Studie

Wie Berlin zur führenden Start-up-Metropole Europas wird

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Jürgen Stüber

Foto: wooga

Schon heute gibt es in Berlin mehr Gründungen als in jeder anderen deutschen Stadt. Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey zeigt, wie Berlin Gründer-Metropole Nummer eins in Europa werden kann.

Die Hauptstadt hat gute Voraussetzungen, sich zur der führenden Gründermetropole in Europa zu entwickeln. Bis zum Jahr 2020 können in Berlin über 100.000 neue Arbeitsplätze durch Start-ups entstehen, so eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey & Company (Link zur Studie) mit dem Titel „Berlin gründet – Fünf Initiativen für die Start-up-Metropole Europas“. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) brachte bei der Präsentation der Studie das Areal des Flughafens Tempelhof als neuen Start-up-Campus ins Gespräch.

Die Studie fordert eine „Neue Berliner Gründerzeit“. Studierende und Professoren sollen mehr für das Thema Gründung begeistert werden. „In den USA kommen auf 100 Professoren 13 Gründungen. In Berlin sind es nur drei“, unterstrich McKinsey-Partner Christian Malorny. Er schlägt bessere Anreizsysteme für Mitarbeiter in Forschungsinstituten und insbesondere in Hochschulen vor, spezifische Auszeichnungen für gründungsstarke Professoren oder Forschungsinstitute sowie eine Ausweitung des bereits existierenden Businessplan-Wettbewerbs Berlin-Brandenburg. „Wir wollen an die alte Tradition als Gründerstadt anknüpfen“, kommentierte Wowereit diesen Vorschlag. Hierbei könne Berlin Modellstadt für andere Metropolen werden, sagte Katrin Suder, Leiterin des Berliner McKinsey-Büros. „Aber dazu bedarf es einer neuen Gründungsdynamik.“

Der zweite Vorschlag zielt auf die Schaffung einer „One-Stop-Agentur Berlin“, also einer zentralen Anlaufstelle für alle Gründerfragen. Das könnte eine mehrsprachige „Start-up-Serviceagentur“ sein – insbesondere um ausländischen Gründern zu helfen. Als Soforthilfe würde ein Onlineportal mit einem Überblick über alle relevanten Dienstleistungen von Behörden und Institutionen für Transparenz sorgen.

McKinsey fordert Gründer-Campus

Ungeachtet vorhandener Angebote schlägt McKinsey einen „Berliner Gründer-Campus“ vor – zentral gelegene Büroflächen für Start-ups und Wagniskapitalgeber. Dort solle es Coaching-Angebote für wachsende Unternehmen und eine Koordinationsstelle zur besseren Vernetzung geben. Zur Idee, Flughafengebäude in Tempelhof könnten zum Standort des neuen Campus werden, sagte Wowereit: „Ich halte davon sehr viel. Das ist ein symbolträchtiger Ort, der der Berliner Start-up-Szene ein Branding schaffen könnte.“

Ein „Start-up-Fonds Berlin“ mit einem Volumen von 100 Millionen Euro – der vierte Vorschlag – solle Kapital für wachsende Start-ups zur Verfügung stellen. Der Fonds solle die problematische Lücke zwischen Investitionen in der Früh- und der Reifephase von Unternehmen schließen. Er wird als Angebot für junge Unternehmen mit einem Kapitalbedarf ab drei Millionen Euro beschrieben. Als Kapitalgeber kommen vor allem Konzerne und Mittelständler in Frage. „Das Thema fällt auf fruchtbaren Boden. Denn etablierte Unternehmen brauchen die Ideen der innovativen Unternehmen. Es hat bereits erste Gespräche gegeben“, sagte Malorny. Der Fonds könne in einem bis anderthalb Jahren an den Start gehen und auch für private Kapitalanleger interessant werden.

Senat soll Berliner Gründer-Netzwerk knüpfen

Ein „Berliner Gründernetzwerk“ im Sinne einer Taskforce – Vorschlag fünf – könnte etablierte Unternehmen mit Gründern zusammenbringen. Hier sind Aktivitäten in London beispielgebend. Gegründet 2011 und ausgestattet mit einem Jahresbudget von umgerechnet 2,1 Millionen Euro hat die dortige zentrale Anlaufstelle dazu beigetragen, dass die Zahl der Start-ups in der britischen Hauptstadt auf 1300 gestiegen ist. Eine solche „Delivery Unit“ als zentrale Koordinierungs- und Anlaufstelle soll auch Berlin erhalten. Ihr könnten Mitarbeiter aus der Privatwirtschaft und der Verwaltung angehören. Eine ihrer Aufgaben wäre die Verzahnung mit bestehenden Institutionen und die Einbindung politischer Entscheidungsträger, erläuterte Christian Malorny. Wowereit sieht im Aufbau dieser Einheit die nächste zu realisierende politische Aufgabe. Allerdings sei das noch „ein Stück Arbeit“. Katrin Suder ergänzte: „Wir brauchen die gebündelte Kompetenz.“

Der Fokus der Initiativen sollte der Studie zufolge auf den Segmenten digitale Geschäftsmodelle, Bio- und Medizintechnologie sowie den so genannten Urban Technologies liegen. Diese umfassen die Segmente Cleantech, Elektronik und Mobilität, also Geschäftsmodelle, die sich an dem Thema „Stadt der Zukunft“ orientieren.

