Gründerzeit

Wenn Start-ups ihrer Zeit weit voraus sind

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Hans Evert

Foto: Reto Klar

So manchem Start-up bleibt der Erfolg versagt. Zwei Geschichten von Berliner Gründern, die hinfielen und dennoch weiter machen.

Die Geschichte klingt einfach zu gut. Sieben Berliner Studenten gründen eine Firma. Zunächst ist es nur ein Projekt, das ihr Studium mit dem Diplom besiegeln soll. Doch schnell erweist sich ihre Idee als verführerisch. Sie bekommen Geld, viel Geld, von Investoren und sensationell viel Beachtung in Zeitungen, Magazinen, Fernsehen. Irgendjemand adelt ihre Idee als „Heiligen Gral der Sozialen Netzwerke“. Es ist eine großartige Geschichte von der Geburt eines neuen Internet-Stars, ein Riesenwirbel. „Leider“, sagt Gabriel Yoran heute, „ist die beste Geschichte selten ein gutes Geschäft.“

Yoran ist Teil der Geschichte. Sie handelt von ihm und sechs Kommilitonen der Universität der Künste (UdK), von ihrem Unternehmen namens Aka-aki, das – wie heute alle sagen – seiner Zeit voraus war. Aka-aki zeigt Nutzern auf dem Handy, ob gerade andere Nutzer der Anwendung – Freunde, Bekannte, Fremde – in der Nähe sind. Yoran und seine Mitstreiter setzten schon 2007 auf mobiles Internet und soziale Vernetzung. Dennoch steht am Ende ihrer Geschichte das Scheitern. Vergangenes Jahr wurde Aka-aki dicht gemacht. Kein Geld mehr, falsche Strategie, keine Erträge. Stecker raus.

Scheitern akzeptieren

Über Start-ups oder Gründer lässt sich nicht ohne das Scheitern reden. Aus Ideen und Spinnereien mögen oft jene kreativen Impulse kommen, die die Gründung eines Unternehmens anstoßen. Erfolg garantieren sie nicht. Wer eine rege Gründerszene will, kommt nicht drum herum, das Scheitern und die Gescheiterten zu akzeptieren. Zumal Scheitern, statistisch gesehen, die Normalität des Gründens ist.

Die wenigsten Neu-Unternehmer können die Früchte des Erfolges genießen. Eine von zehn Gründungen kommt bestenfalls erfolgreich durch, sagen die einen Studien. Andere zeugen von noch schlechteren Chancen, eher eins zu zwölf. In Amerika haben sie das längst kapiert. „Venture Capital“ heißt da das Geld, das in Technologie-Start-ups fließt. Es steht synonym für Unternehmen und Wagnis.

Der Raum, in dem Gabriel Yoran über das Scheitern redet, passt zum Thema. Leer geräumt ist das Büro, ein paar Staubflusen ruhen in den Ecken. Der Blick geht in den kahlen, wintertrüben Monbijoupark. Alles nur Zufall, diese trübe Kulisse. Das Büro ist leer, weil Yoran gerade mit seiner Firma umzieht. Seiner neuen Firma. Es geht von Mitte nach Prenzlauer Berg in größere Räume. Steganos heißt Yorans neuer Versuch. „Wir sind nicht hip. Wir agieren konservativ, pflegen unsere Kunden. Bei uns steckt kein Kapital von Venture-Capital-Investoren drin“, sagt Yoran. „Und wir machen Gewinn.“ Jetzt ist eine Menge anders als bei Aka-aki.

Aka-aki, das die Phantasie so vieler Investoren befeuerte, hat unter dem Strich nur gekostet. Yoran und seinen Mitstreiter viel Arbeitszeit und Nerven. Die Investoren wie France Telecom, ein Telekommunikationsriese aus Frankreich, viel Geld. Siebenstellig waren die Verluste derjenigen, die Kapital bereitgestellt hatten. „Ich bin gehalten, die genaue Summe nicht zu nennen“, sagt Yoran.

Seit 2006 trugen sich Yoran und die anderen mit der Idee, über internetfähige Handys Menschen in unmittelbare Nähe zu treffen. Sie programmierten eine Anwendung dafür und eine Internetseite. 2007, als Aka-aki entstand, brachte Apple das erste iPhone heraus. Kurz darauf dämmerte der Welt, das ein Handy in erster Linie nicht zum Telefonieren, sondern dazu da ist, um das Internet unterwegs zu nutzen. 2008 öffnet Apple seinen App-Markt. Jeder konnte kleine Programme für Mobiltelefone anbieten. Aka-aki ist von Anfang an dabei; die Nutzerzahlen schießen schnell auf 400.000 hoch, kurz vor dem Ende sind es fast doppelt so viele.

Wie könnt Ihr Geld verdienen?

Yoran und seine sechs Mitstreiter versuchen die Finanzierung über Bannerwerbung. Doch die wird immer teurer, weil es immer mehr Anbieter von Apps gibt, die so Geld verdienen wollen. „Neue Kunden zu gewinnen muss billiger sein als der Umsatz, den man mit dem Kunden macht“, sagt Yoran. Das funktioniert 2009 nicht mehr bei Aka-aki. Investoren wollen wissen: Wie könnt Ihr Geld verdienen? Zwei Möglichkeiten, sagt Yoran, drängten sich auf.

