Leistungsstarke Schüler werden an den Berliner Schulen nicht gezielt gefördert. Zu diesem Ergebnis kommen die Inspektoren, die zwischen 2006 und 2011 alle 700 öffentlichen Schulen in einem ersten Durchgang begutachtet haben.
„Wenn man von speziellen Angeboten oder Einrichtungen zur Förderung hochbegabter Kinder absieht, hat die Förderung leistungsstarker Schüler an den Berliner Schulen nicht den gleichen Stellenwert wie die leistungsschwächerer“, heißt es im Abschlussbericht der Schulinspektoren, den die Senatsbildungsverwaltung jetzt veröffentlicht hat. Die Prüfer stellen fest, dass es den Schulen „wesentlich leichter fällt, auf Lernprobleme oder Lerndefizite zu reagieren, als individuell auf besondere Lernpotenziale einzugehen“.
Insgesamt haben die Inspektoren 30.000 Unterrichtsstunden beobachtet. „Entwicklungsbedarf“ gibt es demnach vor allem bei der inneren Differenzierung im Unterricht. Dabei geht es darum, ob die Schüler unterschiedliche Aufgaben je nach Fähigkeiten erhalten. Die Inspektoren bemängeln, dass nahezu jede zweite Unterrichtsstunde keine Ansätze von Differenzierung zeigt.
Die im Unterricht an die Schüler gestellten Anforderungen seien zwar meist transparent und erfüllbar, aber wenig individuell herausfordernd, schreiben sie in ihrem Bericht. Die gestellten Aufgaben böten kaum die Möglichkeit eines unterschiedlichen Lernzugangs. „Leistungsstarke Schüler werden nur selten an ihre Leistungsgrenze gebracht.“ Es fehle an Aufgaben, in denen die Kinder selbstständig nach Lösungen suchen müssen oder die sie sich entsprechend ihres Leistungsniveaus aussuchen können.
Fortbildung ist wichtig, damit Lehrer auf Fähigkeiten individuell eingehen lernen
Auch die Vorsitzende des Landeselternausschusses, Lieselotte Stockhausen-Doering, kritisiert, dass an den Schulen vor allem die Förderung schwächerer Schüler im Fokus steht. „Die leistungsstarken Schüler werden nicht gesehen.“ Es gebe zwar die Schnelllerner-Gymnasien, an denen das anders sei. Die normalen Schulen hätten diesbezüglich jedoch keine hinreichenden Konzepte.
Gunilla Neukirchen, Vorsitzende der Berliner Schulleitervereinigung, fordert deshalb auch ein Gesamtkonzept für die Förderung leistungsstarker Schüler und seine konsequente Umsetzung im Unterricht. In anderen Bundesländern wie etwa Brandenburg gebe es solche Konzepte. Wichtig sei auch eine Vernetzung der Schulen mit anderen Bildungseinrichtungen wie Universitäten oder Museen, die Angebote explizit für leistungsstarke Schüler entwickeln. Neukirchen plädiert außerdem für eine intensive Fortbildung der Lehrkräfte. „Das Angebot der Bildungsverwaltung ist äußerst mager“, resümiert sie. Es gebe zwar Fortbildung für Lehrer der neuen Integrierten Sekundarschulen. Der Schwerpunkt dieser Angebote liege jedoch bei den schwächeren Schülern.
Klaus Seifried vom Berufsverband Deutscher Psychologen, sagt, dass viele Kinder unter ihrem Leistungsniveau bleiben. Oft fehle Engagement und Motivation, weil Freunde treffen, feiern, Fernsehen oder am Computer spielen wichtiger ist. Wichtig sei ein Unterricht, der auf die unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder eingeht und ihnen Erfolge verschafft. Aber auch Unterricht in verschiedenen Leistungsgruppen sei hilfreich.
„Temporäre Lerngruppen, in denen Schüler sich zum Beispiel auf den Wettbewerb Jugend Forscht oder andere Projekte vorbereiten, können leistungsstarke Schüler zu mehr Leistung motivieren und fördern.“ Für derartige Angebote müsse aber ausreichend Personal an den Schulen sein. Das sei in Berlin leider nicht der Fall.
Das Lernen muss gelernt werden
Dass Lehrermangel herrscht, bringen auch die Schulinspektoren in ihrem Bericht zum Ausdruck. Sie stellen fest, dass die Schulen in den vergangenen Jahren zunehmend Schwierigkeiten hatten, kurzfristig oder auch langfristig geeignetes Personal zu finden. So sei die Möglichkeit kurzfristig Lehrer einstellen zu können, längst erschöpft, weil es in den Mangelfächern wie Naturwissenschaften, Mathematik, Englisch, Latein oder Musik kaum noch potenzielle Bewerber gebe.
Die Schulinspektoren kritisieren zudem die Unterrichtsqualität insgesamt. Neben der Vernachlässigung leistungsstarker Schülern bemängeln sie, dass der Unterricht fast durchweg auf die Vermittlung fachlicher Inhalte ausgerichtet ist. Angebote zum „Methodenlernen“ oder „Lernen lernen“ gebe es kaum. Auch fehlten fächerübergreifende und fächerverbindende Ansätze. Wenig verbreitet sei außerdem die Arbeit mit neuen Medien und damit die Förderung der Medienkompetenz. All das trage dazu bei, dass sich die Unterrichtsqualität in den vergangenen Jahren kaum geändert habe, heißt es.
Thorsten Metter, Sprecher von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), sagt, dass Differenzierung im Unterricht immer wichtiger werde. Das gelte für alle Schulformen. „Deshalb gibt es für Lehrer Angebote im Rahmen der regionalen Fortbildung und vielfältige Materialien zur Binnendifferenzierung und zum Umgang mit Heterogenität.“ Eine besondere Form der Förderung leistungsstarker Kinder seien die Schnelllerner-Gymnasien. Hinzu kämen Juniorakademien, Sommerakademien und spezielle AGs.