespräch fielen wieder Worte, die viele Berliner Sozialdemokraten ärgerten. Sarrazin empfahl den Beziehern von Hartz IV, kalt zu duschen. Warmduscher hätten es noch nie weit gebracht, sagte der um provozierende Sprüche nie verlegene Politiker. Doch damit nicht genug.

Ausgerechnet vor der Sitzung der Landesschiedkommission am Abend schüttete er per Süddeutscher Zeitung beißenden Spott über seine parteiinternen Gegner aus. Einen Wissenschaftler des Potsdamer Moses-Mendelsohn-Zentrum, den Politologen Gideon Botsch, nannte er einen „Afterwissenschaftler“. Das von Botsch erstellte Gutachten, das die Grundlage für Sarrazins Parteiausschluss sein sollte, nehme er inhaltlich nicht ernst – so Sarrazin Botschaft. Die Genossen aus Spandau und Alt-Pankow hatten ein wissenschaftliches Gutachten des Extremismusforschers Botsch, erstellen lassen, weil sie die Äußerungen Sarrazins mit den Positionen der SPD für unvereinbar halten. Botsch stufte Passagen in dem Sarrazin-Interview in der Zeitschrift „Lettre International“ als „eindeutig rassistisch“ ein.

In dem Gespräch aus dem Oktober 2009 hatte Sarrazin, mehrfach Berliner Türken und Araber kritisiert. Sie hätten „keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel“, sagte Sarrazin in dem Interview. Sie würden vom Staat leben und dauernd „neue kleine Kopftuchmädchen“ produzieren. Das gelte für 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung. Die Aussagen hatte republikweit für Aufsehen und in der SPD für erheblichen Ärger gesorgt.

Und auch Sarrazins neue, per Interview verbreiteten Äußerungen führten jetzt bei einigen Sozialdemokraten zu Kritik. Einer seiner schärfsten Gegner, der Spandauer SPD-Kreisvorsitzende Raed Saleh, der zu den Initiatoren des Ausschlussverfahrens gehört, sagte: „Sarrazin benutzt eine infantile Fäkalsprache, um einen anerkannten Wissenschaftler anzugreifen. Das entlarvt sein Niveau.“ Swen Schulz, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Spandau, bezeichnete die Aussagen des Bankers als „völlig daneben“. Sarrazin wolle wie immer nur provozieren, sagte Schulz.

Die Positionen waren also verhärtet, als am Abend die Kontrahenten zur Verhandlung der Landesschiedskommisson ins Kurt-Schumacher-Haus kamen. Das Schiedsgericht hatte über den Widerspruch der Spandauer SPD und des Ortsverbandes Alt-Pankow zu entscheiden, die sich mit einer ersten Ablehnung des Parteiausschlusses nicht zufrieden geben wollen. Die Spandauer und Alt-Pankower Genossen werfen Sarrazin wegen rassistischer Äußerungen über Migranten parteischädigendes Verhalten vor. Im Oktober hatten sie ein Parteiordnungsverfahren beantragt, im Dezember aber in erster Instanz vor dem Kreisschiedsgericht der SPD Charlottenburg-Wilmersdorf verloren.

Die Kreisschiedskommission sah in den Äußerungen weder ein parteischädigendes, noch ein ehrloses Handeln von Sarrazin. Der streitbare Genosse habe nicht vorsätzlich die Statuten der SPD verletzt. Dass möglicherweise viele SPD-Mitglieder nicht mit Sarrazins Äußerungen einverstanden seien, „stellt keine Verletzung des Gebotes der innerparteilichen Solidarität dar“, hieß es in der Begründung der ersten Instanz. Strafrechtliche Ermittlungen wegen Verleumdung und Volksverhetzung waren eingestellt worden.

Nun soll also auf Drängen der Sarrazin-Gegner die Landesschiedskommission eine Klärung herbeiführen. Was hinter verschlossenen Türen passierte, blieb zunächst unklar. Das Verfahren ist nicht öffentlich. Beide Seiten vereinbarten Stillschweigen. Bei einem derartigen Verfahren erhalten die Kontrahenten Gelegenheit, ihren Standpunkt vor dem dreiköpfigen Parteigericht vorzubringen. Neben Vertretern aus Spandau und Alt-Pankow war auch Sarrazins Rechtsbeistand in dieser Angelegenheit, Justizstaatssekretär Hasso Lieber, bei der Verhandlung anwesend. Wann die Schiedskommission zu einem Beschluss kommt, ist nicht bekannt.

Innerhalb der Berliner SPD ist das Parteiausschlussverfahren umstritten. Der Parlamentarische Geschäftsführer, Christian Gaebler, hält das Beharren der Gegner von Sarrazin für nicht sinnvoll. Vielmehr solle man sich inhaltlich mit den Äußerungen Sarrazins auseinandersetzen. Stattdessen würden die Äußerungen des ehemaligen Finanzsenators Sarrazin unnötig aufgewertet.