Lange war der Berliner Musiker und Schauspieler eine interessante Randerscheinung im Kulturbetrieb. Nun wurde er über Nacht weltweit bekannt – mit einem Werbespot. Treffen mit einem spät Entdeckten.
Seine Lieblingsstelle ist die mit dem Dorsch. Die kommt relativ spät in dem Video-Clip. Da sitzt er, akkurat im Anzug und mit bordeauxfarbenen Hemd und dunkler Sonnenbrille, an der Kasse wie ein Supermarktangestellter am Band und betrachtet sehr zärtlich die vorbeiziehenden Waren. Nach den Fritten kommen der Fisch aus dem Tiefkühlregal ihm entgegen und er singt: „Sehr geiler Dorsch im übrigen, sehr geil.“
Im echten Leben hat Friedrich Liechtenstein einen nicht ganz so tiefen, brummigen Bass. Im echten Leben ist der Schauspieler und Sänger auch nicht ganz so superlässig wie in dem Filmchen, aber so superlässig kann ja auch kein Mensch sein. Im echten Leben ist Friedrich Liechtenstein über Nacht weltberühmt geworden.
Das klingt natürlich reichlich marktschreierisch, ist aber trotzdem wahr. Am vergangenen Donnerstag schaltete die Supermarkt-Kette Edeka den Werbespot „Supergeil“ frei, und er wurde bis Dienstag Abend auf Youtube knapp zwei Millionen Mal geklickt. Noch einmal Fahrt hat die Verbreitung aufgenommen, nachdem die Amerikaner Gefallen gefunden und die Werbung massenweise geteilt haben, verbunden mit einer aufklärerischen Spracherläuterung der Doppeldeutigkeit des Wortes „geil“. So fand die Autorin auf der Nachrichten- und Kulturseite slate.com gleich auch den gesellschaftlichen Überbau: „Diese durchgedrehte Supermarkt-Werbung gibt einen Einblick in die deutsche Kultur“, lautet die Überschrift. Unterhalb der Welterklärung machen wir es ja prinzipiell nicht mehr.
„Sehr, sehr toll“
Der Erfolg kommt, alles andere wäre auch vermessen, überraschend für Friedrich Liechtenstein. Er habe zwar schon während der Dreharbeiten ein gutes Gefühl gehabt. Dieses wurde noch einmal gesteigert, nachdem ihn auch ein paar Frauen mit sehr langen Beinen im Edeka-Dress in dem Clip begleiten. Es sind Tänzerinnen, die normalerweise im Friedrichstadt-Palast und für das Lido in Paris arbeiten. Hier erscheinen sie wie eine späte Würdigung des Pop-Sängers Robert Palmer, in dessen Videos auch keine Frauen mit Beinen unter 110 Zentimeter auftraten. Über den Resonanz im Internet staune er wirklich, sagt Friedrich Liechtenstein, und er freue sich darüber, dass er auch alle Altersstufen hinweg Zuspruch bekommen würde: „Die alten Damen sagen zu mir: ‚Sehr, sehr toll‘“, und seine Stimme wird so tief, als würde er „sehr, sehr geil“ sagen.
Der Grundstein wurde im vergangenen Jahr gelegt, da erschien „Supergeil“ von der Formation „Der Tourist feat. Friedrich Liechtenstein“. Auf das Lied wurde die Werbeagentur Jung van Matt aufmerksam, die dann Komponisten und Regisseur Jakob Grunert beauftragten den Song doch ein wenig zu verändern und optisch in die Welt der Supermarktwaren zu verlegen. „Die Werber waren so schlau, sich nicht so oft einzumischen“, sagt Friedrich Liechtenstein. Bei Edeka ist man durchaus ein Risiko eingegangen. So tänzelt er in dem Filmchen vor einer traurigen Edeka-Filiale am Stadtrand. Song und Inszenierung sind ironiegetränkt, und das letzte, was sich Konzerne in aller Regel wünschen, ist Ironie.
Der Erfolg der Werbung liegt in seiner Ambivalenz
Und so lässt sich zumindest zum Teil auch der Erfolg erklären. Hier hat ein Unternehmen einmal wirklich etwas gewagt. Es hat, so Friedrich Liechtenstein, „auf Ambivalenz“ gesetzt. Kein Mensch sagt zu einer Sahnetorte „supergeil“, aber hinter dieser Überhöhung steckt auch eine Form der Anerkennung. Man weiß nicht, wie ernst so eine Supergeil-Preisung gemeint ist und insofern hat sich die Werbung der übrigen Welt in diesem Fall ein Stückchen angenähert. Die alltägliche Kommunikation ist mehrdeutig, so nun auch die Werbung.
So passt es, dass er aus dem erweiterten Clan des Regisseurs und Schauspielers Herbert Fritsch („Die (s)panische Fliege, „Murmel, Murmel“) stammt. Fritschs Vorliebe für rasanten Klamauk ist irgendwann in den vergangenen Jahren genauso mainstreamfähig geworden wie es der Künstler Friedrich Liechtenstein heute ist. Er war immer Teil des Kulturbetriebes, aber immer am Rande, bisschen subversiv, Sprechgesang für die Intellektuellen-Party und am nächsten Tag ein paar Erörterungen über die „Metaphysik des Radiomachens“.
Aufgewachsen ist er in Eisenhüttenstadt, machte in der DDR bereits Theater, 1995 kam er dauerhaft nach Berlin. Er ist jetzt 58 Jahre auf der Welt, aber wo war er die ganze Zeit? „Ich war lange unsichtbar“, sagt er. Er habe andererseits schon immer viel gemacht, sagt er, und es klingt fast, als müsse er sich rechtfertigen. Er habe auch viele Fans gehabt, die gesagt hätten „wie krass“. Außerdem habe er, als seine Kinder klein waren, „für sie Puppentheater gespielt“. Und das „sehr erfolgreich“, fügt er hinzu. Und, nein, man weiß nicht, wie ernst er das in diesem Moment meint.