Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky

Kein Kindergeld für Berliner Schulschwänzer

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Joachim Fahrun

Foto: M. Lengemann / Lengemann

Der Hilferuf der Berliner Schulleiter hat die Diskussion um Schulen mit hohem Migrantenanteil neu entfacht. Integration muss nach Meinung von Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky auch mit Sanktionen durchgesetzt werden. Eltern von Schulschwänzern sollen die Taten ihrer Kinder auch finanziell spüren.

In Berlin wird wieder über die Krise der Schulen in Bezirken mit hohem Migrantenanteil diskutiert. Wie das Konjunkturprogramm dabei helfen kann, die Probleme zu lösen, erklärt Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) im Gespräch mit Joachim Fahrun.

Morgenpost Online: Herr Buschkowsky, 68 Schulleiter aus Mitte haben einen Brandbrief geschrieben: Die Bildung in ihrem Bezirk stehe vor dem Aus. Hat Sie das überrascht?

Heinz Buschkowsky: Das Überraschendste an dieser Aktion ist, dass sie erst jetzt erfolgt. Insider wissen, dass in Tiergarten oder Wedding die Lage nicht anders ist als in Neukölln. Der Unterschied mag vielleicht sein, dass wir in Neukölln seit Jahren offensiver mit diesen Problemen umgehen und mehr Anstrengungen der großen Politik für den Integrationsprozess einfordern. Denn darum geht es in Wirklichkeit an den Schulen.

Morgenpost Online: Es geht also nicht um löchrige Schuldächer, sondern um die Schülerklientel in den Bezirken?

Buschkowsky: Wir haben große bauliche Mängel. Ich glaube aber, den Rektoren aus Mitte geht es um die Inhalte der Bildungspolitik. Insbesondere um die Probleme, die die Schulen haben, um junge Menschen zu erreichen, denen wir in unserer Gesellschaft erst mal ein Zuhause bereiten müssen. Es geht um Menschen mit Migrationshintergrund, die aus fernen Ländern kommen, die Arabisch, Türkisch oder eine afrikanische Sprache sprechen. Mit der Integrationspolitik haben wir in vielen Stadtteilen Probleme. Mit dem Ansatz, man geht zur Schule, lernt lesen, schreiben und rechnen, kommen wir nicht weiter. Ich würde mich aber freuen, wenn die Aktion aus Mitte dazu führt, dass die Bezirke mit ähnlichen Problemen solidarischer miteinander umgehen. Bisher waren wir Neuköllner die Schmuddelkinder, die auf diese Probleme aufmerksam gemacht haben. Im Regierungsbezirk Mitte hatten sie immer die Sorge, den Ruf Berlins zu beschädigen.

Morgenpost Online: Ein Thema des Brandbriefes aus Mitte ist die Flucht von bildungsorientierten Eltern auf Privatschulen.

Buschkowsky: Den Eltern keine Fluchtpunkte in Form von Privatschulen zu geben, halte ich für falsch. Die Eltern ziehen dann nämlich ganz weg aus dem Kiez. Das hilft erst recht nicht.

Morgenpost Online: Man hört oft von Lehrern, viele Schüler würden nicht aufpassen, sich im Unterricht schlagen und sich nicht dafür interessieren, was der Lehrer sage. Ist das verbreitet, oder sind das Einzelfälle?

Buschkowsky: Es ist ein verbreitetes Phänomen, obwohl natürlich auch in Neukölln und Wedding junge Migranten brillante Abiture ablegen. Aber wir haben eine wachsende Unterschicht aus Familien, die im Wertekanon Mitteleuropas nicht angekommen sind, wo die Familientradition und das Familienleben anders sind, wo sieben, acht Personen in zwei Zimmern wohnen. Wo es keine Rückzugsräume für die Kinder gibt, um Hausaufgaben zu machen. Wo niemand mal ein Märchen vorgelesen oder Halma gespielt hat, um Stillsitzen und Kreativität zu üben. Das führt zu den Problemen wie Schulschwänzen. Und zwar nicht wie in Oberschulen, wo Schüler einfach mal eine Stunde nicht hingehen. Auch kleine Kinder kommen eben erst um neun, gehen früher, oder sie kommen gar nicht, weil die Oma zu versorgen ist. Weil Schulpflicht als ein unverbindlicher Vorschlag angesehen wird.

Morgenpost Online: Was hat diese Haltung für Folgen?

Buschkowsky: Die Kinder haben keinen Spaß mehr an der Schule, weil sie merken, dass sie nicht mitkommen. Am Ende haben Sie eine wachsende Zahl junger Menschen, die ohne Abschluss oder nur mit dem einfachen Hauptschulabschluss die Schule verlassen. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir ein anderes Schulsystem und eine andere, intervenierende Politik. Wir müssen versuchen, an die Kinder und an die Eltern heranzukommen. Wir brauchen Ganztagsschulen, eine verbindliche Vorschulerziehung. Es hat keinen Zweck, mit Kindern zu beginnen, die kein Wort Deutsch sprechen. Jetzt müssen die Kinder mit vier Jahren zum Sprachtest kommen, wer Mängel hat, bekommt ein Jahr Sprachunterricht. Es gibt nur ein Problem: Die Eltern bringen die Kinder nicht zum Test. Oder sie bringen sie nicht zum Sprachunterricht. Und es passiert nichts.

Morgenpost Online: Ohne Sanktionen gegen die Eltern wird sich nichts ändern?

