Die Spandauer Straße in Mitte ist nicht gerade ein beschaulicher Ort. Seit Jahren wird hier an der Erweiterung der U-Bahn gebaut. Fast unmerklich hat sich vor der Marienkirche seit einigen Tagen eine neue Baustelle hinzugesellt. An der Ecke Spandauer Straße/Karl-Liebknecht-Straße wird ein Bodendenkmal gebaut, das an das erste Wohnhaus der Familie Mendelssohn erinnert, das einst hier stand.
Der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn gilt als Vordenker der Berliner Aufklärung. Sein geistiges Erbe ist fest verankert, doch sichtbare Spuren seines Lebens gibt es kaum in der Stadt. Das soll sich nun mit dem Denkmal ändern.
Der Plan des israelischen Bildhauers Micha Ullman, der auch das Mahnmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz gestaltet hat, sieht vor, die Fassade des ersten Wohnhauses der Familie Mendelssohn gleichsam umgeklappt eins zu eins auf das Pflaster zu übertragen. 237.400 Euro soll die Gestaltung des Denkmals „Haus der Hoffnung“ kosten, die Finanzierung wird vom Programm zur Umgestaltung von Stadtplätzen getragen. Voraussichtlich im Juni wird das Denkmal enthüllt.
Orte, die an die Familie Mendelssohn erinnern
Moses Mendelssohn und seine Nachkommen haben Berlin stark geprägt, sie waren Banker, Philosophen, Künstler, Komponisten. Und noch heute ist die inzwischen in alle Welt verstreute Familie in den verschiedensten Bereichen aktiv. Einen Überblick über das Wirken dieser großen Familie gibt auch ein gerade erschienener Bildband „Die Familie Mendelssohn und ihre Gräber vor dem Halleschen Tor“ (Nicolai-Verlag, 29,90 Euro). Er verweist auch auf die Orte, die noch heute an die Familie Mendelssohn erinnern.
Die Berliner Morgenpost begab sich auf Spurensuche einer Dynastie:
Spandauer Straße 68
Das Haus, das nun als Bodendenkmal wiederauflebt, steht längst nicht mehr. Hier gründete Moses Mendelssohn seine Familie. Zehn Kinder hatte er, sechs davon überlebten. 1762, nach der Hochzeit mit der Hamburger Kaufmannstochter Fromet Gugenheim, zog er in das dreigeschossige Haus an der Spandauer Straße 68. Er selbst lebte schon seit 1743 in Berlin, wo er an der neu gegründeten Talmudschule studierte. Der Wegzug aus seiner Heimatstadt Dessau war für den 14-Jährigen zunächst nicht einfach, schließlich kam er aus ärmlichen Verhältnissen, und Hungerleider waren bei den jüdischen Gemeindevertretern in Berlin nicht gerade willkommen. Oberrabbiner David Fränkel brachte ihn bei einem Juden in der Probstgasse unter, dort lebte er in einer kleinen Dachkammer. 1750 bekam Moses Mendelssohn dann eine Stelle als Hauslehrer für die Kinder des Textilfabrikanten Isaak Bernhard und landete schon bald als Buchhalter in dessen Seidenfabrik. Wenig später wurde er dort Geschäftsführer und – nach dem Tod von Isaak Bernhard – Betriebsleiter und Teilhaber.
Das Geschäftsleben diente ihm vor allem dazu, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Denn sein eigentliches Interesse galt der Philosophie. Er lernte 1754 den Dichter Gotthold Ephraim Lessing und den Verleger Friedrich Nicolai kennen. Die drei Männer avancierten zum „Dreigestirn der Berliner Aufklärung“. 1767 erschien Mendelssohns Buch „Phädon. Über die Unsterblichkeit der Seele“, ein Bestseller. Nach seinem Tod 1786 wurde das Haus im Jahr 1800 verkauft. 1886 musste es einem Hotelkomplex weichen. Und das Hotel wiederum – oder was von ihm übrig geblieben war – wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. Als einziges Erinnerungsstück an Moses Mendelssohn blieb eine zwei Meter breite Marmortafel, die 1829 zu seinem 100. Geburtstag über der Eingangstür angebracht wurde. Heute ist die Tafel als Dauerleihgabe in der Mendelssohn-Ausstellung auf dem Dreifaltigkeitskirchhof I in Kreuzberg zu sehen. Als weitere Erinnerung an das Haus wird es nun bald das Bodendenkmal geben. Ein Fenster soll sich dabei farbig abheben, es markiert das Arbeitszimmer von Moses Mendelssohn, in dem immer bis spät in die Nacht Licht brannte, weil der Philosoph gerne lange am Schreibtisch saß.
