In Berlin sollen künftig Eltern von Schulschwänzern mit bis zu 5000 Euro bestraft werden. So jedenfalls wollen die Senatsverwaltungen für Inneres und Justiz Jugendliche zu mehr Disziplin zwingen. Kritiker halten den Vorstoß für untauglich. Vielmehr fehle dem Senat ein grundlegendes Konzept zur Bekämpfung der Jugendkriminalität.

Für Thomas Tillmann verlief der Dienstagabend übel. Drei vermummte Jugendliche, fast noch Kinder, bedrohten den Kiosk-Besitzer in seinem Geschäft an der Buschkrugallee in Neukölln mit einer Pistole und einem Messer, raubten Geld und Zigaretten. In den Polizeibericht schaffte es die in Berlin keineswegs ungewöhnliche Attacke deswegen, weil Polizisten diesmal die 14 und 13 Jahre alten Delinquenten in der Nähe des Tatortes stellen konnten.

Die fast alltägliche Geschichte aus Berlin-Neukölln wirft ein Schlaglicht auf das Problem der Jugendkriminalität. Wie hilflos aber die Berliner Politik vor schlagenden, prügelnden und raubenden Jungs steht, macht ein Positionspapier der Senatsverwaltungen für Inneres und Justiz deutlich, das aktuelle politische Forderungen zur Prävention und Repression bewertet. Der Schluss der Fachbeamten: Zwar will man die Vernetzung der Behörden „aktiv fördern“.

Aber weder die Kürzung des Kindergeldes für Eltern, die bei der Erziehung ihrer Sprösslinge die Mitarbeiter verweigern, noch eine Beschränkung des Zuzugs problematischer Familien in schwierige Kieze wird für möglich erachtet. Der Datenschutz soll nur vorsichtig gelockert werden.

Praktiker wie die Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig sind enttäuscht: „Ich vermisse ein brauchbares Handlungskonzept“, sagte die Richterin, „alles Repressive geht nicht“. Zwar sei es richtig, die Prävention zu verbessern und Jugendämter, Schulen, Polizei Gerichtshilfe und Staatsanwälte enger zusammen zu bringen. „Aber da dürfen wir nicht stehen bleiben“, sagte Heisig, die seit langem dafür kämpft, die Eltern stärker in die Verantwortung zu übernehmen.

Der einzige konkrete Vorschlag in dem Papier ist, das Bußgeld für die Eltern von notorischen Schulschwänzern auf 5000 Euro anzuheben, um „den Handlungsdruck auf die Eltern zu erhöhen“.

Kenner der realen Verhältnisse halten diesen Vorschlag für völlig untauglich. Die meisten Eltern seien Hartz-IV-Empfänger, da könne man höchstens ein paar Hundert Euro verlangen. „Das können die Familien ohnehin nicht bezahlen“, sagte dazu auch Friedrichshain-Kreuzbergs Schulstadträtin Monika Herrmann (Grüne).

Aber vor allem weiß niemand in Berlin, ob Bußgelder gegen Eltern überhaupt wirken. Auch gibt es keine Statistik darüber, wie viele Bußgelder verhängt worden sind. Die Senatsbildungsverwaltung hat die Daten bisher nicht aus den Bezirken zusammen getragen. Und auch in den Rathäusern ist nicht bekannt, was ihre Jugendämter so an Bußen gegen Eltern verhängen. „Wir bauen gerade eine solche Statistik auf“, sagt Monika Herrmann (Grüne), Schulstadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg.

Das unkoordinierte Vorgehen lässt Richterin Heisig fast verzweifeln. Dabei gilt der Kampf gegen das notorische Schulschwänzen als entscheidend: „Jede kriminelle Karriere beginnt mit zwei Problemen: Schweres Schulschwänzen und schweres Kiffen“, weiß der Sprecher der Justizsenatorin.

Immerhin kann die Senatsbildungsverwaltung sagen, dass in Berlin fast 4000 Schüler in einem Halbjahr mehr als zwei Wochen unentschuldigt fehlen, 1200 davon bleiben mehr als vier Wochen, mehr als 800 sogar mehr als zwei Monate vom Unterricht fern. Die höchsten Fehlquoten melden Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. An Haupt- und Gesamtschulen schwänzen mehr Schüler hartnäckig als an Grundschulen und Gymnasien.

Erst allmählich wachen die Bezirke auf. In Neukölln werden Bußgelder verhängt. Als diese nicht bezahlt wurden, sei auch Haft angedroht worden. Dann hätten die Familien auch bezahlt, heißt es.

Auch Kreuzberg verhängt bisweilen Bußen und ist jetzt dabei, den Fall eines notorischen Schwänzers vor das Familiengericht zu bringen, um den Eltern Auflagen zur Mitarbeit bei der Erziehung zu machen und gegebenenfalls das Sorgerecht zu entziehen. „Das ist ein deutliches Signal“, sagt Stadträtin Herrmann. Der Handlungsdruck steigt: „Die fangen mit dem Schwänzen schon in der zweiten Klasse an.“