Berlins Skandale

Pleiten, Pech und verschwundene Millionen

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Annette Kuhn
Gescheitert am Steglitzer Kreisel: Architektin Sigrid Kressmann-Zschach 1974 vor dem Untersuchungsausschuss des Berliner Senats

Gescheitert am Steglitzer Kreisel: Architektin Sigrid Kressmann-Zschach 1974 vor dem Untersuchungsausschuss des Berliner Senats

Foto: ullstein bild

Ein Buch erzählt die größten Skandale in Berlin. Es geht um Sex, Spionage, Bauprojekte und eine Badehose, die zum Verhängnis wurde.

Gold, so war der Name, aber um Gold ging es nicht. Oder doch: um goldene Worte, um Informationen. „Operation Gold“ stand für den Tunnelbau, den die CIA und der britische Geheimdienst in den 50er-Jahren von Rudow aus starteten, um unterirdische militärische Kommunikationskabel im sowjetischen Sektor anzuzapfen. Nur eine kleine Gruppe war in den Plan eingeweiht, aber ausgerechnet ein Doppelagent war dabei: der Brite George Blake, der den KGB von Anfang an über die Operation Gold informierte. Die Sowjets greifen aber erst einmal nicht ein. Blake durfte nicht auffliegen und dem KGB tat sich eine wunderbare Möglichkeit zur Desinformation auf.

Erst elf Monate nach Inbetriebnahme des Tunnels und eine halbe Million aufgezeichneter Gespräche später kam das Aus. In der Nacht vom 21. auf den 22. April 1956 legten sowjetische Soldaten das Ostende des Tunnels frei. Die Briten und Amerikaner gaben dem Wetter die Schuld, tagelang hatte es zuvor geregnet und so dachten sie, ein technischer Defekt am ostdeutschen Telefonsystem habe Fernmeldetechniker auf den Plan gerufen und den Spionagetunnel auffliegen lassen. Der Verrat durch George Blake kam erst fünf Jahre später ans Licht.

Skandale sind ein Spiegelbild der Normen und Werte

Die Operation Gold ist eine der größten und spektakulärsten Skandale in Berlin zu Zeiten des Kalten Krieges. Und es ist eine von 16 aufsehenerregenden Geschichten, die Regina Stürickow in ihrem neuen Buch „Skandale in Berlin“ erzählt. Affären, Blamagen und andere Sensationen, die sich in der Metropole zwischen 1890 und 1980 abspielten, hat sie darin zusammengetragen. Über manche Fälle kann man heute lächeln, andere würden noch immer Entgeisterung auslösen. „Skandale sind ein Spiegelbild der Gesellschaft respektive ein Spiegel ihrer Normen und Werte“, schreibt Stürickow.

Vor einem Jahr ist ihr Buch „Verbrechen in Berlin“ erschienen, nun hat sie sich erneut den dunklen Seiten der Stadt gewidmet und sich die Skandale vorgenommen. „Für die Geschichten der Stadt habe ich mich schon immer interessiert, schließlich bin ich ja selbst West-Berlinerin“, sagt Stürickow. Und in Berlin - von der kaiserlichen Reichshauptstadt über die aufstrebende Metropole zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Frontstadt des Kalten Krieges hätten sich Dinge ereignet, die anderswo unvorstellbar gewesen wären. Um das alles aufzudecken, hat sie über Monate in Zeitungs- und anderen Archiven geforscht. „Die Arbeit war wie ein Riesenpuzzle, durch die vielen Details hat sich schließlich alles zusammenfügt“, erklärt sie.