Jägerstraße 51
Heute hat hier die Mendelssohn-Gesellschaft ihren Sitz und bietet Einblick in die Geschichte der Familie in Berlin. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Bankiers, schließlich war in der Jägerstraße das Stammhaus der Mendelssohn-Bank, früher einmal die größte Privatbank Berlins. 1795 wurde das Bankhaus Mendelssohn & Co. von Joseph Mendelssohn gegründet, 1815 zog es an die Jägerstraße. Inzwischen war auch der Bruder Abraham Mendelssohn ins Geschäft eingestiegen. Das Geldinstitut expandierte schnell, bald besaß die Familie an der Jägerstraße sechs Häuser. Darüber hinaus gründeten die Brüder Stiftungen, förderten Wissenschaft und Kultur. Ein jähes Ende erlebte die Bank Ende 1938, als sie durch die Nationalsozialisten liquidiert wurde und das Gebäude dem Reichsfinanzministerium zufiel. Den Geschäftsverkehr von Mendelssohn & Co. übernahm die Deutsche Bank. Die Ausstellung „Die Mendelssohns in der Jägerstraße“ ist täglich von 12 bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.
Leipziger Straße 3
Das heutige Bundesratsgebäude in Mitte, früher das Reck’sche Palais, bewohnte Abraham Mendelssohn mit seiner Familie. Er war inzwischen zum Christentum konvertiert und hatte dabei den Beinamen Bartholdy angenommen. Der Gartensaal des Palais diente Abrahams Tochter Fanny Mendelssohn Bartholdy, später Hensel, als Ort für ihre „Sonntagsmusiken“. Diese Konzerte, bei denen auch Werke der jungen Komponistin und ihres ebenfalls komponierenden Bruders Felix Mendelssohn Bartholdy aufgeführt wurden, entwickelten sich zu einer wichtigen kulturellen Institution in der Stadt.
Villa Oppenheim
An der Schloßstraße 55 in Charlottenburg befindet sich heute das Museum Villa Oppenheim. Ursprünglich stand hier die „Villa Sorgenfrei“, die Alexander Mendelssohn, ein Enkel von Moses Mendelssohn und Teilhaber des Bankhauses, 1844 als Sommersitz für seine Familie erworben hatte. Später ließ Alexanders Tochter Margarete hier die Villa Oppenheim bauen, sie heiratete den Industriellen Franz Oppenheim, daher der Name des Hauses. Die Ausstellung „Sorgenfrei“ gibt Auskunft über die Baugeschichte des Hauses und über ihre Bewohner, die Mendelssohns und die Oppenheims. Geöffnet hat sie dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen von 11 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Große Hamburger Straße
Vier Kinder von Moses Mendelssohn konvertierten zum katholischen oder evangelischen Glauben, deshalb liegen die Nachkommen auf verschiedenen Friedhöfen. Moses Mendelssohn wurde 1786 auf dem alten jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße in Mitte beigesetzt. 1943 verwüsteten SS-Leute den Friedhof und zertrümmerten Grabsteine, auch den von Mendelssohn. Nach Kriegsende diente der Platz als Massengrab für gefallene Soldaten und Zivilisten. In den 70er-Jahren wurden die letzten verbliebenen Grabsteine entfernt. Als symbolisches Grabmal wurde einzig das von Moses Mendelssohn wiederhergestellt.
Dreifaltigkeitsfriedhof I
Auf dem Friedhof in Kreuzberg ruhen neben anderen Familienmitgliedern der Bankier Abraham Mendelssohn Bartholdy mit seiner Frau Lea sowie seinen Kindern Fanny und Felix Mendelssohn Bartholdy. In der ehemaligen Friedhofskapelle wird seit 2013 eine Dauerausstellung zur Familie Mendelssohn gezeigt. Die Ausstellung ist täglich von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Zu ihr gelangt man über den Friedhof Jerusalem an der Zossener Straße, an dessen Ende sich links ein Durchgang zum Friedhof Dreifaltigkeit I befindet.

Foto: Amin Akhtar