Start-ups entdecken die Gesundheit und entwickeln digitale Produkte, die Menschen ein besseres Leben ermöglichen und die Kosten im Gesundheitswesen senken. Experten über den Schlüssel zum Erfolg.
Stationäre oder ambulante Behandlung – das war in der Vergangenheit die Frage, die Ärzte ihren Patienten beantworten mussten. Künftig gibt es eine dritte Option: die Behandlung mit Hilfe des Internet. Immer mehr Start-ups entdecken den Bereich Gesundheit und entwickeln digitale Produkte, die Menschen ein besseres Leben ermöglichen und die Kosten im Gesundheitswesen senken. Doch wo liegt der Schlüssel zum Erfolg? Diese Frage beantworten Investoren, Gründer und andere Experten.
Der Markt an Gesundheits-Apps ist unüberschaubar geworden: Wer im iOS-App-Store das Suchwort „Diabetes“ eingibt, der erhält knapp 800 Treffer. Fragt man nach „Blutdruck“, werden 350 Apps angezeigt. Bei dieser hohen Zahl an Konkurrenten muss ein Start-up schon sehr originell sein, wenn es sich behaupten will.
Eine App alleine macht noch kein erfolgreiches Gesundheit-Start-up. Emperra dagegen ist ein gutes Beispiel wie man Medizinprodukte und mobile Apps miteinander zu einem tragfähigen Geschäftsmodell entwickeln kann. Das Potsdamer Unternehmen hat ein telemedizinisches Management-System für insulinpflichtige Zuckerkranke (Diabetiker) entwickelt, welches es erlaubt, sowohl die Blutzuckerspiegel als auch die verabreichte Insulindosis drahtlos an ein Online-Portal zu übertragen.
Das erlaubt das lückenlose Montoring eines zuckerkranken Patienten. Die übertragenen Daten sind über eine mobile App oder über den PC für den Patienten und wenn er das will, auch vom Arzt oder Verwandten einsehbar und vernetzt die Parteien. Die durch die App visualisierten Informationen unterstützen den Patienten bei der Umsetzung seiner Therapie.
Kosten senken und die Therapie verbessern
„Innovationen im Bereich Healthcare werden dann erfolgreich sein, wenn sie Behandlungskosten senken und gleichzeitig die Therapie oder Diagnose verbessern“, sagt Dr. Klaus Stöckemann. Er ist Geschäftsführer der Peppermint Venture Partners (PVP), einem Berliner Risikokapitalgeber im Gesundheitswesen. In diesem Sommer hat PVP zusammen mit anderen Investoren 2,6 Millionen Euro in Emperra investiert.
Investitionen in Apps alleine hält er dagegen für problematisch, da eine Kundenbindung nicht einfach zu erreichen ist. Gratis-Apps gelten häufig als Wegwerfprodukte. Und kostenpflichtige Programme haben sich noch nicht durchgesetzt. Apps sind zudem leicht zu kopieren – und deswegen lässt sich häufig damit alleine kein nachhaltiges Geschäftsmodell entwickeln, es sein denn man erreicht eine sehr große Zielgruppe die von der Nutzung der App profitieren kann.
Chancen nur für einzigartige Produkte
„Nur mit Exklusivität ist Geld zu verdienen“, sagt auch Dr. Markus Müschenich. Er ist Kinderarzt, Gründer und Investor und kennt als früherer Krankenhaus-Manager das traditionelle Gesundheitswesen. Chancen auf Wagniskapital und damit auf Chancen am Markt haben nach seinen Worten nur Start-ups, die einzigartige Produkte entwickeln.
Als Beispiel nennt er das Start-up Caterna, eine Online-Sehschule aus Berlin für Kinder mit Sehschwäche (Amblyopie). Durch den Einsatz eines Computerprogramms kann bei Kindern die Wirkung des Auge-Abklebens gesteigert werden. Die Online-Therapieplattform basiert auf Erkenntnissen, die an der Universität Dresden gewonnen wurden, und begleitet die augenärztliche Therapie.
Fokus auf digitale Therapie
„Wir legen unseren Fokus auf digitale Therapie über das Internet“, sagt er. Hier sehe er enorme Wachstumschancen. Müschenich hat die Start-up-Manufaktur Flying Health gegründet, die mehr sein möchte als nur ein Brutkasten (Inkubator) für innovative Ideen. Dort sollen Produkte entstehen, „die für alle Patienten erreichbar sind“, also von Krankenkassen bezahlt werden. Ausgewählte Start-ups sollen gefördert, aber nicht ausgenutzt werden.
„Chancen auf einen Erfolg haben Produkte, die dem Menschen ein gesünderes Leben ermöglichen“, sagt Ulli Jendrik Koop. Er ist Vorstand von XLHealth, einem Berliner Unternehmen, das sich als Inkubator, Accelerator und Investor für smarte Innovationen im Gesundheitswesen versteht. „Smartphone-Apps, die im Zuge der Quantified Self-Bewegung als Gesundheitsmonitore zur Selbstoptimierung oder als Therapiebegleiter für chronisch Kranke fungieren, sind dafür gute Beispiele“, sagt er. Erste Investments des Mitte 2013 gegründeten Unternehmens stehen unmittelbar bevor.
Appell an Gründer zum Querdenken
Was ist Start-ups zu raten, die in dieser komplizierten Gemengelage an Innovationen arbeiten? Koop ermutigt zum Querdenken: „Gründer sollten sich von bisweilen schwierigen Rahmenbedingungen nicht abschrecken lassen“. Wer eine innovative Idee zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit konsequent verfolge, werde Erfolg haben. „Jetzt ist die Zeit, zukünftige Rahmenbedingungen selbst zu schaffen“, sagt Koop.
Für Müschenich sollte die Gründer ihren Fokus auf die digitale Therapie legen. Seine Zukunftsvision lautet: „Behandlung durch Software“. Bits und Bytes seien die Medikamente der Zukunft, sagt er.
Eigene Gesundheit aktiv in die Hand nehmen
Entrepreneure im Gesundheitsbereich haben gegenüber anderen Erfindern einen großen Vorteil. „Ihre Erfindungen nützen der Menschheit“, sagt Stöckemann. Auch Koop findet, das Besondere an Unternehmen im Bereich Digital Health sei, dass sie motiviert sind, die Gesundheit von Menschen und damit die Welt ein Stück weit zu verbessern. Die Gratis-Mentalität vieler Deutscher in Fragen des Gesundheitswesens macht den Start-ups ihre Arbeit nicht immer einfach, wie Koop sagt. „Die Verbraucher sind es oft nicht gewohnt, für medizinische Leistungen zu bezahlen“.
Gleichzeitig gebe es aber immer mehr Menschen, die für den Erhalt ihrer Gesundheit Geld ausgeben und aktiv vorsorgen. „Hieraus erwächst zunehmend die Chance, gesundheitsbewussten Menschen mit innovativen Digital-Health-Lösungen die Möglichkeit zu bieten, ihre Gesundheit aktiv in die Hand zu nehmen.“