Am Donnerstag haben in Berlin die Prüfungen für den Mittleren Schulabschluss (MSA) sowie für die Berufsbildungsreife, die nach der 9. Klasse fällig ist, begonnen. In diesem Jahr wird der erste Jahrgang geprüft, der die Integrierte Sekundarschule besucht und bis zum Ende durchlaufen hat. Laut Bildungsverwaltung sind am Donnerstag zwischen 7 und 9 Uhr 33.112 Prüfungsarbeiten für beide Abschlüsse an die Schulen ausgeliefert worden.
Mit der Sekundarschulreform sind vor vier Jahren auch die Prüfungsanforderungen für den MSA, die Berufsbildungsreife sowie für den Übergang in die gymnasiale Oberstufe geändert worden. Viele Schulleiter kritisieren das nun. Die Anforderungen seien abgesenkt worden, sagen sie. Lothar Semmel, Vorstandsmitglied der Vereinigung der Berliner Schulleiter ist der Meinung, dass im Vergleich zur Gesamtschulzeit die Schüler den MSA oder die Berufsbildungsreife jetzt mit schlechteren Noten erlangen könnten.
Selbst wer eine Sechs auf dem Zeugnis habe, bekomme den Mittleren Schulabschluss. Früher war das nicht möglich. Als Durchschnittsnote reiche eine Vier. Früher habe es eine Drei sein müssen, sagt Semmel.
Besonders kritisch sieht Semmel, dass es den Schülern leichter gemacht wird, die gymnasiale Oberstufe zu erreichen. Statt einer guten Drei sei jetzt auch eine schwache Drei ausreichend dafür. Deutlich mehr Schüler als bisher würden in diesem Jahr die entsprechende Qualifikation bekommen. „Dazu werden etliche Schüler gehören, bei denen wir aufgrund unserer Erfahrungen wissen, dass sie nicht geeignet sind.“
An der Clay-Sekundarschule, die Semmel leitet, haben in den vergangenen Jahren von mehr als 200 Schülern jedes Mal etwa 60 bis 70 die Berechtigung für den Übergang in die gymnasiale Oberstufe erworben. In diesem Jahr werden es aufgrund der neuen Richtlinien fast 90 Schüler sein. Für etliche dieser Schüler sei es aber besser, wenn sie statt des Abiturs eine gute Ausbildung anstreben würden, sagt Semmel.
Reale Ergebnisse werden durch Nachprüfungen korrigiert
Kritisch betrachten viele Schulleiter auch die Tatsache, dass Schüler, die die Berufsbildungsreife nicht schaffen würden, neuerdings die Möglichkeit haben, eine Nachprüfung zu machen und damit ihr Gesamtergebnis so zu verbessern, dass sie den Abschluss doch noch bekommen. Mit diesem „Hintertürchen“ würden die realen Ergebnisse korrigiert, warnt Lothar Semmel. Wenn sich Schüler dann mit ihrem Abschluss für einen Ausbildungsplatz bewerben, würde es nicht selten ein böses Erwachen geben, weil sich die Anforderungen der Unternehmen nicht mit den tatsächlichen Fähigkeiten der Schüler decken würden.
Paul Schuknecht, Schulleiter der Friedensburg-Sekundarschule in Charlottenburg, hält die Möglichkeit der Nachprüfung indes für vernünftig. Wichtig sei doch, dass möglichst viele Schüler einen Abschluss bekommen, sagt er. Es gehe darum, diese Jugendlichen sozial einzubinden und sie zu motivieren, eine Arbeit aufzunehmen.
Beate Stoffers, Sprecherin von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), betont, dass die Leistungsanforderungen nicht abgesenkt worden sind. Man könne die Punkte der Zensurentabelle der ehemaligen Gesamtschule nicht mit der der Sekundarschule gleichsetzen. „Die Leistungen der Schüler entscheiden, auf welchem Niveau die Noten in den Fächern Mathematik, Deutsch, erste Fremdsprache vergeben werden. Diese Anforderungsniveaus sind in den Rahmenlehrplänen entsprechend den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz festgelegt.“ Die Bildungsverwaltung erwarte, dass alle Schulen diese Standards auch anwenden, so Stoffers.