Es ist überall das Gleiche, in jeder Buchhandlung. Egal, ob bei Dussmann an der Friedrichstraße. In den Hugendubel-Filialen. Bei Thalia am Potsdamer Platz. Oder in der Filiale an den Schönhauser Arcaden, direkt an der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg. Da liegen sie alle unter „Neu“ oder „Neuerscheinungen“, die aktuellen Bestseller. Ferdinand von Schirachs „Schuld“ liegt da, gleich neben Paul Austers „Unsichtbar“. Auch „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer oder Jussi Adler-Olsens „Erbarmen“ und dessen Nachfolgewerk „Schändung“. Alle ausreichend vorhanden, stapelweise. Nur von dem einen Buch, über das heute ganz Berlin redet, sogar ganz Deutschland – keine Spur. Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aus Spiel setzen“ ist ausverkauft, vergriffen, nirgends mehr zu kriegen. Dabei sollte es eigentlich ab heute im Handel zu kaufen sein.
„Mich nervt dieses Sarrazin-Buch“, sagt eine Verkäuferin bei Dussmann zu ihrer Kollegin. „Alle fünf Minuten kommt ein Kunde und will das Buch kaufen. Aber wir haben keine mehr“, sagt sie hinter ihrem Tresen. „Das kann man den Kunden auch nur schwer vermitteln: Schließlich kommt heute das Buch heraus, und wir haben schon keine mehr. Da fühlen die Kunden sich doch veräppelt.“
Grund für den Ärger: Die erste Auflage von Sarrazins Buch ist komplett vergriffen. 25.000 Exemplare sind bereits weg. „Wir haben die erste Auflage am letzten Montag an die Händler ausgeliefert“, sagt Michèle Lallemand, Assistentin der Presseabteilung der Deutschen Verlags-Anstalt, dem Verlag, in dem das Sarrazin-Buch erschienen ist. „Vor acht Tagen war das also. Daher hatten einige Buchhandlungen das Buch auch schon am letzten Donnerstag verkauft.“ Daraufhin habe der Verlag auch eine zweite Auflage gedruckt, weitere 15.000 Exemplare, die am Montag an die Händler ausgeliefert wurden. „Doch auch da haben wir recht schnell gemerkt: Das wird nicht ausreichen“, sagt Lallemand. „Die Nachfrage ist einfach zu groß. Denn auch diese Auflage war sehr schnell wieder vergriffen. Das hat uns schon ein wenig überrascht. Also haben wir noch eine dritte Auflage gedruckt, noch einmal 70.000 Bücher. Und eine vierte, diesmal sogar mit 80.000 Exemplaren.“
Doch noch ist dieser Montag; und kein einziges „Deutschland schafft sich ab“-Exemplar liegt in den Auslagen der Berliner Buchhandlungen. Auch die Buchhandlung im Kaufhaus Galeria Kaufhof direkt am Alexanderplatz hat noch keine Exemplare von Sarrazins Buch erhalten. „Heute, irgendwann noch, könnte die Lieferung ankommen“, sagt die Verkäuferin dort. „Oder vielleicht doch erst morgen oder übermorgen, so genau weiß ich nicht, wann wir das Buch bekommen.“
Die Verkäuferin in der Thalia-Buchhandlung in den Schönhauser Arcaden ist dagegen zunächst noch zuversichtlich. Vor ihr flimmert ein Bildschirm. Der Name von Sarrazins Buch steht da und eine kleine Drei rechts daneben. „Ah, Sie haben Glück“, sagt die Verkäuferin. „Tegel, unsere Filiale dort hat noch drei Stück.“ Doch dann hebt sie den Telefonhörer ab, wählt die Nummer der Thalia-Filiale in Tegel. Nur zur Sicherheit. Man kann ja nie wissen. Und dann, die Enttäuschung: „Doch nicht? Schon verkauft?“, fragt die Verkäuferin in den Hörer. „Na ja, so schnell kann es manchmal gehen.“ Dann legt sie auf. „Sind alles drei Vorbestellungen. Faktisch also schon weg.“
Noch nicht einmal in den kleineren, versteckteren Buchhandlungen sieht es an diesem Montag anders aus. So wie in der Käthe-Kollwitz-Buchhandlung in der Danziger Straße in Prenzlauer Berg. Auch hier: Alle Neuerscheinungen liegen auf kleinen Tischen, die Bestseller eben, nur kein einziges Exemplar von Sarrazins Buch. „Nein, leider nicht. Das haben wir noch nicht“, sagt der Verkäufer dort.
Auch der Laden Berlin Story verkauft das Buch vom ehemaligen Berliner Senator für Finanzen noch nicht. Doch das soll sich bald ändern. Dabei führt die Buchhandlung an der Straße Unter den Linden, keine fünf Minuten Fußweg vom Brandenburger Tor entfernt, eigentlich nur Bücher über Berlin, Bildbände von Berlin oder Stadtpläne von Berlin. Irgendetwas mit Berlin halt, meist für Touristen. „Doch selbst bei uns haben schon mehrere Kunden gefragt, ob wir denn nicht das Buch von Thilo Sarrazin hätten“, sagt die Verkäuferin Romy Herzog hinter ihrem Tresen. „Alleine heute Vormittag waren es bereits drei Leute, die das Buch kaufen wollten. Daher haben wir nun reagiert und das Buch auch bestellt. Bald müssten die Exemplare hier sein.“ Eines ist sicher: Lange werden sie dort nicht bleiben.
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