Gründerzeit

Was Mitarbeiter an Berliner Start-ups schätzen

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Judith Luig

Foto: Reto Klar

Die Berliner Start-ups ziehen Menschen aus aller Welt an. 2013 will eine große Mehrheit neue Mitarbeiter einstellen.

Die Welt, in der die Schokoladenblumen wachsen, wird von einem Monster bewacht. Groß und haarig steht es vor dem Eingang im vierten Stock des Industriebaus. Abschrecken aber soll es die Besucher nicht. Im Gegenteil. 250 neue Mitarbeiter will das Online-Spiele-Unternehmen Wooga in diesem Jahr dazugewinnen. Und Mac Fur, so der Name des grinsenden Untiers, ist das Begrüßungskomitee.

2009 wurde Wooga von Jens Begemann und Philipp Moeser gegründet. Damals arbeiteten sie mit einem Praktikanten in einem Zimmer. Ende 2010 hatte Wooga schon knapp 50 Mitarbeiter, ein Jahr später 100. 2012 wurde die 250er-Grenze überschritten. Für die Neuen wird gerade die dritte Etage der Backfabrik umgebaut. Ein enormes Wachstum, aber typisch für die, die es in der Branche geschafft haben.

Das Thema, Mitarbeiter von Start-ups zu sein, ist eines, das sich gerade erst entwickelt. Bislang sind noch knapp 45 Prozent der Berliner Start-ups Kleinstunternehmen: 18 Prozent beschäftigen gar keine Mitarbeiter, 27 Prozent nur zwischen einem und fünf, so die Zahlen einer aktuellen Studie des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI). Doch es tut sich was: 2013 will eine große Mehrheit neue Mitarbeiter einstellen.

Vorzeigemodell in der Branche

Erica Ancobia, Studentin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, hat den Ruf von Start-ups als Arbeitgeber in ihrer Bachelorarbeit untersucht. Sie selbst hatte ursprünglich im Hotelgewerbe gearbeitet und war dann in die Neugründungsbranche gewechselt. „Das war ein Unterschied wie Tag und Nacht“, sagt sie. „Wer in einem Start-up arbeitet, der hat das Gefühl, dabei zu sein, während gerade etwas ganz Großes passiert.“ Also hat sie 226 Menschen über den Reiz dieser neuen Unternehmensform befragt. „Die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen, schnell Verantwortung zu übernehmen, und die hohe Motivation der Mitarbeiter“, so die Ergebnisse. Allerdings zeigt die Befragung auch die Nachteile des Erfolgs: Hat ein Unternehmen mehr als 50 Mitarbeiter, geht das Start-up-Gefühl und damit auch die Zufriedenheit verloren.

Wooga, nach eigenen Angaben der weltgrößte Entwickler für Social Games, gilt in der Branche als Vorzeigemodell, wenn es darum geht, zu wachsen und gleichzeitig die Goldgräberstimmung zu erhalten. Das merkt man schon beim ersten Besuch. Personalchefin Gitta Blatt führt durch die Studios, vorbei an Pappmonsterfrauen und aufgeklebten Märchenhelden. Wooga wirkt wie ein großer Spielplatz, alles ist bunt und hell. An den Wänden hängen obskure Objekte, ein Zauberstab aus Filz, ein Hochzeitsfoto von gleichgeschlechtlichen Prinzessinnen, unter einem Tisch schläft ein Hund. In Nischen und Gängen befinden sich sogenannte Couchicles, kleine, mit Stoff und Kissen ausgekleidete Holzboxen, in denen man sich zu zweit oder dritt zum Gespräch oder zum ungestörten Telefonieren zurückziehen kann.

Großräume mit dem Fußvolk

Im klassischen Konzern erkennt man die Hierarchie sofort an der Sitzordnung: da die Großräume mit dem Fußvolk, hier die Einzelbüros für die Bessergestellten. Wooga aber scheint auf architektonische Distinktionsmerkmale zu verzichten. „Wir wollen keinen Corporate Chic“, sagt Blatt. Deswegen gestalten die einzelnen Spieleteams ihre Räume selbst. „Die Mitarbeiter sollen sich hier Zuhause fühlen, aber das bedeutet natürlich auch, dass man mit den Dingen so bedacht umgeht, als wäre man in seiner eigenen Wohnung.“

Im Inneren der Etage liegt die offene Küche, in der die Mitarbeiter zum Ideenaustausch zusammensitzen – manchmal bis in die Nacht. Wer will, kann auch Freunde oder Familie mitbringen. „Kommunikation ist bei uns King“, sagt Blatt. Die Wände sind zugepflastert mit Fotos aller Mitarbeiter und ihren Namen, damit man sich bei dem rasanten Wachstum noch orientieren kann. „Wir limitieren uns jetzt auf eine Verdoppelung pro Jahr, um die Unternehmenskultur zu erhalten“, sagt Gitta Blatt. Moment: limitieren? Blatt lacht. „Ja, wir hätten genug Ideen, um noch viel mehr Leute an Bord zu holen.“

Angestellte aus 35 Ländern

Bislang hat Wooga sechs Spiele auf dem Markt. 70 Prozent der Spieler sind weiblich, und deswegen bemüht sich Blatt, auch möglichst viele weibliche Mitarbeiter zu finden. An der Espressomaschine mit der Sojamilch unterhalten sich gerade zwei deutsche Woogas auf Englisch. Mehr als die Hälfte der 270 Mitarbeiter kommt nicht aus Deutschland, und die sollen sich nicht ausgeschlossen fühlen. Aktuell arbeiten bei Wooga Menschen aus 35 Ländern. Nur wer international besetzt ist, hat auch weltweit Erfolg, so das Credo.

