In seinem Roman „Ehrenfried & Cohn“ erinnert Uwe Westphal an die jüdischen Konfektionäre im Berlin der 30er-Jahre. Das Buch ist das Porträt einer Industrie, die unterging.

Irgendwann mache ich da was draus. Mit diesem Satz beginnt es oft. Auch bei Uwe Westphal und seinem ersten Roman „Ehrenfried & Cohn“. Uwe Westphal, gebürtig aus Nordrhein-Westfalen, studierte in Berlin an der Hochschule der Künste Kommunikationswissenschaften. Seit 1986 arbeitete er als freier Journalist, in Berlin, London und New York. Gleich zu Anfang seiner Laufbahn schlug eine Redaktion vor: „Mach doch mal was über Mode!“ Uwe Westphal lacht: „Ich kam quasi zu diesem Thema wie die Jungfrau zum Kinde.“ Er tauchte ein in die Szene, machte sich mit den Berliner Modehäusern und Konfektionären vertraut und fand immer mehr Kontakte. Irgendwann kam die Frage auf: Was passierte in Berlin eigentlich während der Nazizeit? Die jüdischen Konfektionäre prägten in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Szene, setzten Trends, machten Mode.

Besuche in Israel und den USA

Westphal fing an, intensiv in diese Richtung zu recherchieren. „Ich habe Suchanfragen aufgegeben, jüdische Konfektionäre gesucht, die mir über die damalige Zeit berichten können“, sagt der 64 Jahre alte Journalist. Die Resonanz, die er erzielte, war enorm. „Viele haben sich bei mir gemeldet. Und ich habe diese Menschen dann besucht.“ Die Reise führte ihn nach Israel, nach Großbritannien, in die USA. Die ehemaligen Berliner Konfektionäre überreichten ihm Dokumente, erzählten ihm Geschichten und Westphal sammelte und sammelte. Er erfuhr viel über die gezielte Verfolgung und Enteignung von Juden in Deutschland während der Nazizeit. „Im Archiv der alten Oberfinanzdirektion habe ich dann die gesamten Dokumente gefunden, alles, was ich bisher nur aus den Erzählungen kannte“, sagt Uwe Westphal. „Da war die Arisierung dokumentiert.“

Eine fiktive Geschichte über eine wahre Zeit

Aus diesen gesammelten Informationen entstand noch 1986 das Buch „Berliner Konfektion und Mode 1936–1939. Die Zerstörung einer Tradition“ (Edition Hentrich). „Heute ein Standardwerk für Mode und Designstudenten“, wie Uwe Westphal sagt. Und immer war da dieser Satz in seinem Kopf: Irgendwann mache ich da mal was draus. Eine fiktive Geschichte über eine wahre Zeit. Einen Roman.

Irgendwann ist jetzt. „Ehrenfried & Cohn“ ist eine fiktive Geschichte, basierend auf all den Tatsachenberichten, die Uwe Westphal in Israel, New York und England zu hören bekommen hat. „Es geht darin um die Firma Ehrenfried & Cohn an der Berliner Mohrenstraße, die es so natürlich nicht gegeben hat, die aber stellvertretend steht für sehr viele jüdische Konfektionäre, bei denen es genau so gelaufen ist“, sagt Uwe Westphal.

Modenschau kurz vor den Olympischen Spielen

Der Roman entführt in das Berlin von 1935. Die beiden jüdischen Modedesigner Kurt Ehrenfried und Simon Cohn haben es geschafft. Denn während Paris die Hauptstadt der Mode ist, hat sich Berlin zum Zentrum des Prêt-à-porter entwickelt – der günstigen Variante der Haute Couture für die Kaufhäuser. Tragbare Mode „von der Stange“. Ehrenfried und Cohn stehen zu diesem Zeitpunkt vor ihrem größten Erfolg: Eine viel beachtete, sensationelle Modenschau kurz vor den Olympischen Spielen.

Doch die wachsende Gewalt und der Hass gegen Juden bedrohen den Erfolg von Ehrenfried & Cohn immer mehr. Gute Freunde werden über Nacht zu Feinden. Simon Cohn, schwuler Partner und Topdesigner der gemeinsamen Firma, flieht schließlich nach Palästina. Doch Ehrenfried bleibt. Er klammert sich an seinen Traum, in Berlin das berühmteste Konfektionshaus zu leiten. Doch dann muss er in letzter Sekunde doch fliehen.

Wie die Nazis der Berliner Mode den Todesstoß versetzten

„Die Handlung spielt zwischen Juni 1935 und Frühjahr 1936. Es deckt die damalige Zeit in allen seinen Facetten ab: Gut, böse – aber auch die vielen Grauzonen, die es damals eben gab“, sagt Westphal. Auf gut 100 Seiten hat er niedergeschrieben, wie „die Berliner Mode den Todesstoß durch die Nazizeit bekommen hat“. Ein Porträt einer Industrie, die leider unterging. „Ich habe mal recherchiert: Es gab zur damaligen Zeit etwa 1000 wichtige Betriebe mit geschäftsführenden Konfektionären. Es war wirklich eine sehr lebendige Industrie“, sagt Uwe Westphal.

Wunsch nach Veränderung

Sein Sachbuch über die Mode Berlins hat damals viel bewirkt. „Viele Rechtsanwälte haben sich das Buch gekauft und im Namen der Betroffenen geklagt. Da wurden tatsächlich Entschädigungen gezahlt“, sagt Uwe Westphal, der 1989 Berlin verließ und bei BBC in London und CBS in New York gearbeitet hat. Seine umfangreichen Recherchematerialien sind heute als „Uwe Westphal Collection“ im New Yorker Leo-Baeck-Institut zugänglich. Heute hat Uwe Westphal seine eigene Firma für Videoproduktionen mit Sitz in London und Berlin.

Auch der Roman sollte etwas verändern. Das jedenfalls wünscht sich Uwe Westphal. „Bis heute erinnert niemand an die damalige Zeit.“ Ein Denkmal für die jüdischen Konfektionäre gibt es auf dem Hausvogteiplatz in Berlin. Initiiert hat es Uwe Westphal. Nicht die Modeindustrie. „Ich finde schon, dass die heutigen Designer in Berlin an ihre Urväter erinnern könnten. Wie wäre es mit einem Designerpreis?“, schlägt Uwe Westphal vor. Vielleicht macht da ja irgendwann mal jemand was draus.

Buchvorstellung und Lesung: „Ehrenfried & Cohn“ (erschienen im Lichtig Verlag) mit Uwe Westphal im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin, Kulturforum, Matthäikirchplatz. Dienstag, 10. März, 18.30 Uhr. Eintritt frei.