Alexander ist sieben Jahre alt, stolzer Zweitklässler. Zurzeit begeistern ihn vor allem Fische, darüber kann er lange erzählen. Ein lebhaftes Kind – und ein Armutsrisiko, das ist er auch. Ein Treffen mit seiner Mutter, Eva Maria Scherer (45). Sie ist gelernte Altenpflegerin, alleinerziehend, seit Alexanders Geburt ohne Arbeit – Schichtdienst, auch nachts und am Wochenende, und Alexander zu Hause passen nicht zueinander. 445 Euro zum Leben haben die beiden im Monat, dazu wird die Miete, die 345 Euro beträgt, übernommen.
Außerdem arbeitet Eva Maria Scherer, sechs Stunden in einer geförderten Maßnahme an fast jedem Wochentag, der Stundenlohn beträgt 1,50 Euro. Das macht immerhin durchschnittlich 145 Euro im Monat zusätzlich.
Sie hat Glück gehabt mit diesem Job, sagt Eva Maria Scherer: Die Weddingerin hilft in der Kinderküche an der Oldenburger Straße in Moabit. Dort versorgt das Familienschutzwerk jeden Tag etwa 30 bedürftige Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren, sie bekommen ein Mittagessen und Hilfe bei den Hausaufgaben. Dort arbeitet Eva Maria Scherer von 8.30 bis 14.30 Uhr, vorher bringt sie Alexander zur Schule, nachmittags kann sie ihn wieder abholen.
„Eigentlich wurde Frau Scherer als Reinigungskraft vermittelt“, sagt die Leiterin der Kinderküche, Leiterin Selcan Karacay (28). „Aber sie hilft überall und ist sehr flexibel.“ Also putzt Eva Maria Scherer, arbeitet in der Küche oder hilft im Büro aus. Jetzt, in den Ferien, kam auch Alexander mit. Seine Ferien-Favoriten: „Der Spielcomputer hier. Und die Drachenbahn!“ Am Freitag hatte die Kinderküche einen Ausflug ins Legoland organisiert.
Eva Maria Scherers Monatsrechnung: 33 Euro kostet ihre BVG-Karte, 25 Euro die für Alexander: „Die habe ich aber erst diesen Monat wieder gekauft; das war im Januar einfach nicht mehr drin.“ Elf Euro will die Haftpflicht für Hund Rocky, eine Mischung aus Jack Russell Terrier und Dackel, den die beiden adoptiert haben, damit er nicht ins Tierheim muss. Neun Euro Haftpflicht für Alexander kommen dazu, 25 Euro für das Schulessen, fünf Euro für den Pausenkakao, drei Euro für die Klassenkasse.
Außerdem zahlt sie zurzeit 20 Euro für die Heizkosten-Nachforderung ab. Vor der nächsten, nach diesem harten Winter, graut ihr schon heute. „Ja, man kann hinkommen mit Hartz IV, mit Ach und Krach“, sagt Eva Maria Scherer. Ihre Winterschuhe haben zwei Euro gekostet, secondhand vom Trödelmarkt. Sie spart an ihrer Kleidung – schließlich wächst Alexander und braucht häufig neue Sachen. Die größte Ausgabe in der letzten Woche: zwölf Euro, ermäßigter Eintritt für beide ins Zoo-Aquarium. Das hatte sich Alexander in den Ferien gewünscht.
Das Wichtigste für ihre monatliche Kalkulation: „Es darf nichts kaputtgehen, wie letztens der Kühlschrank.“ Eva Maria Scherer: „Dann bin ich immer sofort Monate hinterher. Ich hoffe nur, unsere Schrankwand bricht noch nicht so bald zusammen.“ Theoretisch sollten Hartz-IV-Empfänger dafür Rücklagen bilden, einen Teil ihrer Hilfe zurücklegen – auch für den Urlaub, der offiziell Erwerbslosen zusteht. Für Eva Maria Scherer bleiben Reisen ein Traum: „Vielleicht irgendwann.“ Wenn die alte Heizkosten-Nachzahlung getilgt ist, die neue Nachzahlung nicht allzu hoch ausfällt und die Schrankwand hält. „Wenn es ein wenig besser geht, dann kann ich vielleicht anfangen, ein bisschen was auf die Seite zu legen. Und mit Alexander für ein Wochenende wegfahren, ans Meer vielleicht.“
Wenn morgen die Bundesverfassungsrichter ihr Urteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen für Kinder verkünden, dann hofft Eva Maria Scherer darauf, dass die Richter die Sätze für zu niedrig befinden: „Natürlich, wenn das Gericht zugunsten der Hartz-IV-Empfänger entscheidet, würde Alexander und mir jeder Euro mehr in der Familienkasse helfen“, sagt die 45-Jährige. Und sie ist sich sicher, dass auch bei den meisten anderen Eltern, die von Hartz IV leben, das Geld wirklich den Kindern zugutekommt.