Wer neu dazukommt, aus Venezuela oder den USA, der wird vom Flughafen abgeholt und kriegt einen Schlüssel überreicht für seine neue Wohnung. Acht Wochen kann er dort leben, bis er sich in Berlin orientiert hat. Natürlich bedeutet der Wunsch nach Internationalität auch, dass das „An-Bord-holen“ neuer Kollegen deutlich aufwendiger ist. Blatt und ihr Team müssen sich auch um Aufenthaltsgenehmigungen oder Visa kümmern, denn mehr als die Hälfte der Mitarbeiter ist für Wooga nach Berlin gezogen.

Ganz eigene Herausforderungen

Doch wie findet man qualifizierte Mitarbeiter für eine komplett neue Branche? In der Mohrenstraße 60 in Mitte ist fast das ganze Gebäude von Start-ups belegt. Im zweiten Stock sitzt Lieferheld, ein Portal, über das man Essen online bestellen kann. Im Fünften ist die Wummelkiste untergebracht, die monatlich Bastelideen und Material für Kinder ab fünf Jahren verschickt. Gleich daneben liegt das Büro von i-potentials, einer Personalberatung, die sich auf die digitale Welt spezialisiert hat. „In der Goldgräberzeit verdient man kein Geld mit Gold, sondern mit Schaufeln“, umschreibt Anna Ott, die zweite Geschäftsführerin, lächelnd ihren Job.

Das Rekrutieren hat in der Start-up-Branche ganz eigene Herausforderungen. „Es gibt keine klassischen Ausbildungswege“, erklärt Ott. „Online-Marketing oder Produktmanagement ist kein Studiengang.“ Zudem änderten sich die Anforderungen laufend. „Heute wollen alle Growth-Hacker, morgen sucht jeder nach Product-Evangelists.“ Ein „Growth-Hacker“ sorgt für Besucher auf einer Webseite, ein „Product-Evangelist“ ist eine Art Botschafter für Ideen. Wie sich zeigt, müssen also auch dauernd neue Berufsbeschreibungen gelernt werden.

Die Kandidaten, die i-potentials vermittelt, sind in der Regel Anfang 30 – in Berlin sind sie im Schnitt also zwei Jahre jünger als im Silicon Valley, aber das Alter, so Ott, sei kein Kriterium. „In der Start-up-Branche arbeiten durchaus auch Leute über 40.“ Entscheidend sei die Einstellung. „Man muss für sich selber herausfinden, ob man eher für ein Lohnsteuerkartenverhältnis der Großkonzerne geschaffen ist oder ob man lieber ein Start-up sucht, in das man seine Persönlichkeit einbringt und mit dem man wachsen kann.“

Führungskräfte ohne Erfahrung

Allerdings, auch das zeigt die Studie von Erica Ancobia, gibt es auch Abschreckungspotenzial der Branche: „der unsichere Arbeitsplatz, unstrukturierte Abläufe, die Angst vor unbezahlten Überstunden, unqualifizierte Führungskräfte und niedrige Gehälter“. Denn so groß der Hype um die Start-ups auch ist, natürlich gibt es auch hier unfaire Methoden und Ausbeutung. Da die Szene extrem jung ist, gibt es zudem viele Führungskräfte, die absolut keine Erfahrung haben. Nicht wenige Chefs waren selbst nie Mitarbeiter.

Schließlich kann ja nicht jeder die Berufserfahrung von Wooga-Chef Jens Begemann mitbringen, der beim Klingeltöne- und Handyspiele-Anbieter Jamba schon mehrere Jahre ein Team von 130 Mann gemanagt hatte.

E-Mail mit Tausenden von Tippfehlern

Und so gebe es laut Anna Ott auch Nachteile für den Arbeitnehmer, der seine Karriere nur in Start-ups gemacht hat. „Man merkt schon manchmal, dass Berufserfahrungen aus klassischen Unternehmen fehlen und auch die entsprechende Businessetikette“, sagt Ott. „In der Szene ist es normal, per Smartphone Halbsätze per E-Mail mit Tausenden von Tippfehlern zu schicken und zu glauben, je beschäftigter man wirkt, je wichtiger ist man.“ Andererseits gelte jemand, der zehn Jahre in einem großen Unternehmen war, für die Start-up-Szene gerne als ‚zu corporate‘. Ott empfiehlt deshalb, in beiden Unternehmensformen Zeit zu verbringen. Das würde der Branche auch helfen, sich für die Zukunft zu wappnen.

„Dieser Berliner Trend, unfokussiert und einfach um des Gründens willen zu gründen, nimmt zum Glück ab“, sagt Ott. Momentan sei die erste Frage bei Treffen immer: „Hey, wie viele Leute seid ihr jetzt?“ Aber die Start-up-Kultur wird professioneller. Langsam müsse es auch deswegen mehr darum gehen, dass man Verantwortung für die Menschen übernimmt, die man einstellt.

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