Bauskandale gibt es in Berlin nicht erst seit dem BER

Viele Skandale, die Stürickow beschreibt, sind heute in Vergessenheit geraten: Sexpartys mit politischen Folgen am kaiserlichen Hof, kompromittierende Fotos, Bestechungen, Kreditbetrug, Spionage, geplatzte Bauprojekte. Wiederholt haben sie sich in der Geschichte aber immer wieder. Vor allem skandalträchtige Bauprojekte begleiten die Hauptstadt bekanntlich bis heute. Vor BER und Staatsoper gab es aber schon andere Fälle. Zum Beispiel den Bau des Steglitzer Kreisels. Das damit verbundene Scheitern der Architektin Sigrid Kressmann-Zschach ist zugleich die Geschichte, die Stürickow neben den Spionage-Skandalen des Kalten Krieges am meisten fasziniert: „Es geht hier um eine faszinierende Frau, die ein Riesenunternehmen in einer Männerwelt aufgebaut hat und dabei gemobbt wurde.“

Ihre Firma Avalon gehörte in den 60er- und 70er-Jahren zu den erfolgreichsten Bauunternehmen der Stadt. Kressmann-Zschach baute überall in West-Berlin, auch so prominente Projekte wie das Kudamm-Karree. Zugleich war die Architektin ein Liebling der Boulevardpresse, sie liebte offenbar den Luxus und war auf jeder großen Party anzutreffen. Hinter vorgehaltener Hand tuschelte man freilich über ihr Privatleben. „Die Kressmann ist doch schon zweimal geschieden, mokiert man sich“, schreibt Stürickow.

Fotos dienen gern als Steilvorlagen für Diffamierungskampagnen

Kressmann-Zschachs Bauprojekte wurden indessen immer größer und stießen immer häufiger auf Widerstand. An ihrem größten Projekt, dem Steglitzer Kreisel, den sie als eine Art Shoppingmall nach amerikanischem Vorbild mit Büroturm darüber plante, scheiterte sie schließlich. Die ursprünglichen angesetzten Baukosten von 180 Millionen Mark lagen bald bei 323 Millionen Mark. Die Finanzierungslücke ließ sich nicht schließen. Im Oktober 1974 meldete die Bauherrin Insolvenz an. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, der später Klarheit in den Skandal bringen sollte, zeigte nicht nur, dass die Verantwortlichen von Anfang an nicht richtig gerechnet hatten, sondern auch, dass Sigrid Kressmann-Zschach, während der Kreisel geplant wurde, eine Affäre mit dem damaligen Stellvertreter des Finanzsenators, Klaus Arlt, hatte. Spätestens damit war er da, der Skandal.

Manchmal haben Politiker aber auch ganz unbewusst einen Skandal ausgelöst. Dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert ist das zum Beispiel bei einem privaten Badeausflug passiert. Drei Monate nachdem er 1919 zum Reichspräsidenten gewählt worden war, hatte er auf einer dienstlichen Rundreise durch Deutschland einen Abstecher an die Ostsee gemacht. Zufällig kam ein Fotograf vorbei und so landete das Staatsoberhaupt in Badehose bald auf der Titelseite der auflagenstarken Berliner Illustrirten Zeitung. Er, der Reichspräsident zusammen mit Reichswehrminister Gustav Noske knietief im Ostseewasser in Haffkrug bei Travemünde.

Politiker in Badehosen sind für ihr Ansehen eher zweifelhaft

Das an sich ist ja nicht so schlimm. Aber diese Badehosen! Damals geziemten sich auch noch für Männer Badeanzüge. Und außerdem: Waren das überhaupt Badehosen oder nicht doch abgetragene Unterhosen? Darüber diese Bäuche – durchtrainiert sieht anders aus. Und zwischen den beiden Männern hebt ein Dritter einen mit Seetang behangenen Dreizack aus dem Wasser. Eine staatsmännische Pose sieht anders aus. Für Eberts Kritiker war das eine Steilvorlage, um den Präsidenten als Witzfigur darzustellen. 200 Beleidigungsklagen strebte Ebert gegen die Verwendung des Fotos an, losgeworden ist er das Bild aber nicht mehr.

Auch hier scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Man denke nur an den früheren Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der 2001 mit der Kamera eingefangen wurde, als er mit seiner neuen Lebensgefährtin auf Mallorca im Wasser planschte, während sich seine Bundeswehrsoldaten daheim auf ihren Einsatz in Jugoslawien vorbereiteten. Weder Ebert noch Scharping haben wohl mit der Entrüstung gerechnet, die ihre Badefotos ausgelöst haben. Es sind eben oft die kleinen Dinge, die einen großen Skandal auslösen können.

Regina Stürickow: „Skandale in Berlin“, Elsengold Verlag, 19,95 Euro.