Viele Nutzer nutzten Aka-aki zum Flirten. Also ein Dating-Portal daraus machen? Die andere war, es mit einem Spiel zu versuchen. „Alle waren damals ganz berauscht von Gamification“, sagt Yoran. Die sieben Gründer waren uneins, stimmten ab – mit einer kleinen Mehrheit für das Spiel. Mittlerweile arbeiteten 30 Leute für Aka-aki. „Irgendwann kam das Spiel auf den Markt und ist gefloppt“, sagt Yoran.

Zu der Zeit lief ohnehin schon nicht mehr viel zusammen. Die Gründer und Investoren hielten Anteile. Musste beim Notar etwas beurkundet werden, saßen 18 Leute samt Anwälten dabei, erzählt Yoran. „Das war verdammt viel Aufwand dafür, dass wir kein Geld verdient haben.“

Yoran sagt von sich, er sei „Euphobiker“, einer der sich von Begeisterung nicht davon tragen lässt. Seine Analyse des Scheiterns ist kühl und analytisch: Sie waren zu viele Gründer, trafen falsche strategische Entscheidungen. „Gründet man ein Unternehmen, für das es kein Vorbild gibt, macht man Fehler. In diese Fehler muss irgendjemand investieren.“ Bei Aka-aki wollte das keiner mehr. Als das Geld ausging, beendeten sie vor der Pleite das Abenteuer. Sie stellten die App im Juli 2012 ab.

Matthias Riedl (32) hat seinerzeit nicht rechtzeitig den Stecker gezogen. Er legte eine Pleite hin, gut einen Monat nachdem im September 2008 die Investmentbank Lehman Brothers mit ihrer Insolvenz die globalen Finanzmärkte erschütterte. Riedls Unternehmen hieß Kazzong und war in gewisser Weise ein Opfer der Lehman-Pleite. Im Herbst 2008 brauchten er und sein Mitstreiter unbedingt die nächste Finanzierungsrunde, um weiter machen zu können.

„Irgendwann“ trat nicht ein

Anderthalb Jahre zuvor hatten sie in München Kazzong als Musikdienst gegründet. Ihre Idee: Sie entwickelten eine Anwendung, mit der Musiker auf ihrer Internetseite oder im mittlerweile fast vergessenen sozialen Netzwerk MySpace ihre Musik den Nutzern anbieten konnten, zum Anhören und Kaufen. Sie schlossen mit kleinen Musikverlagen und Plattenfirmen Verträge. Riedl, ein Schwabe mit roten Locken, wollte es ganz simpel machen. „Wir wollten unsere Anwendung Musikern verkaufen, für wenig Geld, vielleicht fünf Euro im Monat“, erzählt er. Geld wäre dann von Anfang an geflossen. Doch sie verzichteten darauf. „Alle, Investoren und andere Unternehmer, redeten davon, dass es zunächst wichtig sei, groß zu werden. Wir haben uns mittreiben lassen.“

Also verabredeten sie mit ihren Geldgebern: Wir versuchen schnell viele Nutzer zu gewinnen und profitieren irgendwann einmal mit einer Provision von den Downloads. Das ging nicht auf, „irgendwann“ trat nicht ein. „Die Nutzer auf MySpace wollten nur Musik hören, nichts kaufen.“ Es begann eine Abwärtsdynamik. Marketing und Softwarepflege verschlangen Geld. Verhandlungsrunden mit Investoren schleppten sich hin und scheiterten schließlich. Nach der Lehman-Pleite wollte keiner mehr Geld rausrücken für Riedl, den Musikfan mit der Idee. Kazzong ging Pleite. „Als es soweit war, stellte sich vor allem Erleichterung ein“, sagt Riedl.

Das will er nun behutsam weiter entwickeln

Für beide, Riedl wie Yoran, war das Scheitern nicht das Ende der Unternehmerkarriere. Yoran ist zur ersten Idee zurückgekehrt. Mit Steganos verbindet ihn eine lange Geschichte, obwohl Yoran erst 32 ist. Ein kleiner Mittelständler, der seine Nische gefunden hat und profitabel sein Produkt verkauft: Sicherheit. Die Software ermöglicht sicheres und anonymes Surfen im Internet, verspricht Online-Banking, das dem Zugriff von Netzgaunern entzogen wird.

Mit einem Freund gründete er die Firma 1997. Da war er gerade 17 und das, was man heute einen Geek nennt. „Wir haben uns das Programmieren selber beigebracht“, erzählt Yoran. Die ersten Kunden bekamen Disketten mit der Software per Post. Yoran hatte noch wenige Anteile an Steganos und kauft das Unternehmen vergangenes Jahr zurück. Das will er nun behutsam weiter entwickeln. Nichts Abgehobenes, solides Wirtschaften als Mittelständler.

Matthias Riedl führt heute eine Beratungs- und Kommunikationsagentur, die vor allem Online-Unternehmen beim Marketing unterstützt. Mit zwölf Leuten sitzt er in einem unscheinbaren Büro direkt am Rosenthaler Platz. Mit seinem Geschäft kann er keine Phantasie von Investoren beflügeln. Will er aber auch gar nicht. Unternehmer sein, sagt Riedl, darum geht es. „Will man das wirklich sein, dann macht man einfach.“