Mietsteigerung

Wohnen in Berliner Toplagen so teuer wie in München

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Isabell Jürgens und Norbert Schwaldt

Die Schere zwischen den Berliner Bezirken wird immer größer. So werden bei Neuvermietungen in angesagten Lagen in Mitte bereits Spitzenpreise von 14 Euro pro Quadratmeter verlangt – das ist mehr als doppelt soviel als die Berliner Durchschnittsmiete. Für viele heißt die einzige Option: Wegziehen.

Die Freude an der 148-Quadratmeter großen Altbauwohnung im Hochparterre an der Großbeerenstraße in Kreuzberg währte genau vier Jahre. Im vergangenen Monat jedoch flatterte Robert und Julia H. ihre erste Mieterhöhung zu. „Exakt 20 Prozent mehr sollen wir jetzt zahlen, das sind 173 Euro jeden Monat“, sagt die 31-jährige Mutter zweier kleiner Kinder. Ihren vollständigen Namen möchte sie nicht im Internet lesen: „Wir überlegen gemeinsam mit den anderen Hausbewohnern, wie wir uns gegen diese Forderungen wehren können“, sagt sie. Sonst bliebe nur noch eine Option: Wegziehen.

Auch das könnte allerdings schwierig werden. Vor allem innerhalb Kreuzbergs: „Besonders rund um die Bergmannstraße beobachten wir bei Neuvermietungen erhebliche Preisanstiege“, sagt Roman Heidrich vom Immobilien-Beratungsunternehmen Jones Lang LaSalle (JLL). Mittlerweile seien Forderungen von „deutlich über sieben Euro pro Quadratmeter“ in dieser Lage durchaus üblich. Die Miete, die Neumietern abverlangt wird, ist damit fast doppelt so hoch wie die im Berliner Mietspiegel 2007 ausgewiesene Bestandsmiete.

Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Altmieter, weiß Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins. Die Preisentwicklung bei den Neuvermietungen treibt schließlich die Bestandsmieten in die Höhe. „In einzelnen angesagten Kiezen beobachten wir einen nahezu vollständigen Mieteraustausch innerhalb der vergangenen 15 Jahre“, sagt Vetter.

Die Preisentwicklung, die viele Mieter in Bedrängnis bringt, ist dagegen ein gewichtiges Argument für Investitionen im Immobilienbereich. Die am Mittwoch vorgestellte Studie „Residential City Profile Berlin“, in der Immobiliendienstleister JLL aufgeschlüsselt nach Postleitzahlen analysiert, wie sich die Mieten in den Berliner Kiezen entwickeln, richtet sich denn auch vor allem an Banken, Großinvestoren und Immobilienbesitzer.

Für den Berlin-Report haben die Experten Datensätze von 80.000 Neuvermietungen im ersten Halbjahr 2008 mit einer Gesamtfläche von 5,7 Millionen Quadratmetern ausgewertet. Das Ergebnis: „Am immer noch sehr günstigen Berliner Wohnungsmarkt kommen die Mieten langsam in Fahrt“, so Heidrich.

Obwohl die Hauptstadt gerade mal die Hälfte des durchschnittlichen Mietpreises von München erreicht, ist in einzelnen Toplagen bereits das hohe Niveau anderer Großstädte erreicht. So gibt es bei Neuvermietungen in angesagten Lagen in Berlin-Mitte schon Spitzenpreise von 14 Euro je Quadratmeter im Monat etwa in der Ackerstraße – deutlich mehr als die 6,05 Euro, die im Schnitt Mitte des Jahres in der ganzen Stadt verlangt wurden.

In seinem ersten Berlin-Report hat der Immobiliendienstleister JLL festgestellt, dass durch die teilweise deutlichen Mietpreissteigerungen an einzelnen Topstandorten die Bevölkerung in bislang wenig attraktive Stadtlagen wandert. „So können wir beobachten, dass Menschen aus Prenzlauer Berg in den Nachbarbezirk Kreuzberg-Friedrichshain ziehen, während die Friedrichshain-Kreuzberger nach Neukölln abwandern“, so Heidrich.