Buschkowsky: Integration funktioniert nicht als Naturgesetz von alleine. Sie braucht Lenkung. Wenn es nicht anders geht, muss man auch mit Sanktionen regelkonformes Verhalten durchsetzen. Das heißt über den Geldbeutel. Kommt das Kind nicht in die Schule, kommt das Kindergeld nicht auf das Konto. Die Holländer gehen an die Sozialleistungen ran, wenn Eltern nicht mitmachen. Wir brauchen Schulstationen, wo Eltern aus der Anonymität herausgeholt werden, wenn jemand nachfragt, warum das Kind nicht in der Schule ist.

Morgenpost Online: Kann das Konjunkturpaket helfen, die Strukturen im Bildungswesen zu verändern?

Buschkowsky: Wenn wir jetzt viele Grundschulen zu Ganztagsschulen ausbauen könnten, wäre das ein Riesenfortschritt. Zur Ganztagsschule gehört ein Freizeitgebäude, eine Mensa, eventuell ein Sportplatz, denn Ganztagsbetreuung heißt auch Freizeitgestaltung. Mir wäre die Erweiterung einer Schule zur Ganztagsschule wichtiger als die Sanierung einer Toilettenanlage. Wir müssen die Chance aus diesen Konjunkturprogrammen jetzt nutzen, um Inhalte umzusetzen, über die wir seit Jahren reden. Jetzt gibt es Geld. Wenn wir über den Umweg der Wirtschaftsförderung unseren zukunftsträchtigen Inhalten näher kommen, finde ich das gut. Aber man muss wissen: Eine Ganztagsschule erfordert nachher auch mehr Personal, Erzieher und Sozialarbeiter.

Morgenpost Online: Was halten Sie von der Schulreform, die der Bildungssenator anstrebt?

Buschkowsky: Die ist völlig richtig. Es gibt nur noch das Gymnasium, alle anderen Schularten werden zu einer gemeinsamen Schule als Ganztagsschule zusammengefasst. Das ist insbesondere in Problembezirken notwendig. Wir bündeln die soziale Kompetenz in den Wohngebieten. Aber man muss wissen: Auch das kostet Geld. Da müssen wir richtig in die Hardware investieren.

Morgenpost Online: Sie sehen Bildung als das entscheidende Schicksalsthema für Berlin.

Buschkowsky: Ohne Bildung keine Integration. Wir müssen jungen Menschen die Perspektive bieten, dass die Gesellschaft für sie attraktiver ist als die tradierten, archaischen Riten des Familienclans. Die größte Gefahr für die Kinder sind die Defizite ihrer Eltern. Die müssen wir aufholen. Und wenn die Eltern keine Geschichte vorlesen, müssen wir das in der Schule machen. Und wenn die Eltern nicht freiwillig begreifen, dass wir in die Köpfe und in die Zukunft ihrer Kinder investieren, müssen wir sie notfalls dazu zwingen. Das Humankapital Berlins liegt nicht in Wilmersdorf oder Zehlendorf, sondern in Tiergarten, Wedding, Kreuzberg und Neukölln. Aber das müssen wir auch heben.

Morgenpost Online: Auf Neukölln wird ein Geldregen niedergehen, weil alle Familien 100 Euro pro Kind bekommen und Hartz-IV-Familien 35 Euro mehr pro Kind zwischen 6 und 13 Jahren. Ist das hilfreich?

Buschkowsky: Ich gönne jedem einen Geldschein mehr in der Tasche. Aber es ist falsch zu glauben, dass man Bildungs- und Integrationspolitik dadurch erreicht, indem man den Menschen den Konsum erleichtert. Andere Länder investieren viel mehr direkt in die Infrastruktur und die Welt der Kinder, also in Schulen, Kindergärten, Vorschulen. In Deutschland wird das allermeiste Geld in die direkte finanzielle Förderung der Eltern gesteckt. Da kommt ganz viel Geld nicht bei der Förderung der Kinder an. Diese Geldscheinpolitik ist nicht förderlich. Anstatt das Kindergeld um zehn Euro zu erhöhen, hätte man die gesamte Vorschulerziehung der Bundesrepublik für alle Kinder kostenfrei machen können. Das wäre ein Meilenstein gewesen.

Morgenpost Online: Die Linke fordert ja, man solle die Hartz-IV-Sätze erhöhen, weil das Geld so direkt in den Konsum fließt.

Buschkowsky: Wir haben gerade in Bezirken wie Neukölln, wo Menschen eher schlecht qualifiziert sind, Probleme mit dem Lohnabstandsgebot. Unser Sozialsystem orientiert sich an der Kopfzahl einer Familie und ist nach oben offen. Wenn Sie eine große Familie haben, kommen Sie auch unter Hartz IV auf Leistungen, die Sie mit Ihrer Hände Arbeit nicht erzielen können. Das erschwert die Integration in den Arbeitsmarkt. Wir haben Schulen, wo fast kein Elternteil mehr arbeiten geht. In der Sozialisation der Kinder spielen Erwerbsleben und das Lernen für einen guten Beruf keine Rolle. Es ist schwer, jemanden in einen Job zu bekommen mit 1800 Euro brutto, wenn er gleichzeitig 2600 Euro vom Jobcenter überwiesen bekommt. Im Status des Facharbeiters lohnt es sich finanziell gesehen ab vier Kindern schon nicht mehr, arbeiten zu gehen.