Die Touristenbusse an der Friedrichstraße gehören zum Alltag. Wer sich den heutigen Friedrichstadt-Palast einmal genauer anschaut, der wird feststellen, dass er den Berlinern immer mehr abhanden kommt. Der amtierende Intendant Berndt Schmidt verkündet zuversichtlich, dass er künftig ein Drittel Touristen auf den täglich zu verkaufenden 1895 Zuschauerplätzen sitzen haben wird.
Im vergangenen Jahr verzeichnete das Revuetheater, das sich marketingtechnisch lieber als Show-Palast anpreist, beachtliche 518.000 Besucher. Immerhin kommen noch 41 Prozent aus Berlin. Aber der Anteil wird schwinden. Manche werden den Verlust der Berliner Identität missen, andere die neue Internationalität als Zukunftsmodell loben. Auf jeden Fall ist es ein Erfolgsmodell. Die Berliner Institution feiert am Sonntag ihren 30. Geburtstag.
Handlung ohne Worte
Beliebt war das Theater eigentlich immer. Wobei die Berliner Revue eine schnelllebige, auch schnell kriselnde Angelegenheit ist. Was heute angesagt ist, kann morgen schon als piefig verschrien sein. Intendant Schmidt, der 1964 fernab in Bruchsal geboren wurde, hat jedenfalls nicht allzu viel mit der einheimischen Tradition am Hut.
Selbst das historische Aushängeschild, die Girlreihe, ist für den promovierten Betriebswirtschaftler nichts Urberlinisches. Schließlich hatte Eric Charell 1924 die Tiller-Girls präsentiert, die zur Gründung der Berliner Girlreihe führte. Die amerikanischen Girls sind längst Vergangenheit, die Berliner Girls verzaubern noch immer. Tänzerinnen aus 23 Nationen gehören zum Ensemble, fügt Schmidt hinzu.
Zum Zeitgeist gehört auch, wie es heißt, die Sprachunabhängigkeit. Jeder kann das Bühnengeschehen ohne Worte verstehen. Die Sprachlosigkeit hat alles schneller gemacht. Die aktuelle Revue „Show me“ saust wie ein Farbfilm vorbei, es bleibt nicht einmal Zeit, Vorhänge auf- und zuzumachen. Früher lief nichts ohne den Conférencier, der drauflos plauderte, während hinterm Vorhang die Kulissen herum geschoben wurden. Irgendwann kam ein Zeichen, der Vorhang ging auf, die nächste Nummer begann.
„Ein Kessel Buntes“ hieß das Erfolgsrezept der DDR
Das ging zur Eröffnung des neuen Friedrichstadtpalastes am 27. April 1984 gehörig schief. Im Parkett saß Staatschef Erich Honecker, auf der Bühne moderierte der beliebte TV-Conférencier O.F. Weidling. Hinter der Bühne rumpelte es, eine Schiffsbaufirma hatte die Hydraulik eingebaut. Weidling plauderte also immer weiter, machte politische Anspielungen, alles wurde im DDR-Fernsehen live übertragen.
Weidling erhielt anschließend quasi Berufsverbot und verstarb kurz darauf. Bis zur Wende lebte der Friedrichstadtpalast von seiner Fernsehpopularität. „Ein Kessel Buntes“ hieß das Erfolgsrezept. Dort waren die TV-Stars einmal live zu erleben. Intendant Berndt Schmidt meint, von der alten sozialistischen Verbundenheit kann das Haus heute noch zehren.
Russen gehören zur größten ausländischen Besuchernation, viele erinnern sich noch an die früheren Übertragungen im sowjetischen Fernsehen. Viele Russen könnten den Namen Friedrichstadt-Palast fließender aussprechen als manche Deutschen, scherzt Schmidt. An zweiter Stelle der Besuchernationen folgen die Dänen und die Niederländer, vor allem auch mit ganzen Schulklassen.
Der Oper haftet etwas Betuliches an
Es mache ihn immer stolz, wenn er zufriedene ausländische Besucher im Haus habe. „Das ist doch eine Anerkennung für uns“, sagt er: „Nicht jeder erwartet von den Deutschen gute Unterhaltung.“
Die zweite große Ära des Friedrichstadt-Palastes war Alexander „Sascha“ Iljinskij zu verdanken, der zunächst als Dramaturg geschasst wurde und dann als Intendant die 90er-Jahre maßgeblich prägte. Da das DDR-Starmodell nicht mehr fortzuführen war, begab er sich mit seinem Stammpublikum auf Spurensuche. Die 1991 verstorbene Ost-Berliner Diva Helga „Henne“ Hahnemann wurde zu einer Hausikone erwählt. Das garantierte die Erinnerung an eine Berliner Schnauze. Und die Girlreihe mit Gardemaß und Endlosbeinen bekam mehr Präsenz, überhaupt setzte Iljinskij auf die opulente Bilderwelt der klassischen Revue.
Es gab Themen und Moderationen. Er scheute auch das Crossover zur Oper nicht. Das ging zu weit, denn der Oper haftet schon etwas Betuliches an, was mit dem modernen Showtempo unvereinbar ist. Ein kleines Intermezzo lieferte das Doppelteam mit Thomas Münstermann und Guido Herrmann, die nach der Jahrtausendwende das Crossover in Richtung Musical wagten. Geschäftlich war das kein überzeugendes Modell.
Leichtigkeit und Homoerotik
Berndt Schmidt hat eindeutig die Zahlen besser im Blick. Bis 2019 läuft sein Vertrag, es sieht nach einer dritten Erfolgsära aus. Für ihn ist klar, dass ein moderner Show-Palast seine Traumstoffe im Jetzt finden muss und nie im Gestrigen. Die Unterhaltung ist ein internationales Geschäft. Aber Las Vegas werde er nie kopieren, sagt er. Der Berliner Friedrichstadt-Palast nimmt sich nicht zu ernst und sei auch nicht so patriotisch, dafür gäbe es mehr Leichtigkeit und auch Homoerotik. Und das gehöre schließlich auch zum heutigen Berlin.