Den größten Sprung bei den Durchschnittsmieten innerhalb der vergangenen zwölf Monate machte mit 60 Cent je Quadratmeter der Stadtteil Mitte. Hier werden bei Neuvermietungen häufig schon mehr als zehn Euro je Quadratmeter verlangt.

Spitzenreiter Prenzlauer Berg

Im Stadtteil Prenzlauer Berg sind es mitunter schon deutlich mehr als 13,50 Euro. Besonders klar war der Mietanstieg in Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg, wo bei Neuvermietungen im Vergleich zu Mitte 2007 im Schnitt 0,35 Euro je Quadratmeter mehr verlangt werden. „Friedrichshain-Kreuzberg folgt der Entwicklung, wie sie in den letzten 15 Jahren in Prenzlauer Berg zu beobachten war“, berichtet JLL-Manager Heidrich. Dagegen sind Wohnungen in den Plattenbaubezirken Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg mit 4,60 und 5,40 Euro je Quadratmeter immer noch deutlich günstiger anzumieten.

In Lichtenberg, Neukölln und Tempelhof müssen Investoren mit stagnierenden und sinkenden Angebotsmieten rechnen.

Sanierte Altbauten sind angesichts des geringen Neubaus besonders gefragt, berichten die JLL-Experten. Sie heben auch hervor, dass Berlin im Vergleich mit den anderen deutschen Großstädten den höchsten Anteil von Single-Haushalten hat (rund 51 Prozent).

"Vor allem junge Leute zieht es angesichts des kulturellen Angebots und der Vielzahl an Hochschulen nach Berlin“, sagt Roman Heidrich. Im vergangenen Jahr waren 55 Prozent der Zuzügler jünger als 30 Jahre.

Bei den Leerständen ist Berlin unter den deutschen Großstädten weiter führend. 5,2 Prozent der 1,9 Millionen Wohnungen standen 2006 leer, die meisten in Marzahn-Hellersdorf (rund 14 Prozent).

350.000 Umzüge innerhalb Berlins

Vorteilhaft für die Anbieter von Mietwohnungen in attraktiven Wohnlagen wirken sich nicht nur die Zuzüge junger Menschen aus den anderen Bundesgebieten und dem Ausland aus, sondern auch die auffällige Mobilität der Berliner. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes über die „Binnenwanderung in Berlin 2007“ zogen von den 3,4 Millionen Hauptstädtern 350.000 innerhalb der Stadtgrenzen um.

Viele von ihnen täten das, so Mieterverein-Chef Vetter, weil sie mit der Mietpreisentwicklung in ihrem Kiez nicht mithalten können. Der Hinweis darauf, dass in anderen deutschen Großstädten wesentlich höhere Mieten als in der Hauptstadt verlangt werden, sei zudem wenig aussagekräftig: „Die Mietbelastung in Relation zum Einkommen ist in Berlin fast genauso hoch wie in München“, sagt Vetter. Geringverdiener müssten auch in Berlin bis zu 50 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen.

Vetter kritisiert, dass der Senat bislang mit Hinweis auf günstigen und freien Wohnraum in den Plattebau-Bezirken „nichts tut, um die ansässige Bevölkerung in den angesagten Kiezen zu schützen“.

Der Senat müsse wohnungspolitisch aktiv werden, um weitere soziale Entmischung zu verhindern, fordert deshalb auch

Franziska Eichstädt-Bohlig, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Auch wenn solche Studien vor allem eine unternehmensspezifische Mietenauswertung wiedergäben, seien die getroffenen Aussagen doch relevant für die gesamte Berliner Mietsituation. „Preisgünstige Mieten sind und waren ein Standortvorteil Berlins“, sagt die Stadtentwicklungs-Expertin. Berlin sei eine Stadt mit unterdurchschnittlichen Einkommen. „Soziale Mieten sind für die soziale Mischung existenziell, sie sind auch Grundlage für die Vitalität und Anziehungskraft unserer Stadt.“ Daher müsse der Senat endlich wohnungspolitisch aktiv werden.