Hier gibt es allerdings noch viel zu tun. Zwar verzeichnet Berlin bei der Gründungszahl im Digitalsektor starke Zuwachsraten von durchschnittlich zehn Prozent jährlich. Die Gründungen bei der Bio- und Medizintechnik sind allerdings leicht rückläufig (minus zwei Prozent). Und bei den urbanen Technologien gibt es nur ein leichtes Plus von einem Prozent pro Jahr.

Bereits heute hat sich die Stadt zum Top-Standort für Gründer in Deutschland entwickelt. Auf eine Betriebsgründung in München kommen nach den Analysen von McKinsey 2,8 in Berlin. Die Erwerbstätigendynamik, also der relative Anstieg der Beschäftigtenzahlen im Jahresvergleich, sei in Berlin 1,6-fach höher als in München. 2012 hätten Wagniskapitalgeber in Berlin 133 Millionen Euro in Start-ups investiert, in Baden-Württemberg hingegen nur 24 Millionen Euro, in Bayern 19 Millionen Euro und in Hamburg 14 Millionen Euro. Berlin zählt der Studie zufolge zu den obersten fünf Prozent der Regionen Europas beim Zuzug neuer Unternehmen.

Von New York, London oder Tel Aviv lernen

„Um jedoch zu den international führenden Start-up-Standorten aufzuschließen, muss Berlin seine guten Potenziale noch stärker nutzen“, sagte Katrin Suder. Berlin kann McKinsey zufolge von den Erfahrungen anderer Gründungszentren wie New York, London oder Tel Aviv lernen. Dort wurden in den vergangenen Jahren groß angelegte Programme zur Stärkung der städtischen Gründerszene gestartet. Vor allem London mit seiner „Tech City“ ist beispielgebend für Berlin.

Aufholpotenzial durch Vernetzung

Suder erklärte: „Bei der Förderung von Gründern und Talenten, bei der Kapitalbeschaffung für Gründer in der Wachstumsphase sowie bei der Vernetzung der Start-ups mit etablierten Unternehmen kann Berlin noch besser werden.“ Gelinge dies, könne Berlin im Wettbewerb der europäischen Top-Gründungsstandorte von aktuell Platz fünf hinter Tel Aviv, London, Paris und Moskau deutlich aufholen. Im globalen Vergleich der Start-up-Metropolen rangiert Berlin derzeit auf Platz 15.

Wowereit kündigte Initiativen mit den Wirtschaftsfördereinrichtungen, Kammern, Verbänden, etablierten Unternehmen und den Start-ups an, „um die führende Start-up-Metropole Europas zu werden.“ Dabei komme der Marketing-Organisation Berlin Partner sowie der Industrie- und Handelskammer eine wichtige Rolle zu, die dazu ein neues Geschäftsfeld geschaffen habe.

McKinsey erstellt Studie in Eigeninitiative

Bis 2020 könnten in Berlin auf diese Weise über 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen – rund 40.000 in den Start-ups selbst und 60.000 über den so genannten Multiplikatoreneffekt, demzufolge jeder neue Arbeitsplatz die Basis schafft für weitere Beschäftigungsverhältnisse. Wowereit bezeichnete dieses Ziel, mit dem die Berliner Gründerszene die Nummer eins in Europa werden können, als „ambitioniert“.

Jens Begemann, Gründer des Spieleentwicklers Wooga und einer der erfolgreichsten Berliner Newcomer, bezeichnete Berlin als ein erfolgreiches Ecosystem, das sich aber an vielen Stellen noch beschleunigen lasse. Er identifizierte aber einen Zyklus von Problemen: „Zu wenig skalierbare innovative Ideen, die Kapital anziehen; demzufolge zu wenig Wachstumskapital und daraus resultierend zu wenige Unternehmensverkäufe“. Wegen der geringen Zahl solcher Exits gebe es zu wenig neue Investoren, die ihr Kapital wiederum in Start-ups investierten. In New York habe es bis 2012 insgesamt 185 bis 242 Exits gegeben, in London 96 bis 141 – in Berlin nur 14 bis 18.

McKinsey hat die Studie „Berlin gründet“ ohne externe Beauftragung oder Bezahlung auf Eigeninitiative in enger Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat erstellt.