Erinnerung

Riesige Fotos zeigen das zerstörte Berlin nach dem Weltkrieg

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Stefan Kirschner

Fast sechs Meter hoch, 18 Meter breit: Eine riesige Fotowand am Alexanderplatz erinnert an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren. Zu der Aktion gehören weitere Freiluft-Ausstellungen.

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„Frühling in Berlin“ klingt so harmlos. Aber schließlich soll es in dieser Ausstellung ja um Normalität gehen. Um den Alltag in Zeiten des Ausnahmezustandes. Der Mai 1945 war nicht irgendein Monat in der Metropole, die in diesen Tagen am Boden lag: Eine Ruinenstadt mit vielen Obdachlosen (eine halbe Million Wohnungen waren zerstört), Flüchtlingen, Soldaten. Kinder suchen ihre Eltern. Frauen wissen nicht, ob ihr Mann noch lebt. Die Menschen hungern. Vom einstigen Glanz der Reichshauptstadt war nach den vielen Bombenangriffen und und der schlussendlichen Eroberung durch die Rote Armee, die am 21. April die Berliner Stadtgrenze erreichte und sich dann Straßenzug für Straßenzug zum Regierungsviertel vorkämpfen musste, weil einige im Führerbunker noch vom „Endsieg“ träumten. Am 2. Mai war der Spuk vorbei, der Kampf um Berlin zu Ende.

Am Mittwoch eröffnete Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) auf dem Alexanderplatz die Open-Air-Ausstellungen zum 70. Jahrestag des Kriegsendes in Berlin. Müller enthüllte ein riesiges Panorama – das Foto ist gut fünf Meter hoch und über 15 Meter breit –, indem er an einem „Strick“ zog, wie ein Mitarbeiter ankündigte. Dem fiel schnell der sprachliche Fauxpas auf, er redete dann von einem Seil – an Stricken waren schließlich unter anderem Deserteure von den Nazis aufgehängt worden.

Das Panorama auf dem Alexanderplatz ist eine von sechs Stationen, die anderen befinden sich bis zum 26. Mai am Brandenburger Tor, am Potsdamer und Joachimsthaler Platz, am Lustgarten und am Wittenbergplatz. Passend zum jeweiligen Ort gibt es einen thematischen Schwerpunkt. Am Alex geht es beispielsweise um Versorgung, Ernährung und den Schwarzmarkt – auf der Rückseite des Fotos werden diese Aspekte in kurzen, zweisprachigen Texten angerissen. Wer vor dem Panorama steht, hat einen reizvollen Vergleich von einst und jetzt: Das Bild zeigt den Alexanderplatz Anfang Mai ’45: Ein Trümmerfeld, Berolina- und Alexanderhaus sind ebenso zerstört wie die Dachkonstruktion des S-Bahnhofes, einige Passanten sind zu sehen und Laster der Roten Armee. Schaut man am Bild vorbei, sieht man die wieder aufgebauten Häuser auf der einen und die Neubauten auf der anderen Seite.

Zugleich zeichnet das Deutsche Historische Museum in seiner Ausstellung „1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang“ – von diesem Freitag an (bis 25. Oktober) das Geschehen in zwölf Ländern nach – vom Zeitpunkt der deutschen Kapitulation bis zum politischen Wiederaufbau. Mit mehr als 500 Objekten, Dokumenten und Schautafeln sowie Ton- und Bildzeugnissen will die Schau den Zustand Europas nach sechs Jahren Krieg, deutscher Besatzung und Verfolgung dokumentieren, wie Kuratorin Maja Peers sagte.

Gleich im Eingang begegnen dem Besucher Original-Radiostimmen, die das Kriegsende in verschiedenen Sprachen verkünden. Dahinter öffnen sich von einem großen Raum aus die Wege sternförmig zu den einzelnen Ländern. Weiß-gestrichelte Linien auf dem Boden sollen an jene Grenzen erinnern, die Nazi-Deutschland real und brutal durchbrach.

Jedem Land widmet die Ausstellung ein Kapitel. Neben Deutschland gehören dazu die Nachbarländer sowie Norwegen, Großbritannien und die damalige Sowjetunion. Die unterdrückten Staaten liegen im Halbkreis: „Wir wollen keine Hierarchien schaffen“, keine Rangfolge des Leidens, begründete Kuratorin Peers die Anordnung.

Ausdrücklich will die Ausstellung nicht von einer „Stunde Null“ sprechen. Am Beispiel von Zeitzeugen und Protagonisten sollen Brüche und Kontinuitäten dargestellt werden – etwa der Umgang mit den Angehörigen des Widerstands, den Nazis und Kollaborateuren.

Deutlich wird das etwa bei einem Wahlplakat der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Ein „Österreicher erster Klasse“ reicht einem Mann mit der Inschrift „NS-Problem“ auf der Jacke und als „Österreicher zweiter Klasse“ eingestuft, die Brücke „Gleichberechtigung“ über einen Graben. „Sie reden vom ewigen Frieden und wollen den ewigen Hass“, heißt es zu den daneben feixenden Sozialisten und Kommunisten.

Für Deutschland türmen sich Akten des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses; die „Fallschirm-Ausgabe“ eines Alliierten-Wurfblattes ruft die Menschen dazu auf, die Waffen niederzulegen. In einem blauen Metallwagen wurde die neue Währung transportiert, ein unbelasteter Berliner Verwaltungsbeamte durfte die Armbinde „Magistrat Charlottenburg“ tragen.

Ausstellung hat auch schmerzliche Lücken

Stellvertretend für die Deutschen steht etwa die Apothekerin Wilhelmine Schirmer-Pröscher, die in der DDR Karriere machte und 1971 Alterspräsidentin der Volkskammer wurde. Oder der SS-Mann Karl Schulz. Der ehemalige Kriminalkommissar wurde wegen Verbrechen im Konzentrationslager Mauthausen verurteilt, nach Untersuchungshaft und Straferlass aber bald auf wieder freien Fuß gesetzt.

Die Ausstellung hat aber auch schmerzliche Lücken. Weder Italien, Griechenland noch die Balkanländer sind ein Thema – aus Platzgründen, wie Kuratorin Peers sagte. Bei Griechenland ist das angesichts der aktuellen Debatte um Reparationszahlungen besonders auffällig. Und auch die „Achsenmacht“ Italien hätte wegen der Nachkriegskonflikte mit den Faschisten gut dazu gepasst.

DHM, Hinter dem Gießhaus 3, 10117 Berlin, „1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang. Zwölf Länder Europas nach dem Zweiten Weltkrieg“, 24. April bis 25. Oktober 2015, Öffnungszeiten: täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr, Eintritt bis 18 Jahre frei, 8 Euro, ermäßigt 4 Euro.

( mit dpa )